Die Farben des Lebens
Seit ich sie kannte, trug sie schwarze Kleidung
denn einer Witwe sind helle Farben fremd
geboren im Mai 1876 in Berlingen Kreis Wittlich
geheiratet im März 1908 einen Lehrer,
ihre große Liebe.
Sie gebar sechs Kinder...
ein Sohn starb im Alter von 7 Jahren an Diphtherie...
die Tochter mit sechs Monaten an Meningitis...
vier Mädchen überlebten...
Der erste Weltkrieg benötigte ihren Gatten.
Dieser erkrankte während seines Einsatzes in Mazedonien an Malaria
er verstarb im Lazarett
Von nun an trug sie zwei Eheringe.
Sie musste die Dienstwohnung räumen...
kam unter bei ihrer Schwester...
bis ihr eine Wohnung zugewiesen wurde.
Bescheiden und ernst, so kannte ich sie
sie drehte gern den Ehering von ihrem Liebsten um den Finger
sagte oft „ich hätte mir noch mehr Kinder geholt,
wenn mein Mann am Leben geblieben wär...“
„Oma, bekomme ich diesen großen Ring einmal?“
Schweigen...
Ihre Töchter hatten sich gut verheiratet
und wenn die Enkel kamen, schliefen diese stets in Omas Bett
und diese in der Küche auf dem Sofa...
Die rechte Seite des Ehebetts von Oma
blieb immer frei,
sie war bedeckt mit einem weißen Leinentuch
so als käme der Opa doch noch irgendwann zurück...
Am 1. September 1939 begann der zweite Weltkrieg...
es drohten wieder Bunkerjahre...
doch Oma hatte keine Angst vor Bomben...
ging furchtlos auf die Straße...
war überzeugt...
auf einen weißen Kopf schießen die nicht...
Nach dem Krieg der Wiederaufbau was zerstört...
ich komm zurecht, beteuerte sie...
ein Satz der von Genügsamkeit zeugte...
jedoch beschwerlich ihr Alltag...
Ofenheizung...
kein Badezimmer...
Toilette auf dem Hof...
keine Waschmaschine...
jeden Morgen Feuer im Herd anfachen...
und sie kochte hervorragend...
die Nachbarn holten sich oft ihre berühmte dunkle Soß'
sie besuchte ihre Töchter hin und wieder...
Leni die Älteste wohnte in ihrer Nähe...
diese kümmerte sich auch um sie...
als ihr der Alltag zur Last wurde...
siedelte sie über in die Familie ihrer ältesten Tochter.
Diese Veränderung ihrer Lebensweise machte ihr zu schaffen
sie versteckte heimlich Schokolade im Schrank...
und naschte stets davon, wenn‘s niemand sah...
welch Luxus, diese kleine Freude...
zum Glück war ihr Wesen bescheiden und geprägt von Verzicht...
Gern saß sie am Fenster zur Straße
schaute stumm auf die eilenden Menschen...
doch nie sah sie die hohen Berge und nie das große Meer...
In einer Nacht im September, man schrieb das Jahr 1967
reiste sie sanft umarmt von einem tiefem Schlaf ohne Wiederkehr
zu ihrem geliebten Ehemann.
Anmerkung: Ihr irdisches Leben währte 91 Jahre...
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