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Aber wenn es doch gut tut‭ ‬...


Lisas Irrtum bestand wohl darin,‭ ‬dass sie damals geglaubt hatte,‭ ‬ihr Geheimnis wäre lediglich nur eine Geschmacksache,‭ ‬obwohl ihre innere Stimme etwas anderes sagte.‭ ‬Daran erinnerte sie sich wieder,‭ ‬als sie im Keller nach der Dekoration für den Geburtstagstisch suchte und‭ ‬in einem verstaubten Karton eine Bluse fand,‭ ‬die ihr irgend wann mal Schwiegermama zusammen mit einem petrolfarbenen Kostüm,‭ ‬einem passenden Hut und Spitzenhandschuhen verordnet hatte.‭ ‬Sie war der Meinung,‭ ‬all dies gehöre zu einer richtigen Dame.‭ ‬Schwiegermama glaubte immer zu wissen was für Lisa gut war‭ ‬...
Obwohl Lisa das Kostüm nach einer Zeit zähneknirschend‭ ‬lieb gewonnen hatte,‭ ‬natürlich nur wegen Schwiegermama,‭ ‬trennte sie sich von ihm.‭ ‬Es war ihr zu aufdringlich geworden,‭ ‬schmiegte sich an,‭ ‬als wolle es sie erdrücken.‭
Schwiegermama war sichtlich verstimmt,‭ ‬und Lisas innere Stimme sagte:‭ “‬Ich habe dich gewarnt.‭ ‬Du solltest‭ ‬...‭!” ‬Aber wollte Lisa‭? ‬Außerdem‭ ‬wusste sie inzwischen selbst,‭ ‬was für sie gut war.
Die Bluse,‭ ‬die wegen der kostbaren Spitze zur Wiederverarbeitung in den Keller gewandert war,‭ ‬lag nun vor ihr,‭ ‬und es drängte Lisa,‭ ‬sie anziehen.‭ ‬Das Vorderteil reichte im Umfang nur von einer Brustwarze zur anderen und die Armlöcher der ärmellosen Bluse umspannten ihre Oberarme wie Schraubstöcke.‭ ‬Jede Bewegung schmerzte.‭ ‬Mit diesem fatalen Ergebnis hatte sie wirklich nicht gerechnet‭! ‬Da stand sie nun mit ausgestreckten Armen vor Paul und sagte lachend:
‭“‬Kannst du dir vorstellen,‭ ‬dass mir die einmal
gepasst hat‭ ‬?”
Paul grinste‭ ‬hinterhältig‭ ‬und meinte,‭ ‬sie sei jetzt eine doppelte Existenz.‭ ‬-‭ ‬Zwar gemein,‭ ‬aber wo er Recht hat,‭ ‬hat er Recht.‭ – ‬Bestimmt wären seine Blick vernichtend gewesen,‭ ‬wenn er die Ursache dieser Verdoppelung gekannt hätte,‭ ‬die Lisa,‭ ‬so gut es ging,‭ ‬für sich behalten hatte.
Sie schaute in den Spiegel‭ ‬-‭ ‬na und‭? ‬Von ihrer Fülle werde sie an ihrem Geburtstag mit allen Mitteln ablenken.‭ ‬Sie wird sich festlich schmücken,‭ ‬wie einen Oldtimer auf Hochglanz polieren,‭ ‬das Haar mit einem leichten Rotstich tönen,‭ ‬ein dezentes Make-up,‭ ‬und um Gottes Willen kein zu enges Kleid.‭ ‬Schließlich muss man ja nicht alles preisgeben‭ ‬...‭ ‬Viele werden kommen,‭ ‬um mit ihr anzustoßen.‭ ‬Sie wird die bei solchen Gelegenheiten üblichen Komplimente höflich lächelnd über sich ergehen lassen und sich fühlen wie ein dicker gut gepflegter Mercedes mit,‭ ‬wie sie glaubt,‭ ‬noch mächtig viel Schubkraft unter der Haube und einem Motor,‭ ‬der zwar etwas zu stark gefettet,‭ ‬aber sonst total in Ordnung ist,‭ ‬wie man ihr neulich noch bei der‭ “‬Inspektion‭” ‬bestätigt hat.‭
Aber die doppelte Existenz will ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen.‭ ‬Sie kommt nicht mehr am Garderobenspiegel vorbei,‭ ‬ohne sich ständig zu betrachten‭ ‬...‭ ‬Da sind diese kleinen Schwellen um Augen,‭ ‬Mund und Wangen,‭ ‬die an eine verkehrsberuhigte Straße erinnern.‭ ‬Immer wieder versucht sie mit den Daumen rechts und links der Wangen die Haut etwas zu den Ohren hin zu straffen‭ ‬-‭ ‬sozusagen nach dem Jugendantlitz zu forschen‭ ‬...‭ ‬Eine vage Erinnerung ist da schon noch.‭ ‬Aber der Lack ist ab.‭ ‬Was soll’s‭?” ‬Schönheit und Weisheit gesellen sich eben nur selten.‭ ‬Sie wird sich eben nur mit der Weisheit begnügen müssen.‭ ‬Schließlich kann man nicht alles haben‭”‬.‭
Dafür aber schwimme sie jetzt,‭ ‬wie es irgendwo geschrieben stand,‭ ‬auf der so‭ ‬genannten zweiten Leistungswelle.‭ ‬Sollen die schönsten Jahre des Lebens sein.‭ ‬Ha,‭ ‬ha‭! ‬Abwarten‭! ‬Irgendwo und irgendwann wird sich diese Leistungswelle ja bemerkbar machen.‭ ‬
Irgendwo‭ ‬...‭? ‬O Gott‭!
“Madame haben ja schon wieder zugelegt‭!”
Warum gehen die Pfunde auch nur statt in die Breite nicht in die Länge‭? ‬Und warum nur wird im Alter die Körperkraft weniger,‭ ‬während die Pfunde mehr werden‭? ‬Was ihr weit‭ ‬geschnittenes Kleid nun wieder ausfüllt,‭ ‬beunruhigt sie jetzt doch ein wenig,‭ ‬denn auch ihre Taschen werden immer größer,‭ ‬sind mit den Jahren genauso gewachsen wie der Stoffverbrauch für ihre Kleider.‭ ‬Was schleppt sie auch alles mit sich herum‭? ‬Zellstoffartikel,‭ ‬Faltencreme,‭ ‬Puderdose,‭ ‬Pillchen für den Kreislauf,‭ ‬gegen Kopfschmerzen,‭ ‬Herztropfen,‭ ‬sie weiß nicht,‭ ‬was noch alles.‭ ‬Die neue Tasche zeigt auch schon wieder Beulen.‭ ‬Aber‭ ‬-‭ ‬gerade wollte sie sagen,‭ ‬besser die Tasche als ich.‭ ‬Doch der Blick in den Spiegel gebietet ihr zu schweigen.‭ ‬Was ist denn geworden aus der weich‭ ‬fließenden Linie ihres erst kürzlich neu erworbenen Kleides,‭ ‬unter dem sich alles so toll verbergen ließ‭? ‬Nun muss sie ja schon wieder die Garderobe erneuern‭! ‬-‭ ‬Vielleicht sollte sie doch nicht mehr‭ ‬-‭ ‬oder wenigstens weniger‭ ‬...‭?
Hat Paul nicht neulich gesagt,‭ ‬rundliche Frauen wären gemütlich,‭ ‬gutmütig und warmherzig‭? ‬Dann mag er doch pummelige Frauen‭! ‬Und wenn Paul pummelige Frauen mag,‭ ‬warum sollte sie da nicht ihr Geheimnis lüften und ihm endlich sagen,‭ ‬dass es die Champagnertrüffel sind,‭ ‬die sie immer pummeliger werden‭ ‬lassen.‭ ‬Dann wäre endlich Schluss mit den Heimlichkeiten,‭ ‬und sie könnte ohne schlechtes Gewissen und in aller Ruhe ihre geliebten Trüffel weiter essen.‭
Aber was wäre,‭ ‬wenn Paul doch anders dächte und sie am Ende womöglich verzichten sollte‭? ‬Was bliebe ihr dann noch ohne diese braunen,‭ ‬schmelzigen,‭ ‬in Zucker gehüllten Köstlichkeiten‭? ‬Sie sind es doch,‭ ‬die all ihre geheimen Sehnsüchte überwinden helfen.‭ ‬Sie sind es,‭ ‬die ihr Freude am Leben und die Kraft dazu geben,‭ ‬wo doch Kraft und Freude im Alter ohnehin mehr und mehr nachlässt.
Zum Glück gilt das ja nicht für die innere‭ ‬Kraft,‭ ‬der sie sich längst bewusst werden durfte.‭ ‬Sie ist einfach ein Gottesgeschenk,‭ ‬diese innere Kraft‭! ‬-‭ ‬Nur sollte sie nicht unbedingt alles so stark nach außen drücken.‭ ‬
Aber da Lisa nun mal für ihr Leben gern Champagnertrüffel isst,‭ ‬beschließt sie jetzt kraft ihres Alters,‭ ‬ihr Geheimnis weiterhin zu wahren,‭ ‬die genüssliche Versuchung niemals aufzugeben und ihrem Anblick im Spiegel einfach mit Humor zu begegnen‭ ‬...

Copyright:‭ ‬Etti Ruhöfer

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