Der Streit um Johann Wadephuls Syrien-Aussagen zeigt ein Unions-Dilemma, das auch ein Außenminister Jens Spahn nicht lösen wird
In einer kleinen Ausstellung des schleswig-holsteinischen Freilichtmuseums Molfsee kann man jene Notunterkünfte sehen, die Hunderttausende Geflüchtete aus Pommern und Ostpreußen im Frühjahr 1945 beherbergten: Karge Wellblechhütten, schäbige Barackenlager. Wohnungen waren rar. Geheizt wurde mit Torf, der Zugang zu den Waschräumen war reglementiert, die Lebensmittelrationen reichten nicht. Viele litten Hunger.
Deutschlands Außenminister Johann Wadephul, der in Molfsee lebt, war 1945 noch nicht geboren, aber angesichts der Zustände in den Flüchtlingslagern hätte wer voller Mitgefühl gesagt: „Hier können wirklich kaum Menschen richtig würdig leben.“ Was blieb ihnen übrig? Sie mussten die Notzeiten durchstehen und das Land wieder aufbauen. In Damaskus aber sagte Wadephul angesichts der großen Zerstörungen: „Zum jetzige Zeitpunkt“ sei eine Rückkehr syrischer Flüchtlinge „nur sehr eingeschränkt möglich“.
Damit hat sich der Minister eine veritable Empörungswelle eingehandelt. Seine Aussage zur fast unmöglichen Rückkehr syrischer Flüchtlinge schließt nämlich direkt an die unselige Stadtbild-Debatte an. Nur sind diesmal die anderen empört. In Deutschland, das 1945 zwölf Millionen Flüchtlinge aus den verlorenen Ostgebieten integrieren musste, kommt es nicht gut an, wenn man Härten, die der eigenen Familie aufgebürdet wurden, anderen nicht zumuten will. Uns hat auch niemand geholfen, heißt es dann. Warum kann man den Syrern, die nach Deutschland geflüchtet sind, den mühsamen Wiederaufbau ihres Landes nicht zumuten? Die sollen nach Hause gehen und anpacken.
Die CDU weiß natürlich, dass das nicht so einfach ist. Die Welt hat sich weiterentwickelt, die Rechtslage ist kompliziert, aber die Union ahnt auch, dass die AfD und rechte Influencer-Medien von Nius über Elon Musks X bis zur Bild-Zeitung genau diese Melodie spielen werden. Gelobt sei, was hart macht. Uns wurde damals auch nichts geschenkt. Was soll denn schlimmer sein als die totale Verwüstung der deutschen Städte am Ende des Zweiten Weltkriegs?
Die Debatte ist inzwischen derart entgleist, dass sich die SPD schützend vor den angegriffenen CDU-Minister werfen muss. Wadephul, so Adis Ahmetovic, der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, genieße großes Vertrauen, „sowohl in der Bevölkerung, als ach im Parlament“. Nur nicht in der Unionsfraktion,. Wenn man der Süddeutschen Zeitung glauben darf. Die registrierte nach dem Auftritt Wadephuls vor seinen Fraktionskollegen eine „Stimmung zwischen Entsetzen, Sarkasmus und Ratlosigkeit“. Aus dem „Herbst der Reformen“ sei durch „desaströse Kommunikation“ ein „Herbst des Verdrusses“ geworden. Bild frohlockt: „Der Außenminister wackelt“, aus der Jungen Union kommen erste Rücktrittsforderungen und hinter vorgehaltener Hand wird angeblich schon über Personalrochaden „getuschelt“. Jens Spahn, so Bild, könnte Wadephul ablösen, Kanzleramtsminister Thorsten Frei würde als Fraktionsvorsitzender nachrücken. Ob die Union diese klare Anweisung der Bild-Zeitung umsetzt, steht freilich infrage. Der Kanzler müsste das rasche Scheitern seiner „Außenpolitik aus einem Guss“ eingestehen. Und mit Spahn hätte er einen extrem ehrgeizigen Konkurrenten am Kabinettstisch sitzen.
Während die Unruhe in der Union weiter steigt, bewegt sich in der Frage der Syrien-Rückkehrer wenig. Von den knapp eine Million in Deutschland lebenden Syrern sind seit dem Fall des Assad-Regimes nur wenige Tausend in ihre Heimat zurückgekehrt. Auch Reisekostenzuschüsse und Starthilfen bewirkten kein Umdenken. Im Gegenteil. In den vergangenen vier Jahren wurden 226.050 Syrer eingebürgert, mehr Menschen als aus jeder andere Nation. Viele wollen lieber hierbleiben als in ein instabiles Land zurückkehren.
Die Union steckt in einem Dilemma. Was sie auch tut, die AfD wird das Thema souverän beherrschen. Verschärft die Union ihre Migrationspolitik mithilfe Trump’scher Methoden, könnte die Regierungskoalition Schaden nehmen. Beschränkt sie sich auf das rechtlich Durchsetzbare, sitzt ihr die AfD mit Hohn und Spott im Nacken. Denn ausreisepflichtig sind tatsächlich nur 920 Syrer, davon 55 sogenannte Gefährder. Mit solchen Zahlen kann die Union nicht punkten.
Wadephul wird übelgenommen, dass er eine Diskussion losgetreten hat, die der Union nichts als Ärger einbringt. Der eigensinnige Lehrersohn, der als Fachanwalt für Medizinrecht tätig war und nie so recht aus Kiel herausgekommen ist, scheint (außen)politisch überfordert zu sein. Merz, so heißt es nun, habe kein glückliches Händchen bei der Personalauswahl, die Minister der CDU seien entweder unscheinbar oder unbeliebt.
Um den anschwellenden Bocksgesang noch rechtzeitig stoppen zu können, braucht es entweder einen Themenwechsel oder eine Regierungsumbildung. Letzteres könnte, mit etwas Glück, als Handlungsstärke des Kanzlers verkauft werden. Ersteres ist angesichts der wirtschaftlichen Stagnation nicht besonders erfolgversprechend. Manche in der Union träumen sich schon in die herrliche Zeit der Ampel zurück.
der Freitag 13.11.2025
Nur ein Absatz, aber der sagt alles. Der zeig das Dilemma, in dem die CDU steckt.
»Die Union steckt in einem Dilemma. Was sie auch tut, die AfD wird das Thema souverän beherrschen. Verschärft die Union ihre Migrationspolitik mithilfe Trump’scher Methoden, könnte die Regierungskoalition Schaden nehmen. Beschränkt sie sich auf das rechtlich Durchsetzbare, sitzt ihr die AfD mit Hohn und Spott im Nacken. Denn ausreisepflichtig sind tatsächlich nur 920 Syrer, davon 55 sogenannte Gefährder. Mit solchen Zahlen kann die Union nicht punkten.«
Der Streit um Johann Wadephuls Syrien-Aussagen zeigt ein Unions-Dilemma, das auch ein Außenminister Jens Spahn nicht lösen wird
In einer kleinen Ausstellung des schleswig-holsteinischen Freilichtmuseums Molfsee kann man jene Notunterkünfte sehen, die Hunderttausende Geflüchtete aus Pommern und Ostpreußen im Frühjahr 1945 beherbergten: Karge Wellblechhütten, schäbige Barackenlager. Wohnungen waren rar. Geheizt wurde mit Torf, der Zugang zu den Waschräumen war reglementiert, die Lebensmittelrationen reichten nicht. Viele litten Hunger.
Deutschlands Außenminister Johann Wadephul, der in Molfsee lebt, war 1945 noch nicht geboren, aber angesichts der Zustände in den Flüchtlingslagern hätte wer voller Mitgefühl gesagt: „Hier können wirklich kaum Menschen richtig würdig leben.“ Was blieb ihnen übrig? Sie mussten die Notzeiten durchstehen und das Land wieder aufbauen. In Damaskus aber sagte Wadephul angesichts der großen Zerstörungen: „Zum jetzige Zeitpunkt“ sei eine Rückkehr syrischer Flüchtlinge „nur sehr eingeschränkt möglich“.
Damit hat sich der Minister eine veritable Empörungswelle eingehandelt. Seine Aussage zur fast unmöglichen Rückkehr syrischer Flüchtlinge schließt nämlich direkt an die unselige Stadtbild-Debatte an. Nur sind diesmal die anderen empört. In Deutschland, das 1945 zwölf Millionen Flüchtlinge aus den verlorenen Ostgebieten integrieren musste, kommt es nicht gut an, wenn man Härten, die der eigenen Familie aufgebürdet wurden, anderen nicht zumuten will. Uns hat auch niemand geholfen, heißt es dann. Warum kann man den Syrern, die nach Deutschland geflüchtet sind, den mühsamen Wiederaufbau ihres Landes nicht zumuten? Die sollen nach Hause gehen und anpacken.
Die CDU weiß natürlich, dass das nicht so einfach ist. Die Welt hat sich weiterentwickelt, die Rechtslage ist kompliziert, aber die Union ahnt auch, dass die AfD und rechte Influencer-Medien von Nius über Elon Musks X bis zur Bild-Zeitung genau diese Melodie spielen werden. Gelobt sei, was hart macht. Uns wurde damals auch nichts geschenkt. Was soll denn schlimmer sein als die totale Verwüstung der deutschen Städte am Ende des Zweiten Weltkriegs?
Die Debatte ist inzwischen derart entgleist, dass sich die SPD schützend vor den angegriffenen CDU-Minister werfen muss. Wadephul, so Adis Ahmetovic, der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, genieße großes Vertrauen, „sowohl in der Bevölkerung, als ach im Parlament“. Nur nicht in der Unionsfraktion,. Wenn man der Süddeutschen Zeitung glauben darf. Die registrierte nach dem Auftritt Wadephuls vor seinen Fraktionskollegen eine „Stimmung zwischen Entsetzen, Sarkasmus und Ratlosigkeit“. Aus dem „Herbst der Reformen“ sei durch „desaströse Kommunikation“ ein „Herbst des Verdrusses“ geworden. Bild frohlockt: „Der Außenminister wackelt“, aus der Jungen Union kommen erste Rücktrittsforderungen und hinter vorgehaltener Hand wird angeblich schon über Personalrochaden „getuschelt“. Jens Spahn, so Bild, könnte Wadephul ablösen, Kanzleramtsminister Thorsten Frei würde als Fraktionsvorsitzender nachrücken. Ob die Union diese klare Anweisung der Bild-Zeitung umsetzt, steht freilich infrage. Der Kanzler müsste das rasche Scheitern seiner „Außenpolitik aus einem Guss“ eingestehen. Und mit Spahn hätte er einen extrem ehrgeizigen Konkurrenten am Kabinettstisch sitzen.
Während die Unruhe in der Union weiter steigt, bewegt sich in der Frage der Syrien-Rückkehrer wenig. Von den knapp eine Million in Deutschland lebenden Syrern sind seit dem Fall des Assad-Regimes nur wenige Tausend in ihre Heimat zurückgekehrt. Auch Reisekostenzuschüsse und Starthilfen bewirkten kein Umdenken. Im Gegenteil. In den vergangenen vier Jahren wurden 226.050 Syrer eingebürgert, mehr Menschen als aus jeder andere Nation. Viele wollen lieber hierbleiben als in ein instabiles Land zurückkehren.
Die Union steckt in einem Dilemma. Was sie auch tut, die AfD wird das Thema souverän beherrschen. Verschärft die Union ihre Migrationspolitik mithilfe Trump’scher Methoden, könnte die Regierungskoalition Schaden nehmen. Beschränkt sie sich auf das rechtlich Durchsetzbare, sitzt ihr die AfD mit Hohn und Spott im Nacken. Denn ausreisepflichtig sind tatsächlich nur 920 Syrer, davon 55 sogenannte Gefährder. Mit solchen Zahlen kann die Union nicht punkten.
Wadephul wird übelgenommen, dass er eine Diskussion losgetreten hat, die der Union nichts als Ärger einbringt. Der eigensinnige Lehrersohn, der als Fachanwalt für Medizinrecht tätig war und nie so recht aus Kiel herausgekommen ist, scheint (außen)politisch überfordert zu sein. Merz, so heißt es nun, habe kein glückliches Händchen bei der Personalauswahl, die Minister der CDU seien entweder unscheinbar oder unbeliebt.
Um den anschwellenden Bocksgesang noch rechtzeitig stoppen zu können, braucht es entweder einen Themenwechsel oder eine Regierungsumbildung. Letzteres könnte, mit etwas Glück, als Handlungsstärke des Kanzlers verkauft werden. Ersteres ist angesichts der wirtschaftlichen Stagnation nicht besonders erfolgversprechend. Manche in der Union träumen sich schon in die herrliche Zeit der Ampel zurück.
der Freitag 13.11.2025
Nur ein Absatz, aber der sagt alles. Der zeig das Dilemma, in dem die CDU steckt.
»Die Union steckt in einem Dilemma. Was sie auch tut, die AfD wird das Thema souverän beherrschen. Verschärft die Union ihre Migrationspolitik mithilfe Trump’scher Methoden, könnte die Regierungskoalition Schaden nehmen. Beschränkt sie sich auf das rechtlich Durchsetzbare, sitzt ihr die AfD mit Hohn und Spott im Nacken. Denn ausreisepflichtig sind tatsächlich nur 920 Syrer, davon 55 sogenannte Gefährder. Mit solchen Zahlen kann die Union nicht punkten.«
Man könnte fast sagen, die CDU hat fertig.