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An dieser Stelle könnt Ihr in den nächsten Wochen die spannenden
Nachfolge-Erlebnis- Geschichten von „Tröpfchen“ lesen.
Habt Ihr euch schon mal Gedanken darüber gemacht, was ein Wassertropfen alles erleben kann? So ein Wassertropfen ist lebendig und hat viel zu erzählen.
Die vorangegangenen Geschichten könnt ihr jederzeit unter „Ältere Gedichte und Geschichten von Etti“ nachlesen. ( Extrafach für Etti, rechts auf unserer FA-Seite)
Und nun viel Spaß beim Lesen!

Geschichte Nr. 2

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In dieser Nacht wird Tröpfchen unsanft aus seinen Träumen gerissen. Zwar dämmert der Morgen schon herauf, aber nicht in den schönen prächtigen Farben, wie Tröpfchen es Tag für Tag erlebt hat, seit es von der Erde zurück gekehrt war. Dunkel und drohend zeigt er sich.
Und nun, getrieben von Winden, herum geschubst, herum gewirbelt, ahnt es, dass es bald wieder abwärts gehen wird. „Nur nicht wieder ins Meer!“, ruft es.
Die anderen in der Wolke sind verwundert, denn seit Tröpfchen wieder bei ihnen ist, sind dies die ersten Worte, die es spricht.
„Es hat ihm wohl da unten nicht gefallen“, flüstern sie und beginnen schadenfroh zu lachen.
Das Lachen vergeht ihnen bald, denn immer mehr Wolken treibt der Wind aus allen Richtungen heran und machen den Morgen rabenschwarz. Dann geht alles furchtbar schnell. Sturmwolken türmen sich wie Blöcke aus blaugrauem Eis, die sich tiefer und tiefer senken. Blitze zerreißen den Himmel, gefolgt von gewaltigen Donnerschlägen. - Furchterregend!
Noch nie hat Tröpfchen auf dem Weg nach unten so viel Angst gehabt. Mit einer Wucht, die nicht zu beschreiben ist, stürzt es inmitten der Wassermassen ins Unbekannte.
So schnell, wie die Sturzflut begann, ist sie auch schon wieder vorüber. Für Tröpfchen hat es eine Ewigkeit gedauert.
Ängstlich hält es seine Augen fest geschlossen, öffnet sie erst wieder, als es einen Geruch von nassem Laub, von Holz und Erde wahrnimmt.

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Ich bin zwar nicht im Meer, schwimme aber, doch sehe ich keinen Himmel, denkt es. Während es sich neugierig umschaut, stößt es immer wieder gegen Baumwurzeln, die aus dem Wasser ragen und muss jedes Mal einen Bogen schwimmen.
„Verflixt, wo bin ich nur?“ ruft es ungeduldig. „Ein Wald in einem See? Was für lange Stämme der Wald hat. Das grüne Dach über den Stämmen lässt ja kaum Licht durch. Wo ist nur der Himmel?“
Noch nie hat Tröpfchen einen so merkwürdigen Wald gesehen. Auch viele Vogellaute sind ihm fremd. Da klingt es eben noch, als schaukele jemand auf einer rostigen Sprungfeder, und im nächsten Moment sind es schrille Schreie, die dem seltsamen Vogel antworten; und alles hallt, wie Tröpfchen es schon einmal erlebt hat, irgendwann an einem verregneten Sonntagmorgen. Auf einem Regenschirm war es in eine Kirche gelangt. Wie unter einer großen Glocke hallten da die Worte des Mannes auf der Kanzel, der Gesang der Leute und die gewaltigen Klänge der Orgel. Und doch war da ein großes Schweigen zu spüren - ein Schweigen, das dem des Himmels gleichkam und das weder die Stimmen der Menschen noch die Klänge der Orgel zu stören vermochten.

Genauso, findet Tröpfchen, ist es unter diesem grünen Blätterdach. Aber damals in der Kirche hatte es sich nicht so einsam gefühlt wie jetzt. Ja, obgleich umgeben von Millionen anderer Tröpfchen, fühlt es sich einsam. Keine Menschen, kein Himmel, keine Sonne. Und wie oft verändert es seine Farbe? Mal ist es smaragdgrün wie ein Frosch, mal braun wie ein knorriger Baum. Nur das lichte Blau des Himmels kann es nicht annehmen.

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Plötzlich durchfährt Freude seinen glasklaren Körper, als es ein weiches Stupsen, ein zärtliches Streicheln spürt und sich inmitten vieler Fische sieht. Noch nicht einmal unter die Wasseroberfläche braucht es seine vorwitzige Nase zu stecken. In dem seichten Wasser ist es den Fischen ganz nah. Rechts, links und unter ihm schwimmen sie ganz unbeschwert. Und dicke Frösche springen fröhlich von Wurzel zu Wurzel, wobei sie jedes Mal, wenn sie das Wasser berühren, mit ihren Hinterbeinen Tröpfchen einen ordentlichen Stoß versetzen.

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Alle kommen sie schneller vorwärts als Tröpfchen, das nur träge dahingleitet.
Viel Zeit muss vergangen sein, als ein Rauschen die Luft erfüllt, das mehr und mehr zu einem ohrenbetäubenden Tosen anschwillt. Der merkwürdige Wald hat sein Aussehen verändert. Die Baumwurzeln sind von einer dichten Vegetation überwuchert, dahinter das Flimmern eines Flusslaufes, in den reißende Wassermassen donnernd von Felsen in die Tiefe stürzen, schäumend - hinein in den Nebel der Gischt, die durch die Geschwindigkeit und den Aufprall des Wasser erzeugt wird. Nun kann Tröpfchen auch den Himmel sehen, einen herrlich blauen Himmel, von dem die Sonne das aufgebrachte Wasser wie einen Berg von Kristallen funkeln lässt. Zwischen ihnen entdeckt Tröpfchen viele kleine Regenbögen, und es erinnert sich an den glücklichsten Augenblick seines Daseins, als es helfen durfte, einen großen wunderbaren Regenbogen zu schaffen.
Überwältigt von der Heftigkeit des herabstürzenden Wassers, ruft es in den tosenden Lärm hinein: „Welch eine Kraft doch in uns steckt. Nichts auf der Welt kann stärker sein!“

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Als Tröpfchen seine Artgenossen so fröhlich und ausgelassen von der Rutschpartie herumtollen sieht, verspürt es doch ein wenig Neid, nicht unter ihnen zu sein, nicht mit ihnen lachen zu können. So viel Spaß bekommt es alleine nicht.
Selbst Schuld, eingebildetes Tröpfchen, warum verträgst du dich auch nicht mit den anderen.
Eine dicke Baumwurzel lässt Tröpfchen nicht zum Ufer gelangen. Es sitzt regelrecht fest. Doch eh’ es sich versieht, hat die ausgelassene quirlige Schar das seichte Wasser lebendig gemacht. So fühlt sich Tröpfchen plötzlich hoch gehoben, und - schwupp, geht’s tanzend und springend hinein ins volle Leben, gepackt von einem süßen Gefühl von Freiheit, das Tröpfchens Herz vibrieren lässt. Außer Atem gleitet es einen Augenblick später als Teil des wieder ruhig und gelassenen dahinziehenden Flusses weiter; vorbei an schweigenden, von Lianen umschlungenen Wäldern, zu deren Unterholz die Sonne noch nie vorgedrungen ist. Vorbei an höllenschwarzen Felswänden, an Ufern, an denen Wasservögel im seichten Wasser mit ihren langen Schnäbeln nach Fischen jagen. Tröpfchen kann sich gar nicht satt sehen an den scharlachroten Ibissen, den Reihern auf ihren langen staksigen Beinen oder den Löfflern, wie sie mit ihren löffelartigen Schnäbeln den Schlamm durchwühlen.

Das herrliche Blau des Himmels ist wieder verschwunden, die Sonne von Regenwolken verdeckt, als das Tuckern eines Motors zu hören ist und aus einem Seitenarm des Flusses ein Boot kommt. „Menschen!“ jubelt Tröpfchen, als es vier Männer darin erblickt. Es müht sich, in ihre Nähe zu gelangen. Aber das Boot rauscht vorüber und lässt Tröpfchen hinter sich. Vom aufgewühlten Wasser wird es in die Nähe des Ufers gedrängt, und mit einem Gefühl der Verlassenheit lässt es sich weiter ins Ungewisse treiben.
Das Boot, das für Tröpfchen vor einer Weile noch unerreichbar war, liegt plötzlich dicht vor ihm, zwar leer, aber festgemacht an einem Steg, der geradewegs zu einer Hütte führt.
Tröpfchens Herz jubelt. Alles wird es tun, es nicht wieder zu verlieren. Das Tau, mit dem das Boot befestigt ist, gibt ihm den nötigen Halt. Ganz fest wird es sich halten. Es weiß, dass dies die einzige Möglichkeit ist, schneller vorwärts zu kommen, denn der Fluss fließt träge dahin.

Endlich kommen die Männer aus der Hütte. In ihrer Begleitung ist wohl der Gastgeber mit seinem Hund. Beide sind mager und sehnig. Die Einsamkeit hat sie eins werden lassen.
Das Boot mit den Männern und Tröpfchen am Tau tuckert davon. Der Mann bleibt winkend am Ufer zurück.
Tröpfchen hat ganz schön Mühe, bei dem Tempo nicht abgeschüttelt zu werden, doch die Geschwindigkeit macht ihm Spaß. Für einen Moment verlangsamt sich die Fahrt.
„Ein verlassenes Farmerhaus“, sagt einer der Männer, „war vor vielen Jahren einmal eine imposante Villa. Jetzt hat sie der Urwald vereinnahmt“.
Tröpfchen schaut in die Richtung. Ganz vage kann es ein Haus erkennen. Wie Fangarme eines Polypen haben sich die Lianen um das Gebäude und durch die Fenster geschlungen.
Der Bootsführer hat den Motor wieder voll aufgedreht. Am Ufer fliegen erschreckt und kreischend ein paar Vögel auf. Eine halbe Stunde mag vergangen sein, als am linken Flussufer eine kleine Siedlung auftaucht. Etwas abseits ziehen Männer ein Netz mit zappelnden Fischen aus dem Fluss.
Für Tröpfchen werden Erinnerungen wach - schreckliche Erinnerungen an damals, als es im Meer schwamm und mit vielen tausend anderen Fischen in ein Netz geriet. Bis heute hat es noch nicht die Antwort auf seine Frage finden können, weshalb die Menschen dem Meer und den Fischen das Leben stehlen. Jetzt aber, beim Anblick dieser ausgezehrten Gestalten am Ufer, der ärmlichen Hütten, spürt es, dass diese Menschen fischen müssen, um zu überleben.

Es ist fast dunkel. Nur schemenhaft ist das Ufer zu erkennen. Der Fluss wird breiter und breiter. Es scheint, als öffne der Urwald seinen Rachen, um das Boot mit den Männern und Tröpfchen am Seil in die dunkle Hölle zu spucken. Doch dann tauchen plötzlich viele helle Punkte auf - Lichter, die sich im Wasser spiegeln. Eine Stadt? Ein herrlicher Gedanke. Tröpfchen weiß gar nicht mehr, wann der wütende Himmel es in diese Wildnis geschüttet hat. Ihm ist, als wäre es schon hundert Jahre in dieser dunklen geheimnisvollen Einsamkeit.

Die Fahrt ist langsamer geworden. Als gehe dem Boot jeden Moment die Luft aus, tuckert es hustend und spuckend seinem Ziel, der Anlegestelle, entgegen, einem freien kleinen Plätzchen zwischen großen und kleinen Schiffen mit und ohne Masten. Aufgereiht wie an einer Schnur stehen sie nebeneinander im matten Schein der Uferlaternen und lassen sich von den Wellen sachte in den Schlaf schaukeln. Auch Tröpfchen schläft sofort ein.

Die Sonne steht schon hoch am Himmel, als wunderbare Töne in Tröpfchens Bewusstsein dringen. Aus einer Kirche, die unweit der Uferpromenade steht, klingt Orgelmusik herüber - herrliche vertraute Orgelklänge. Sie strömen aus dem weit geöffneten Portal, ergießen sich über die Stadt, über das Wasser und verbreiten Andacht.
Aus einer von vier weißen Pferden gezogenen Kutsche steigt ein Brautpaar. Tröpfchen hat nur Augen für die wunderschöne ganz in weiß gehüllte Braut. Aufgebauscht vom Wind umweht der lange Schleier das Paar. Es scheint, als schwebe eine weiße Wolke auf das Kirchenportal zu.
Die Glocken der kleinen Kirche hört Tröpfchen jetzt nur noch entfernt, denn bei dem wunderschönen Anblick hatte es vor Freude das Tau losgelassen. Nun trägt die Strömung es fort, vorbei an gepflegten Parkanlagen, lärmerfüllten Straßen, Marktbuden mit schreienden Händlern. Vorbei an Villen, Palästen und den Behausungen der Ärmsten an Berghängen.

Die Abwechslung, die Tröpfchen herbeigesehnt hatte, ist vorüber. Die Flussufer sind wieder näher zusammengerückt, und es scheint, als atme der Urwald Tröpfchen und seine Artgenossen wieder ein.
Aber statt der bedrückenden Stille ist die Luft von einem Rauschen erfüllt wie neulich, als Tröpfchen durch das grüne Dach endlich wieder den Himmel sehen konnte. Das Rauschen wird zu einem Dröhnen, zu einem ohrenbetäubenden Donnern. Wie von Geisterhand fühlt Tröpfchen sich gezogen, und mit rasender Geschwindigkeit geht es wie auf einer Rutschbahn hinein in die schäumende Gischt.
Als es wieder zur Ruhe kommt, macht es eine furchtbare Entdeckung. Der große See ist von einer unüberwindbaren Mauer umgeben. Tröpfchen befindet sich in einem Staubecken, eingeschlossen wie in einem Gefängnis. Es ist verzweifelt. Wann wird es hier je wieder herauskommen?

© Etti Ruhöfer - 22.02.2010




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Das nächste Erlebnis vom „Wassertröpfchen“ könnt Ihr an dieser Stelle in ca. 14 Tagen lesen.

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