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Stöckelschuhe

Fast unerreichbar, diese bordeaux-farbenen Wildlederpumps. Mehr als eine Woche schlich ich täglich ums Schaufenster des Schuhgeschäfts. Wie nur könnte ich das Geld aufbringen? 75 DM! Ein stolzer Preis. Das magere Lehrlingseinkommen reichte schon hinten und vorne nicht. Beherzt frug ich schließlich die Verkäuferin, ob ich diese Schuhe auch in Raten bezahlen könne.

Stöcklschuhe in einem Regal

Aber natürlich, doch Sie müssen eine Anzahlung leisten, gab diese mir zu verstehen. 20 DM, meine „eiserne Reserve“, opferte ich für die Reservierung meiner Traumschuhe. Mir blieb exakt noch eine Restschuld von 55 DM und ich vereinbarte je 20 DM in zwei Monatsraten, und die noch fehlenden 15 DM legte ich dann bei Abholung auf den Tisch, denn meine Patentante Leni spendierte sie mir.

Es versteht sich von selbst, dass ich meinen Füßen jegliches meckern untersagte, wenn ich sie in diese absolut fantastischen Schuhe steckte. Die Mädchen aus meiner Clique überboten sich mit der Höhe ihrer Bleistiftabsätze, manchmal sogar um ganze 10 cm! Ritas weiße Stöckelschuhe hatten für kurze Zeit Siegerstatus.

Bis Anne uns mit atemberaubenden 15cm hohen Lackstilettos flashte. Besonders aber im Winter litten meine Füße still vor sich hin. Stundenlanges Gestöckel durch Eis und Schnee bei oftmals minus 8°C, total eingequetscht in den engen Pumps hatte selbst ich ab und zu Verständnis deren Qualen zu beenden.

Wieder zu Hause, legte ich mich rücklings auf den Teppich und zwängte die bereits steif gefrorenen bläulichen Zehen zwischen die herrlich warmen Heizkörperrippen. Nach einiger Zeit verspürte ich heftiges Kribbeln der Auftauprozess war in vollem Gange.

Welch ein erbarmungswürdiger Anblick bot sich mir nach etwa 10 Minuten: Rotverquollen sämtliche Zehen, dennoch waren meine treuen Füße erneut bereit mir weiterhin zu dienen.

Am gemütlichsten war es für diese in der Trianon Bar, eng an meinen Tanzpartner geschmiegt wiegten wir uns mit Elvis „Are You Lonesome Tonight“ im Ohr. Oder Dean Martins geschmachtetes „That’s Amore “ dahinschmelzend auf Augenhöhe (dank meiner 12cm Absätze) in den siebenten Himmel.

In den Pausen durften meine Füße vom Schuhwerk befreit unter dem Tisch zusammen spielen, während ich mit Robert Cola-Bacardi genoss. Doch eigentlich habe ich das „elegante Stöckeln“ nie gekonnt, ich bekam einfach diesen graziösen Beckenschwung nicht hin, der sanfte Dreh meiner Hüften wollte mir partout nicht gelingen.

In der Familie hieß es, ich hätte diese typischen „Leonard“-Füße (ein Erbe der Großmutter aus väterlicher Linie). Bei dieser Bemerkung entdeckte ich stets eine süffisante Schadenfreude auf den Gesichtern der Verwandten. Nicht ohne meine Stöckelschuhe, schwor ich mir dennoch, und unerbittlich malträtierte ich weiterhin gnadenlos die zugebenermaßen etwas zu groß geratenen 39 ½, ich missbrauchte sie ungeachtet ihres mannigfaltigen Grolls, ohne auch nur den Anflug eines schlechten Gewissens zu verspüren.

Schmale, mit goldenen Riemchen verzierte Traumsandaletten, welche stolze 15cm hohe Absätze schmückten, tanzten mit mir Sylvester inmitten einer fröhlich ausgelassenen Gesellschaft in das Jahr 1963.

Der frühe Morgen blinzelte freundlich. Wohlig-müde stolperte ich stöckelnd zum bereits wartenden Taxi, doch mein rechter Fuß verfing sich in einem groben Gitterrost. Dies hatte zur Folge, dass sich meine Füße danach ganze fünf Wochen lang bequeme flache doofe Treter ertrotzten.

Autor: galen

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