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Weihnachtsbananen


Nirgendwo auf der Welt konnte Weihnachten schöner sein als bei uns zu Hause. Damals gab es noch den ruhigen nicht immer satten Frieden, von dem ich in den ersten Jahren meines Lebens noch ein ganz kleines Zipfelchen erwischt hatte. Ein Zipfelchen, erfüllt von Pferdegetrappel auf den Straßen, von der Glocke des Milchmanns, dem Flötenspiel des Lumpenmanns, und in der Weihnachtszeit vom Geläute der Engelchen auf der Spitze unseres Tannenbaumes.

Durch den Rest meiner Kindheit wälzte sich der Krieg. Seine Bomben zerstörten unser Zuhause. Es gab keine Weihnacht mehr in der behaglichen Wohnküche mit dem gemütlichen braunen Ledersofa und dem Herd, dessen Platte im Winter oft glühendrot schimmerte, und in dessen Backofen sich die durchgefrorenen Füße so herrlich wärmen ließen, bis sie prickelten. Es gab auch die Schaukel nicht mehr, die im Rahmen der Speisekammertür befestigt war. Schaukeln war herrlich! Ich schwebte über das Sofa und hinein in die Kammer, hin und her. Manchmal stieß ich mir den Po an den Regalen, die Vater selbst geschreinert hatte wie unsere Küchenmöbel.

Sehr arm waren wir, aber meine Geschwister und ich spürten das kaum. Unsere Wünsche wurden meist erfüllt, weil unsere Eltern einfach alles konnten. Schon Wochen vor dem Fest war Vater nur im Keller zu finden. Er sägte, schmirgelte, und im ganzen Haus duftete es nach Holz. Mutter nähte immerzu, meist bis spätabends. Unser Schlaflied war das Summen der Nähmaschine.

An ein bestimmtes Weihnachtsfest erinnere ich mich ganz besonders. Viele Ereignisse hatten mich total aus dem Häuschen gebracht. Onkel Franz, Vaters Bruder, hatte sich angesagt. Er war Artist wie Vater, bevor dieser Mutter heiraten durfte. Onkel hatte es irgendwann nach Amerika verschlagen. Alle freuten sich, ihn endlich kennen zu lernen, und Vater freute sich auf das Wiedersehen.

Mich aber beschäftigt viel mehr Mutters Versprechen, mich in die Kirche mitzunehmen - zum ersten Mal! Noch heute fühle ich ihre Hände unter meinen Achseln, als sie mich hochhoben, auf den Tischsetzten und mir weiße Kniesstrümpfe und schwarze Lackschuhe anzogen. Noch nie hatte ich so schöne Schuhe besessen. Sie glänzten noch schöner als der Linoleumboden in unserer Küche, den Vater immer mit dem schweren Bohnerbesen bearbeitete. Zuletzt holte Mutter für meine Schwester und mich die Festtagskleider aus dem Schrank. Schon vor langer Zeit fertig genäht, warteten sie im Verborgenen auf diesen Tag.

Vater konnte nicht mit zur Kirche gehen. Er musste zu Hause auf Onkel Franz warten. Und dann musste er auch noch einen Tannenbaum zaubern, weil, wie so oft, dazu das Geld nicht mehr gereicht hatte. Den Tannenbaum machte er aus einem Besenstiel. Er bohrte Löcher hinein, in die er Tannenzweige steckte. Vater wusste sich immer zu helfen.

Der Weg zur Kirche schien mir unendlich lang, und die Treppen zum Kirchenportal viel zu hoch für meine kurzen Beinchen. Richtig ausholen musste ich bei jeder Stufe. Bestimmt wäre ich gestolpert, hätte mir nicht Mutters warme weiche Hand Halt und Sicherheit gegeben. Die Sitzfläche der Holzbank, in die Mutter mich gesetzt hat, war schrecklich breit, so breit, dass meine Fußspitzen gerade eben über ihren Rand hinausragten. Unser Platz war direkt neben einer Säule, an der auf einem kleinen Podest die Mutter Maria mit dem Jesuskind stand. Sie schaute es genauso lieb an, wie Mutter mich immer lieb anschaute. Damals wusste ich noch nicht so genau, wer die Frau oben an der Säule war. Sie hieß wie meine Mutter und lächelte ebenso wie sie. Ich fand sie wunderschön. Auf dem Weg nach Hause musste ich immer an sie denken.

Onkel Franz war inzwischen angekommen und saß mit Vater im Schlafzimmer auf der Chaiselongue, die ihren Platz vor den Betten hatte. Die Tür zur Wohnküche war verschlossen. Ein weiteres Zimmer gab es nicht. Es duftete geheimnisvoll nach Weihnachten. Meine Geduld war zum Zerreißen gespannt. Das Gerede um mich herum wollte kein Ende nehmen.

Irgendwann verschwand Vater hinter der geheimnisvollen Tür. Kurze Zeit später war endlich das vertraute Läuten der Engel zu hören, die, auf der Spitze des Tannenbaumes, angetrieben von der Wärme der brennenden Stearinkerzen, unsere Weihnacht einläuteten. Dann öffnete sich die Tür.

Was da alles unter dem Tannenbaum stand! Ein Pferdestall für meinen Bruder, ein Kaufladen für meine Schwester, und für mich eine Puppenküche, die genauso aussah wie unsere große Küche - hellgrün und mit kleinen Perlleisten verziert. Hinter den oberen Glastüren waren hübsche Gardinen angebracht, die Mutter genäht hatte. Sogar die kleine Uhr hatte den grünen Rahmen der „echten“, die über dem Ledersofa an der Wand hing. Alle unsere Puppen trugen neue, von Mutter genähte Kleider. Natürlich gab es auch etwas zum Anziehen. Und statt des Häufchens Zucker, das Mutter sonst für jeden nach dem Mittagessen auf den Tisch gab, um unseren Süßhunger zu stillen, lagen Süßigkeiten auf den Tellern.
Vor Aufregung hatte ich gar nicht bemerkt, wie Onkel Franz eine kleine Kiste unter dem Sofa hervorgezogen und geöffnet hatte. Die große Überraschung nahm ich erst wahr, als alle nach einer ungewohnten Stille zu lachen angefangen hatten. Die Kiste enthielt eine undefinierbare schwarze Masse, die herrlich duftete. Das waren einmal Bananen! rief Onkel Franz enttäuscht. Dieses Ergebnis seiner kostbaren, für unseren Geldbeutel unerschwinglichen Weihnachtsüberraschung hatte er allerdings nicht voraus gesehen.

Mutter brachte mich an diesem Abend erst ins Bett, als ich zwischen meinen Spielsachen eingeschlafen war. Ich spürte, wie sie mich zudeckte. Und als ich noch einmal die Augen öffnete, sah ich über mir ihr Gesicht. Im Schein der Lampe aus dem Nebenzimmer sah sie tatsächlich aus wie die Mutter Maria an der Säule.

Etti Ruhöfer, Dezember 2009

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