Vom Chatten und anderen Möglichkeiten
Nächte in denen ein Sternenhimmel unwichtig zu sein scheint, sind ganz besondere Nächte. Eingebettet in virtuelles Urvertrauen sind seine Brusthaare zum Anfühlen nah – Worte sind geschrieben mit Seelentinte.
Sie geraten stürmisch ineinander, aneinander, trinken in kindlicher Freude Kelche voller wohltuender Beteuerungen.
Ihre Tagesbotschaften hingegen schmücken eine gänzlich andere Farbe, sind eher in ein blasses, vernünftiges Beige-Braun getaucht.
(Sie) Geht es dir gut?
(Er) Schreib ich dir später...
Dieses später beinhaltet Brisanz, löst bei ihr gieriges Kühlschrank-Plündern aus, dieses leicht dahin gewortete später.
Später dann sitzt sie viel zu früh an diesem Platz, welcher IHN ihr nahebringen wird – später.
Sie hat es gemütlich während des Wartens in ihrer bequemen Trainingshose plus dem verwaschenen Mickey-Mouse-Shirt, und dem mit Blomes Schönheitsöl verwöhntem Gesicht.
Sein „stummes“ Zappeln, schenkt nervöse Herzverkletterungen.
Wo mag Er sein? Er wird doch nicht etwa ---- fremdchatten?
Eine Nachricht ---- endlich! VON IHM!
befremdlich kühl seine Worte heute,
das Wichtigste jedoch, Er -- ist – da!
(Er) wie geht es dir?
(Sie) gut, sehr gut (sie lügt)
(Er) heute war so ein Tag, doch egal
(Sie) berichte, was war los?
(Er) Nein!
(Sie) na gut (sie lügt)
An diesem Abend wollten die Worte nicht samtig werden, sperrten sich hartnäckig gegen jeglichen Versuch, den ersehnten Erlösungsbeteuerungen entgegen zu driften.
(Sie) bist du müde?
(Er) Nein!
Die Nacht war bereits in voller Blüte, Er war da, doch war Er es wirklich?
(Sie) du bist heute so einsilbig
(Er) nö, das täuscht
(Sie) nein
---- Schweigen ----
(Sie) bist du noch da?
(Er) Ja!
Diese Nacht stellte sich stur und jeglicher Versuch, sie zu gewinnen, sie zu einer dieser flirrenden Hoffnungsnächte und Seelen verjüngenden trostspendenden Nächte zu entfachen, schlug fehl.
(Sie) ich denke, du bist nicht gut drauf heute
(Er) nicht so wie du denkst
(Sie) fürchte, dies ist nicht unsere Nacht
(Er) befürchte ich auch
(Sie) bis morgen dann wieder?
(Er) Ja
Der unschuldige Morgen konnte garantiert nichts dafür, dass sie alles, was ihr zu nahe kam, übellaunig beschimpfte.
Die Kaffeetasse, der Eyeliner, die sich bemühende Verjüngungscreme, der für ihre Begriffe zu anhängliche Haushund, der PC, den sie flatterhaft durchforstete nach nur einem einzigen Krümelwort von IHM.
Die üblichen Mail Botschaften überlas sie nervös, und die extrem belästigende Frage, mitten aus dem realen Leben: „Weißt du vielleicht, wo meine Brille ist?“ quittierte sie knapp mit einem „Im Papierkorb habe ich die zuletzt gesehen“.
Warum schreibt Er nicht? Will er sie bestrafen, gar mit ihr spielen, sie in Unsicherheit wiegen?
Am späten Nachmittag ignoriert sie trotzig den PC.
Wie armselig von diesem auch nur das Geringste zu erhoffen!
Sie gönnt sich eine Frischluftkur und trifft die „echten“ Menschen.
Sie plaudern freundlich, lächeln, schauen auf sie und ihren kleinen Hund herab, und aus manch Nasenlöchern blitzten vorwitzige feuchtverklebte Härchen.
Pärchen fortgeschrittenen Alters klammern sich fest an den Händen, queren ihren Weg, wortlos stolz verkündend, dass sie seit 50 Jahren zusammen durch Sturm und Feuer gingen.
Ob eine Nachricht von ihm eingetroffen ist?
Mit der Gewissheit, wie gut sie es doch hat, bestens versorgt und gesund, ach, das Leben ist so schön, begibt sie sich auf den Heimweg.
Sie klickt, noch ehe sie ihre Jacke, diese praktische Allwetterjacke, auf den
Bügel hängt, den PC ins virtuelle Leben und sucht mit noch vom Wind frischgefärbten Wangen nach der erlösenden Botschaft.
Unter all den liebgemeinten Meldungen befindet sich nicht diese EINE,
EINZIGE, welche sie sucht und sooooo sehr will.
Soll sie ihm keck vorab schreiben? Von ihrem Tag erzählen?
(Sie) Lieber Chris wie ist es Dir heute ergangen?
Mir geht es bestens, (lügt sie)
freue mich später auf Dich (das ist jetzt nicht gelogen)
lieben Gruß Sina
Die Nacht hat längst den Sternentisch gedeckt, sie beantwortet halbtastig die Treuemails, nebenbei durchforstet sie verschiedene Möglichkeiten, ihn aufzuspüren.
Er bleibt unsichtbar, schwebt in fernen Galaxien, ein Fragment, eine Illusion.
Kurz bevor sie diesem höhnisch grinsenden PC droht, (das technische Ungetüm besitzt letztlich die Macht, IHN zu verbergen) den Strom zu sperren, schwebt seine Nachricht Hallo wie geht es dir? über den Gott sei Dank, noch „lebendigen“ Bildschirm.
Sehr gut...
lügt sie frech, ohne rot zu werden!
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