Der knallrote Flitzer
Die Landschaft rast an mir vorüber!
Ich liebe Schnelligkeit, denn ich bin ein Auto. Aber nicht irgendeines, sondern ein besonderes Exemplar, ein rassiges und extravagantes.
Was für eine Marke ich bin? Kann ich nicht sagen! Bin ein knallroter Flitzer mit offenem Verdeck, einer originellen Hupe und vielen Pferdchen unter der Haube. Scheint die Sonne, gleiße ich mit ihr um die Wette, regnet es, beschützt mich mein graurotes Dach und die Tropfen gleiten wie tausend kostbare Diamanten perlend über meinen glänzenden Lack.
Mein eingebauter Navigator ermöglicht Fahrten in ganz Europa.
In Italien muss ich wegen der Hitze oft ganz schön keuchen.
Im spanischen Pamplona hätte mich fast ein Stier auf seine Hörner genommen.
Schmale, staubige Sträßchen befuhr ich durch die Pyrenäen nach Portugal.
Und die Stadt der Liebenden ließ meinen Motor kribbeln, die melodische Hupe erklingen und meine Zündkerzen Funken schlagen zur Verwunderung meiner Insassen, die einen technischen Defekt vermuteten.
Die Personen, die ich beförderte, waren sehr verschieden. Wenn Frau fuhr, wusste Mann oft alles besser. Manchmal hielt SIE dann an und ließ IHN einfach aussteigen, um frech lachend weiterzufahren.
Einmal hatte ein in schwarzes Leder gekleideter Typ einen Hund dabei. Kaum im Fahrzeug, fing dieses Riesenvieh von Dogge an, meine Ledersitze zu beknabbern und besabberte meinen Innenraum. Vor Schreck blieb ich stehen.
Anschließende Beschwerde: „Die blöde Karre ist kaputt! Ich will mein Geld zurück!“
Angemietet von einem älteren Ehepaar, blieb das Verdeck trotz des schönen Wetters zu. ER streichelte IHR wiederholt das schlohweiße Haar und SIE küsste ihm dankbar die Wange. Sie gedachten ihrer Jugend, ihres Kennenlernens, der Hochzeit sowie der Geburt der Kinder. Mittlerweile war der Nachwuchs ausgeflogen und sie gönnten sich zum Hochzeitstag diese Fahrt. Liebevoll strich der Mann über meinen Lack und lobte mein Aussehen, was mich ganz verlegen machte und meine Scheinwerfer tränen ließ. Verwundert stellte es das Jubelpaar fest. Mit einem Blick zum wolkenlosen Himmel konnten sie das natürlich nicht verstehen.
Kinder liebte ich, ertrug auch geduldig die kneifenden Sitze, in die sie geschnürt wurden. Die Krümel übersah ich großzügig.
Aber auch Liebespaare kuschelten sich schmusend in meine weichen Polster.
Ein Geschäftsmann hatte mich gebucht und es ging mit durchgetretenem Gaspedal über die Autobahn. Am liebsten hätte ich Hurra geschrien. Das war so ganz mein Ding, da konnte ich zeigen, was in mir stecke. Plötzlich ein Stau! Ungebremst donnerten wir in die stehende Wagenkolonne. Es krachte, splitterte und ich weinte Benzin, Kühlwasser und Öl. Beim Todesstoß von hinten flog mein Rest Blech in hohem Bogen über die Leitplanke auf die Gegenfahrbahn, dort über ein weiteres Fahrzeug in den Wald.
War ich im Schrotthimmel?
Nein! – Später wurde ich an einem Haken abtransportiert und hörte etwas von „Reparatur lohnt sich nicht“ und „ist aber schade, so einen kriegen wir nie wieder.“
Irgendwann wurde ich erneut Stück für Stück hergestellt. Die verbliebenen Narben kenne nur ich und Eingeweihte.
Sehr gefräßig war ich schon immer, vor allen Dingen, wenn es mit hohen Geschwindigkeiten durch die Landschaft ging. Ich brauche nun halt Benzin, so wie alle Zweibeiner auch essen und trinken müssen. Diese Flüssigkeit ist mein Lebenssaft, ebenso wie Öl, auf das man achten muss.
Über ein Jahrzehnt habe ich nun meinen Dienst zuverlässig verrichtet, aber irgendwie geht es nicht mehr wie erwünscht.
Ich bin in die „Jahre“ gekommen!
Mein Lack ist stumpf geworden, die Scheinwerfer trübe und das Verdeck grau. Die Polster haben Flecken und das Leder glänzt nicht mehr, ist stellenweise abgeschabt. Das Lenkrad ist abgegriffen und die Scheiben haben kleine Macken.
Oft bocke ich nun und bleibe einfach stehen.
„Schon wieder ist die Batterie leer“, erfahre ich, „die Zündkerzen sind auch erneut verdreckt, der Motor scheppert ... die Karre muss weg!“
Entsetzt aber auch irgendwie erleichtert höre ich diese Worte.
Und dann ist es so weit, das Nummernschild wird abgeschraubt und es geht zum Schrottplatz. Ich kenne mein Schicksal!
Als ich in dieser Presse liege, die mich zu einem kleinen Paket formt, kann ich mein Stöhnen, Ächzen und Quietschen nicht unterdrücken.
Mein letzter Gedanke beruhigt mich irgendwie, denn ich weiß, dass viele meiner jüngeren „Kollegen“ inzwischen meinen Platz eingenommen haben. Auch sie werden, genauso zuverlässig wie ich, Menschen sicher über Straßen befördern und vieles dabei erleben.
Liebe Heidi wie immer eine schöne Geschichte von dir, ganz
lieben Dank und mach weiter so wir lieben so etwas.
Gruß Uschi
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