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Regionaltreffen Oktober 2022 - Textilmuseum Zell i.W.
Schneller – schneller – immer schneller
der Leitgedanke der Textilindustrie im Wiesental
In einer viele hundert Quadratmeter großen Shedhalle (=Sägezahndach) der ehemaligen Zell-Schönau-AG in Zell finden sich am 10.10.2022 Freund*innen der Feierabendgruppe „Basel und das Dreiländereck“ zum Oktobertreff zusammen. Hier befindet sich das Wiesentäler-Textilmuseum. Und genau hier wird ihr in etwa 90 Minuten Aufstieg und Niedergang der Wiesentäler Textilindustrie nahe gebracht...
Vorab kurz zusammengefasst: 1 Meter Stoff kann auf dem hölzernen Schaft-Webstuhl aus dem Jahr 1850 in einer Stunde gewebt werden. Die mechanische Schaft-Webmaschine aus dem Jahr 1925 schafft 2 Meter in der Stunde; die im Jahr 1949 konstruierte Maschine 5 Meter; das Nachfolgemodell aus dem Jahr 1980 produziert 18 Meter in der Stunde. Und die Luftdüsenmaschine schießt den Faden so schnell hin und her, dass man mit dem Auge gar nicht mehr folgen kann.
Doch zurück zu den Anfängen. Das Wiesentäler Textilmuseum ist ein äußerst lebendiges Museum, das die 200 jährige Geschichte der Textilindustrie anschaulich macht. Besonders verständlich wird alles weil einige Maschinen noch in Betrieb gesetzt und von ehemaligen Mitarbeitern der Firma vorgeführt werden können.
In vielen Schwarzwälder Bauernhöfen standen Handwebstühle in denen vor allem in den Wintermonaten In Heimarbeit gewebt wurde. Im Jahr 1820 entstanden im Wiesental die ersten Fabriken mit Handwebstühlen, um 1840 zogen die mechanischen Webstühle und die Lohnarbeit in die Fabriken ein.
Das Kapital für den Ausbau der Textilindustrie kam überwiegend aus der Schweiz. Das weiche Wasser der Wiese war sehr geeignet zum Bleichen der Stoffe und zum Antrieb der Maschinen. Billige Arbeitskräfte gab es genug, da die Schwarzwälder durch ihr bis dahin privates Weben das Handwerk bereits beherrschten.
Baumwolle kam aus dem Vorderen Orient, die qualitativ Beste aus Ägypten. Für den Warentransport wurde 1862 in Schopfheim die erste Bahnstrecke als Privatbahn im Großherzogtum Baden eröffnet. Im Jahr 1876 konnte die Strecke bis Zell erweitert und bis 1889 als Schmalspurbahn bis Todtnau verlängert werden.
Und die Maschinen ratterten und ratterten und ratterten ... wurden stetig weiterentwickelt, verbessert. Monsieur Joseph-Marie Jacquard (1752 – 1834) entwickelte ein Lochkartensystem mit dessen Hilfe auf dem Webstuhl Bildmotive gewebt werden können. Ein Vorläufer der Vollautomaten.
Die Arbeit war hart, der Verdienst karg, Arbeitstage dauerten bis zu 15 Stunden und dies an sechs Tagen in der Woche. Männer, Frauen und Kinder vom 9. Lebensjahr an arbeiteten in den Fabriken. Bis zu 300 Maschinen standen in einem Saal. Um das Jahr 1980 herum betreute ein Weber 32 Maschinen. Die Lautstärke betrug bis zu 98 Dezibel.
In den besten Zeiten waren im Wiesental 20 000 Menschen mit dem Spinnen, Weben, Bleichen, Färben, und Ausrüsten der Stoffe beschäftigt.
1954 noch einmal ein großer Aufschwung. Frau, ich betone ausdrücklich – es war die Frau des Vorstandsvorsitzenden Georg Färber – Dore Liesel Färber erfand die bis dahin unübliche bunte, gestreifte Bettwäsche und den Markennamen „Irisette“. Ein großer wirtschaftlicher Erfolg.
Wie ging es weiter? Bis 1965 herrschte Hochkonjunktur, später mussten Werke verkauft werden, 1993 schloss als letztes Werk die Weberei Schönau. Die Textilindustrie hatte sich in andere Teile der Welt verlagert.
Ehrenamtliche haben sich zusammengefunden damit die Geschichte der Textilindustrie nicht in Vergessenheit gerät. Mit großen Augen haben wir bei der Führung die Schätze der Industriegeschichte zum Teil in Aktion bestaunt. Die Saitenflechtmaschine, Spinnmaschine, Webstühle, Lochkartenvervielfältigungsmaschine, Musterbücher, Musterzeichnungen. Die kostbaren Stoffe die für die traditionellen Boubous der Westafrikaner gewebt wurden.
Doch wie immer bei Feierabend-Veranstaltungen: Nun kommt das Topping (wie das neudeutsch so heißt); ich sage immer noch lieber Sahnehäubchen.
An einem goldenen, goldenen Oktobertag geht es hinauf nach Pfaffenberg. Käthe hat schon vor Wochen im „Berggasthof Schlüssel“ Tische für uns bestellt. Wir werden herzlich empfangen, das exzellente Essen ist so schön garniert, dass man es fast nicht essen sondern nur anschauen möchte.
Ein letztes Zusammensitzen auf der besonnten Terrasse. Wir können uns gar nicht losreißen. Aber es wird ein nächstes Mal geben.
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