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Caroline

Meine kleine Enkelin saß im Frühjahr bei den ersten wärmenden Sonnenstrahlen im Garten auf der Schaukel.
„Caroline“, rief ihre Mutter, „komm essen, es gibt Rosinenbrot.“
Das Mädchen lief ins Haus. „Rosinenbrot, Rosinenbrot“, sang sie vor sich hin. Das Wort gefiel ihr. „Weißt du was?“, sagte sie, „ab sofort heiße ich Caroline-Rosinenbrot.“
Die Mutter lachte, das Mädchen aß und eilte dann wieder in den Garten.

„Caroline! Oma ist am Telefon. Sie will mit dir sprechen.“
– Keine Antwort. –
Da fiel es der Mutter wieder ein. „Caroline-Rosinenbrot“, rief sie aus dem Küchenfenster und gehorsam trabte ihre Tochter ins Haus.
„Ich heiße ab heute Caroline-Rosinenbrot“, teilte sie mir, ihrer Oma, gleich mit. Nachmittags erfuhr ihre Freundin Petra die Neuigkeit.

Am darauf folgenden Sonntag gab es als Krönung des Mittagessens Himbeereis. Und weil der Nachtisch so gut schmeckte, verkündete das Mädchen: „Ab sofort heiße ich Caroline-Rosinenbrot-Himbeereis.“

„Caroline-Rosinenbrot, aufstehen“, rief die Mutter am nächsten Morgen. – Nichts rührte sich.
„Caroline-Rosinenbrot-Himbeereis“, schallte es durchs Haus – schon kam diese verschlafen und zerzaust aus dem Kinderzimmer.

„Caroline-Rosinenbrot-Himbeereis, ich habe kein Suppengrün mehr. Würdest du es für mich einkaufen?“
Das Mädchen lief zum Supermarkt. „Suppengrün, Suppengrün, Suppengrün“, murmelte sie vor sich hin.
„Spielst du mit?“ rief Petra. Sie saß vor der Haustür, rechts neben sich drei Puppen, links zwei Teddybären.
„Keine Zeit, ich muss Suppengrün einkaufen.“ – Suppengrün hört sich gut an, dachte sie und beschloss, dieses Wort an ihren Namen zu hängen.
„Kommst du gleich zum Spielen zu mir, Caroline-Rosinenbrot?“ fragte Petra, als sie auf dem Rückweg an ihr vorbeieilte.
„Ich heiße jetzt Caroline-Rosinenbrot-Himbeereis-Suppengrün.“
Petra hörte nur Caroline-Rosinenbrot-Himbeereis. Bei dem Wort Suppengrün war Caroline schon zu Hause in der Küche.
Ihre Mutter seufzte, halb belustigt, halb entsetzt: „Welch langer, umständlicher Name.“
Trotzdem rief sie „Caroline-Rosinenbrot-Himbeereis-Suppengrün“ wenn ihre Tochter aus dem Garten ins Haus kommen sollte. Es blieb ihr gar nichts anderes übrig. Ließ sie auch nur ein Wort aus, so gehorchte das Mädchen nicht.

Im April pflückte Caroline Schlüsselblumen.
„Gefallen sie dir, Mutti?“ fragte sie.
„O ja, sehr.“
„Sie sind für dich. Dafür musst du mich jetzt Caroline-Rosinenbrot-Himbeereis-Suppengrün-Schlüsselblume nennen.“

„Hoffentlich fällt dir nichts Neues mehr ein“, stöhnte die Mutter. „Setze dich jetzt an den Tisch, trinke deinen Kakao, dazu gibt es ein Stück Apfeltorte. Lass keine Kuchenkrümel auf den Boden fallen.“
„Kuchenkrümel – Kuchenkrümel“, wiederholte Caroline. Die Mutter hielt den Atem an und schon kam das, was sie bereits befürchtet hatte. „Caroline-Rosinenbrot-Himbeereis-Suppengrün-Schlüsselblume-Kuchenkrümel! Von nun an möchte ich so genannt werden.“

Nach den Sommerferien wurden Caroline und ihre Mitschülerinnen von einer neuen Lehrerin begrüßt. „Mein Name ist Frau Meinhard“, stellte sie sich den Kindern vor. „Jetzt sagt ihr mir der Reihe nach, wie ihr heißt.“
„Lukas“, „Clara“, „Sophie“, „Christian“, „Eva“ schallte es durch den Klassenraum. Die Lehrerin schrieb jeden Namen auf die große Wandtafel.
„Und wie heißt du?“
„Caroline-Rosinenbrot-Himbeereis-Suppengrün-Schlüsselblume-Kuchenkrümel“, antwortete Caroline.

Es wurde gekichert. Nur ihre Freundin Petra und die Lehrerin verzogen keine Miene. Das ist aber ungewöhnlich“, stellte Frau Meinhard fest und malte Silbe für Silbe auf die Tafel. Dann verteilte sie gefaltete Pappkartons. „Wisst ihr was, damit es mir leichter fällt, euch kennen zu lernen, schreibt jeder mit einem dicken Buntstift ein Namensschild und stellt es vor sich auf das Pult.“

Nach einer Weile ging Frau Meinhard von Bank zu Bank und betrachtete die Arbeiten ihrer Schützlinge. Die meisten hatten schon drei, vier Buchstaben aufgemalt; Petra und einige andere mit kurzen Namen waren bereits fertig. Auf Carolines Pappschild stand „Carolin“.
„Sehr schön“, lobte die Lehrerin. Aber das Mädchen war gar nicht zufrieden. Es blieben noch so unheimlich viele Striche, Bogen und Schleifen zu malen. Ihr wurde fast schwindlig, wenn sie auf die große Wandtafel schaute.

Bald waren alle Kinder fertig – bis auf Caroline. „Caroline-Rosinenbrot-Himbeer“ stand auf ihrem Schild.
„Heute Nachmittag kannst du zu Hause weiter üben“, sagte die Lehrerin freundlich lächelnd und gab ihr einen Zettel, auf den sie den langen Namen als Muster vorgeschrieben hatte. Dann wurde gerechnet.

„Na, Caroline-Rosinenbrot-Himbeereis-Suppengrün-Schlüsselblume-Kuchenkrümel, wie war die neue Lehrerin? Erzähle einmal!“ begrüßte die Mutter ihre Tochter nach Schulschluss.

„Keine Zeit. Muss Hausarbeiten machen“, antwortete das Mädchen und zeigte der Mutter ihr Pappschild. „Der Platz reicht nicht, ich muss auf der Rückseite weiter schreiben“, sagte Caroline und lief in ihr Zimmer.
Drei Stunden später kam sie in die Küche, mit roten Wangen vor lauter Anstrengung.
„Willst du jetzt essen, Caroline-Rosinen...“

„Ich heiße nur noch Caroline“, schrie das Mädchen dazwischen, „nur nach Caroline, hörst du! Wenn du noch einmal dieses fürchterlich lange Wort sagst, trete ich in den Hungerstreik.“
„Schon gut, Caroline. Komm und iss“, sagte die Mutter schmunzelnd.

„ – Aber wenn wir unter uns sind, dann könntest du mich doch noch manchmal Caroline-Rosinenbrot-Himbeereis-Suppengrün-Schlüsselblume-Kuchenkrümel nennen“, schlug das Mädchen mit vollen Backen vor. „Der Name gefällt mir so. Doch keiner darf davon wissen, außer dir und Petra, meiner Freundin und vielleicht Oma. Es soll ein Geheimnis zwischen uns sein.“
„Einverstanden“, lachte ihre Mutter. „Caroline-Rosinenbrot-Himbeereis-Suppengrün-Schlüsselblume, Kuchenkrümel“, flüsterte sie verschwörerisch.

Autor: Niagara

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