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Etti hat das Wort: Es weihnachtet wieder

„Weihnachten! - Weihnachten! Was soll der Unsinn noch?“ moppert Paul. „Kerzen, die man das ganze Jahr über brennen kann, Lieder, die man sich unwillig und mühsam aus der Kehle presst. Weihnachtsgeschenke einkaufen - der größte Blödsinn! Man kann sich doch zu jeder Zeit was kaufen und schenken. Und dann die maßlose Völlerei, bis dir speiübel wird. - Nur wegen Weihnachten? Ohne mich!“ -
Jedes Jahr die gleichen Einwände. Warum fragt Lisa ihn eigentlich immer wieder, was er essen möchte oder sie ihm schenken soll. Sie wird sich die vorweihnachtliche Stimmung durch nichts verderben lassen. Sie liebt Heimlichkeiten, die aus jeder Ecke zu knistern scheinen, die herrlichen Düfte in den Zimmern, liebt die Stimmung an den Festtagen. Kann Paul das alles vergessen haben? Etwas muss doch haften geblieben sein ...
Wie gern träumt Lisa sich in ihre Kindheit zurück. Nirgendwo auf der Welt konnte Weihnachten schöner sein, als bei Lisa zu Hause in der behagliche Wohnküche mit dem gemütlichen braunen Ledersofa, dem Herd, dessen Platte im Winter oft glühendrot schimmerte, und in dessen Backofen sich die durchgefrorenen Füße so herrlich wärmen ließen, bis sie prickelten. Da war die Schaukel, die im Rahmen der Speisekammertür befestigt war. Schaukeln war herrlich! Man schwebte über das Sofa und hinein in die Kammer, hin und her. Manchmal stieß Lisa sich den Po an den Regalen.
Ja, arm waren sie. Aber Lisa und ihre Geschwister spürten das kaum, ihre Weihnachtswünsche wurden meist erfüllt. Schon Wochen vor dem Fest war Vater nur im Keller zu finden, sägte, schmirgelte, und im ganzen Haus duftete es nach Holz. Mutter nähte immerzu, meist bis in die späte Nacht, und Lisas Schlaflied war das Summen der Nähmaschine...
An ein Weihnachtsfest erinnert sich Lisa ganz besonders. Mutters Versprechen, sie in die Kirche mitzunehmen beschäftigte sie. Zum ersten Mal durfte sie mit! Sie fühlt noch heute wie Mutter sie hochhob, auf den Tisch setzte, ihr weiße Kniestrümpfe mit Bommeln an den Seiten und schwarze Lackschuhe anzog. Noch nie hatte sie so schöne Schuhe besessen. Sie glänzten wie der Linoleumboden in der Küche, der von Vater immer mit dem schweren Bohnerblock bearbeitet worden war. Zuletzt holte Mutter das Festtagskleid aus dem Schrank, das schon seit langem fertig genäht im Verborgenen auf diesen Tag gewartet hatte.
Zum Kirchenportal hinauf führten mächtig hohe Stufen, die für Lisas Beinchen viel zu hoch waren. Fast klettern musste sie und wäre sicher hingefallen, hätte ihr nicht Mutters warme Hand Halt und Sicherheit gegeben. Als sie dann die Kirche betraten, legte sich die Stille auf Lisas Plappermäulchen, machte es stumm und andächtig. Die Sitzfläche der Holzbank, in die Lisa gesetzt wurde, war groß und breit, so breit, das ihre Fußspitzen gerade so eben über den Rand hinausragten. Über ihr, auf einem kleinen Podest stand die Mutter Maria mit dem Jesuskind. Sie schaute es genauso lieb an, wie Mutter Lisa immer lieb anschaute. Lisa wusste damals noch nicht, wer die Frau da oben an der Säule war. Sie hieß, wie ihre Mutter lächelte ebenso wie sie und war wunderschön. Auf dem Weg nach Hause musste Lisa immer an sie denken.
Lisas Vater, musste zu Hause bleiben, weil er einen Tannenbaum zaubern wollte, dafür nahm er einen Besenstiel, bohrte Löcher hinein, in die er Zweige steckte, die er beim Händler aufgelesen hatte. Für einen echten Tannenbaum fehlte meistens das Geld. Aber Vater wusste sich immer zu helfen. Die Vorbereitungen waren wohl erledigt, denn er saß im Schlafzimmer auf der Chaiselongue, die ihren Platz vor den Betten hatte. Die Tür zur Wohnküche war verschlossen, und es duftete geheimnisvoll. Lisas Geduld war zum Zerreißen gespannt.
Irgendwann verschwand Vater hinter der geheimnisvollen Tür. Dann war das vertraute Läuten der kleinen Engel zu hören, die, auf der Spitze des Tannenbaumes, angetrieben von der Wärme der brennenden Stearinkerzen, die Weihnacht einläuteten. Endlich öffnete sich die Tür! Was da alles unter dem Tannenbaum stand! Ein Pferdefuhrwerk für Lisas Bruder, ein Kaufladen für die Schwester und für sie eine Puppenküche, die genauso aussah, wie die Küche in der alle wohnten und die Vater auch selbst geschreinert hatte - hellgrün mit kleinen Perlleisten verziert. Sogar die kleine Uhr hatte einen grünen Rahmen wie die große, die über dem Ledersofa hing. Die Puppen trugen neue, von Mutter genähte Kleider. Natürlich gab es auch etwas anzuziehen. Und statt des Häufchens Zucker, das Mutter nach jedem Mittagessen auf den Tisch gab, um allen den Süßhunger zu stillen, lagen richtige Süßigkeiten auf den Tellern.
Ins Bett brachte Mutter Lisa erst, als sie zwischen ihren Spielsachen eingeschlafen war. Aber Lisa spürte noch, wie Mutter sie zudeckte. Und als sie noch einmal die Augen öffnete, sah sie über sich ihr Gesicht. Und im Schein der Lampe aus dem Nebenzimmer sah sie tatsächlich aus wie die Mutter Maria an der Säule...
Ob Paul solche Erinnerungen wirklich nicht hat? Aber am Heiligen Abend, das weiß Lisa, wird er sich, wie jedes Jahr, wenn auch widerwillig, ein anderes Hemd und eine andere Hose anziehen, um am festlich gedeckten Tisch einen weihnachtlichen Eindruck zu machen. Er wird es sich schmecken lassen, und danach die Weihnachtsgeschenke auspacken. Er wird die weihnachtliche Musik im Hintergrund ertragen und sich später vor dem Fernseher am Weihnachtsprogramm erfreuen. - Haleluja Paul!

Autor: Rosewittchen

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