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Ungeahnte Perspektive

Stellen Sie sich vor, Sie gehen in ein Kaufhaus und dort, wo sonst die Spielwarenabteilung war, werden plötzlich Männer feilgeboten (oder auch Frauen, aber davon sollen Männer gefälligst selber träumen) - Männer also jeden Typs, jeden Alters und in verschiedenen Preislagen. - Oder aber auf ihrer Straße könnte man die Herrlichkeit preiswert in einem second-hand-shop ergattern. - Nicht schlecht, was? Wie wäre es mit der Reinigung nebenan, Männer schlaff, zerknittert, befleckt im Tausch gegen frisch gereinigte, gestärkte und gebügelte?

Diese und ähnliche Gedanken kamen mir damals ganz plötzlich in den Sinn, nach dem eine Freundin mir den gut gemeinten Rat gab, ich solle mich doch mal wieder für das andere Geschlecht interessieren. „Versuch es doch mal mit der Zeitung“, hatte sie gesagt, „vielleicht machst du ja ein gutes Schnäppchen“. Ein Schnäppchen aus der Zeitung. Eine blöde Idee! War es da ein Wunder, dass meine Gedanken solche ausgeflippten Formen annahmen?
Halb tot hatte ich mich gelacht. Danach bekam ich fast eine Psychose; sah haufenweise Männer auf Wühltischen liegen, grapschende Frauenhände, die ihre Schnäppchen gut verpackt nach Hause trugen, sah ihre Beute auspacken, ausprobieren und die Panik in ihren Augen, wenn ihnen bewusst wurde: Umtausch ausgeschlossen...

Aber irgendwie begann der gute Rat meiner Freundin in meinem Kopf zu rotieren. Es war auch gerade Frühling. So gab ich tatsächlich eine Anzeige auf, doch mit dem Vorsatz, mir erst einmal einen Spaß daraus zu machen. Zugegeben, es war nicht die feine englische Art.
Es war ein Sonntag im Mai. Ein wunderschöner Sonnentag. Alles ist noch in meiner Erinnerung: das junge Grün, das zarte Rosa der Flamingos, sommerliche Stoffe im leichten Wind, fröhliche Kinder und eine Blechlawine die den Frühling um seinen Duft brachte. Für all das hatte ich zwar kaum einen Blick, dennoch prägten sich mir die Bilder ein.

Meine Aufmerksamkeit galt mehr einem Herrn, zu dem ich mindestens schon fünfzehn Minuten im Schutz der vielen Zoobesucher hinübergeschaut hatte. - In der rechten Tasche meines Jacketts wird eine Zeitung stecken, hatte er geschrieben. - Sollte ich ihn ansprechen? Und wenn es nun ein anderer ist, der auch eine Zeitung...? Vielleicht sollte ich doch lieber...? Fragen, die in Wirklichkeit nur ein Hinauszögern bedeuteten. Aber ich war zu neugierig, denn von den vielen Briefen, die ich erhalten hatte, war seiner wirklich beachtenswert. Blöde Situation! Wir werden uns gegenüberstehen und begutachten wie bei einer Fleischbeschau. Schrecklich! - Hätte ich mich doch nur nicht auf dieses Treffen eingelassen. Ich wusste, dass es nichts bringen würde.

Dann standen wir uns gegenüber und meine Verlegenheit ging unter in der albernen Vorstellung, dass ihm seine abstehenden Ohren eigens als Tragflächen für seine dicke braunumrandete Brille gewachsen sein könnten. Er schien etwas unsicher, als könnte er meine Gedanken lesen. Abstehende Ohren mochte ich nicht. Außerdem hatte ich ihn mir ganz anders vorgestellt. Er passte einfach nicht so richtig zu dem lockeren lebendigen Plauderton auf den dicht beschriebenen Seiten seines Briefes.
„Sie haben den Wunsch, einen gebildeten Herrn kennenzulernen“, schrieb er, „Voila, da bin ich! 49 Jahre jung, dunkles Haar, braune Augen und, wie es sich für einen kultivierten Herrn gehört, mit einer Brille“.

Ganz schön selbstbewusst dieser Herr! dachte ich. Und wenn eine Brille einen kultivierten Herrn ausmacht, so muss dieser außergewöhnlich kultiviert sein.
Es war mir schon recht, als er einen Waldspaziergang vorschlug, so brauchten wir uns nicht anzuschauen. Es fällt mir sowieso leichter, einen Menschen nach der Stimme zu beurteilen, denn die verrät meistens, was er zu verbergen versucht.

Drei Stunden Waldmarsch, und dabei plauderte und plauderte er bis seine Nasenspitze und Ohrläppchen gerötet waren. - Mein Kopf übrigens auch. Aber er gab sich tatsächlich auch so charmant, lebendig und locker wie er schrieb - doch endlos. Der Spaziergang dauerte und dauerte.
„...und ich liebe es, zu faulenzen, ein gutes Buch zu lesen, nett zu plaudern und lange Spaziergänge zu machen, zu zweit oder allein“. Er hatte es ja angekündigt!
Da lag nun schon das ganze Leben eines Junggesellen vor mir ausgebreitet: gute Kondition, beste Eigenschaften. Voila, ist er nicht ein Teufelskerl? - Dieser Schlawiner! Jetzt sucht er wohl nach einem sicheren Hafen.

Ich war das Herumlatschen leid. Mein Magen knurrte. Junggesellenmägen scheinen wohl nie zu knurren, dachte ich.
Jedenfalls saß ich an diesem schönen Sonntag im Mai total müde und halb verhungert endlich mit meinem „Schnäppchen“ in einem Restaurant beim Essen. In seinen Augen glaubte ich Entsetzen zu entdecken, als mein Teller ratzeputz leer war, während er von seinem Schnitzel nur die Hälfte geschafft hatte.
Natürlich weiß ich längst von seinen Gedanken über mich, die nicht gerade schmeichelhaft waren...

Ach, da kommt er ja gerade von seinem Waldspaziergang zurück. Ganz schön grau ist er geworden. - Ach, da fällt mir noch etwas ein: Von seinem Haar schrieb er damals: Mein Toupet auf dem Foto ist kein Toupet, sondern mein echtes Kopfhaar, so recht zum zärtlichen Zersausen...
Das hatte mir besonders gefallen.

Etti Ruhöfer


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