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Die letzten Kriegstage


„Lebt er?“ fragte Mutter während sie gebannt auf den weißen Zettel blickte. Der junge Soldat nickte, tippte mit dem Zeigefinger verlegen an den Rand seines Käppis und verschwand, sichtlich gerührt über die Freude, die seine Botschaft bereitet hatte.
„Er lebt! Er lebt!“ rief Mutter immer wieder. „Er liegt verwundet in einem Lazarett in Ravensburg - in Ravensburg - gar nicht weit von hier - Günter lebt“! Dabei weinte sie.
Erst vier Wochen wohnten wir in Biberach. Vater hatte uns nach den letzten schweren Angriffen in die Evakuierung geschickt - Mutter, die ältere Schwester Hanna, die beiden Kleinen und mich.
Vater durfte die Stadt nicht verlassen, er war beim Sicherheits- und Hilfsdienst und Günter, unser Bruder, musste mit achtzehn an die Front. Schon lange waren Briefe an ihn ohne Antwort geblieben. Aber Mutter hatte ihm unentwegt alles berichtet, so auch von der Evakuierung.
Zwar war schon hinter vorgehaltener Hand davon gesprochen worden, dass der Krieg bald zu Ende sei, aber wer wusste schon was Genaueres? Und da klopfte doch eines Tages tatsächlich dieser junge Soldat an die Tür ihres neuen Zuhauses, überreichte einen Zettel und sagte ganz einfach: „Von Ihrem Sohn“.
Nichts auf der Welt hätte die Mutter davon abhalten können, ihn dort zu suchen, auch nicht das Näherrücken der Front, das schon zu hören war. Hals über Kopf wurden die Rucksäcke gepackt, und große, kleine und noch kleinere Füße machten sich auf den Weg von Biberach nach Ravensburg, vertrauend darauf, gelegentlich mal von einem Fahrzeug mitgenommen zu werden.
So war es dann auch. Ein Bauer hatte Erbarmen mit der kleinen Gruppe und nahm sie auf seinem Pferdefuhrwerk mit. Irgendwann aber raste plötzlich ein Tiefflieger auf das Fuhrwerk zu.
„Runter vom Wagen!“ rief der Bauer. Die in Panik geratenen Pferde bäumten sich auf und rannten los, noch bevor alle vom Wagen springen konnte. Durch den plötzlichen Ruck fielen sie auf die Straße. Kugeln peitschten die Erde auf, die Kinder schrien, und die Mutter hatte Mühe, sie in das angrenzende Kornfeld zu ziehen. Der schwarze Riesenvogel entfernte sich für einen kurzen Moment, um sich dann wieder aufheulend auf die am Boden Liegenden zu stürzen. Dann war es still - beklemmend - erleichternd - still.
„Die schießen auf alles, was sich bewegt“, rief dann der Bauer, „gehen Sie zu dem Hof dort drüben und warten Sie, bis es dunkel geworden ist“.
Die Bäuerin hatte den Angriff beobachtet und ließ alle ins Haus.
Als es dunkel geworden war, setzte die kleine Gruppe ihren Weg fort, das Grollen der Front im Rücken, ein glutroter Himmel über dem angestrebten Ziel wie auf dem Weg in die Hölle...
Auf der dunklen Landstrasse lag ein erschossenes Pferd im getrockneten Blut. Das Weiß seiner Augen leuchtete gespenstisch in der Dunkelheit. Die Kleinen schrien vor Angst. Ihre Schreie zerrissen die Stille einer Feuerpause. Ein Trupp Soldaten mit Panzerfäusten auf den Schultern tauchte aus dem Dunkel auf - lautlos. Ihre Stiefel waren mit Lappen umwickelt.
„Sie sind hier in Frontnähe, verhalten Sie sich ruhig!“ Leise, aber bestimmt war die Aufforderung. Dann hatte die Nacht den Trupp verschluckt. Einsamkeit wieder ringsum. Klein und schutzlos fühlte sich Lisa. Der Schutz ihrer Mutter hatte an Bedeutung verloren in der Weite unter dem blutroten Himmel ...
Vielleicht hatte die Mutter diese Angst gespürt und ein Gebet zum Himmel geschickt, denn irgendwann kam ein Lastwagen, dessen Fahrer sie mitnahm. Es war ein Verwundetentransport auf dem Weg zu einem Lazarett in der Stadt unter dem roten Himmel. Der Transporter fuhr ohne Licht. Niemand sprach ein Wort. Nur das leise Summen der Motoren und das verhaltene Stöhnen der Verwundeten waren zu hören.
Es war schon hell geworden, als Ravensburg zu sehen war. Vor der Stadt brannten die Munitionsdepots. In einem Auffanglager, einer großen Halle mit ein paar hundert Betten, belegt von Männern, Frauen und Kindern, fand die kleine Gruppe Unterkunft. In dem Chaos der Stadt, zwischen den vielen Verwundeten fanden sie Bruder Günter.
In den nächsten Tagen war die Artillerie nur noch selten zu hören. Ravensburg wurde kampflos übergeben. Jubelnd empfingen die Menschen die französischen Befreier, bewarfen sie mit Blumen. Wie ausgelassene Kinder gebärdeten sich die Soldaten, sprangen von ihren Panzern, umarmten Leute, die ihnen Blumen an die Stahlhelme steckten. Es gab keinen Unterschied zwischen Gewinnern und Verlierern. Es gab nur überglückliche Menschen...

Zu Hause wartete Lisas Vater auf seine Familie. Geduld war nie seine Stärke gewesen und Warten schon gar nicht. Er befand sich in der englischen Zone, die Familie in der französischen. Überwechseln ohne Passierschein war nicht möglich. Aber nicht für Lisas Vater.
Kurzerhand nahm er sein Fahrrad und machte sich in der Hoffnung, von den Besatzern nicht erwischt zu werden, auf den Weg nach Biberach, wo er aber niemanden antraf. Sie sind zu Hause, dachte er wohl freudig, schwang sich wieder auf sein Rad und trampelte zurück nach Duisburg. Dort fand er die Nachricht: „Wir sind in Ravensburg. Haben Günter gefunden!“
Vater, Vater, du hättest besser in Duisburg bleiben sollen. Aber, so war er nun mal. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er nicht mehr davon abzubringen. Er stieg wieder aufs Rad, und ab nach Ravensburg. Das Verhängnis nahm seinen Lauf...
Inzwischen, den heißersehnten Passierschein in der Tasche, machten sich fünf glückliche Menschen von Ravensburg auf den Weg über die wiederhergestellte Bahnstrecke in Richtung Duisburg. - Armer Vater!
Das Glück der Familie wäre nach Vaters Rückkehr vollkommen gewesen, hätten da nicht insgesamt zweitausendachthundert erfolglos geradelte Kilometer die freudige Erwartung getrübt...

von Etti Ruhöfer


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