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Wer hat Angst vor grauen Haaren?

Der „runde Geburtstag“ zum häufigsten Mal, und die Leute reden plötzlich deutlich lauter, wenn sie mir begegnen, besinnliche Worte auf mildfarbenen Karten erreichen mich, schaue aus dem Fenster und sehe nix Bedeutungsvolles, ganz normales Wetter, na also.

Lächelnde Frau mit Eis und Sonnenbrille

Ist es ein Anflug von „Schadenfreude“, welche aufblitzt beim Gratulieren, bei dem mich Umarmen von jenen, welche schon rundeten… oder etwa noch ein halbes Jahr Galgenfrist haben? Das sich plötzlich „fern“ Wähnen vom Geschehen der anderen, "seniorengerecht“, was bedeutet dies? Barrierefreies Wohnen?

Mon Dieu, ich will und kann meine Füße noch heben, denn wer räumt für mich den Wald auf, die Wurzeln weg, über die ich stolpern könnte. Oberschenkelhalsbruch - Klinik - Lungenentzündung und wenn man Glück hat, tot. Wer nur lässt sich solch Horrorszenarien einfallen? Es ist halt bequem und einträglich sich den jeweiligen "Schubladen“ zu bedienen.

Das vollbepackte Alltagsleben irritiert mich, besorgt beobachte ich die jüngere Generation, welche durch den Tag hetzt, der Illusion eines „ewigen Hier-Seins“ erlegen. Gibt es ein am „Lebensrand“ stehen? Ein am Ende des Weges sein? Eine „Randgesellschaft“? Die „medizinischen Vorgabewerte“, die dem Bewohner eines älteren Körpers nun Ängste bereiten? Dass man krank ist, am besten gleich chronisch? Mein einmaliger Körper, dieser kleine Kosmos, ich vertraue ihm weiterhin, denn in all den Jahrzehnten, die wir nun schon gemeinsam verbringen, hat er mich kaum enttäuscht, und nie wirklich im Stich gelassen.

Lebensabend? Ich befinde mich mitten im Leben, denn wenn man lebt, ist man stets mitten im Leben! „Omi“, fragt Carlotta meine Enkelin, „was machst du so den ganzen Tag?“ Kann es ja noch nicht wissen, das Kind, wie es sich anfühlt, ein solch langes Dasein hier auf Erden. Denn in mir wohnt immer noch die kleine freche Göre, welche heftig um die Zuwendung ihres Vaters buhlte und das Schulkind, das mit den Zahlen auf Kriegsfuß stand, dies mit Hingabe spielende Mädchen, inmitten seiner Freunde, welches in zahllosen Sommern bunte Ringelsöckchen trug. Den Milchzähnen gern den Laufpass gab und zahnlückig frech grinsend, die viel zu großen, sperrigen „Neuen“ willkommen hieß. Diese Achterbahngefühle tapfer ertrug, in Zeiten der Häutung zur Frau, erschwert durch eine bigotte Gesellschaft, weil äußerlich bereits reif, doch innen total unsicher wild aufs Erwachsen werden, tanzen wollen und ganz verzaubert vom ersten Kuss Mund zu Mund mit Bernd im Hinterhof. Bedenken, nicht hübsch genug zu sein, hoffend, keine alte Jungfer zu werden, viel zu früh „den Bund fürs Leben“ geschlossen, und mein erstes Kind wurde später dein Vater, Carlotta.

Ich erschrecke vor dieser Fülle, welche tiefe Spuren hinterließ, die zwar prägte, auch hin und wieder schmerzte. Während ich so überlege, aufzähle, was ich heute immer noch täglich so alles tue, bemerke ich, wie gut es mir trotz grauer Haare, die sich klug der Lebenslinien-Landschaft meines Gesichtes anpassten, doch geht.

Ein Lebensgeschichten „erzählendes" Gesicht wird jedoch leider negativ betrachtet und mit teuren Mittelchen soll ihm die Angst genommen werden, kein Hingucker mehr zu sein. Super junge Mädchen in deren Gesichter noch keine Spur von einer Berg- und Talfahrt-Biografie werben unbekümmert für den ewigen Schmelz der Jugend und wecken für gutes Geld Illusionen einer gutgläubigen Klientel. Ich gönne meinem Körper, was er verlangt, doch nie konnte mich die Kleidergröße 34 begeistern, blieb stets der 38 treu, denn wer glaubt denn schon ernsthaft, dass mit dem Alter automatisch die Fettsucht einhergeht?

"Bis morgens zehn schlafen, und spät ins Bettchen sinken, rumtrödeln, solange es mir gefällt und einer allzu aufdringlichen Uhr die kalte Schulter zeigen.", erfährt Carlotta, welche erstaunt fragt: „Du machst nichts?“ „Aber ja Kind, ich tue nur meist das, was mir Spaß macht, doch dies darfst du aber erst den ganzen Tag lang, wenn du so alt bist wie ich. Sogar das Geld, welches ich brauche, wird jeden Monat frisch für mich gedruckt, und das beste ist, ich bekomme es sogar geschenkt.“ Und erst jetzt weiß ich auch, was "ALLES ist EINS" bedeutet, auch lasse ich mich nicht mehr so leicht täuschen, geschweige bestechen.

Ein klein wenig skeptisch ist sie schon und meint: „Das ist doch langweilig.“
„Überhaupt nicht, Carlotta, und haste Lust aufn Eis beim Luigi?“
„Au Jaaaa!“

Autor: galen

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