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Capitaine Antoine Allard



„Du Dunkelheit, aus der ich stamme
ich liebe dich mehr als die Flamme,
welche die Welt begrenzt,
indem sie glänzt
für irgend einen Kreis,
aus dem heraus kein Wesen von ihr weiß.

Aber die Dunkelheit hält alles an sich:
Gestalten und Flammen, Tiere und mich,
wie sie's errafft,
Menschen und Mächte –

Und es kann sein: eine große Kraft
rührt sich in meiner Nachbarschaft.
Ich glaube an die Nächte“

Rainer Maria Rilke



Ich kann es nicht sagen, wie oft ich an diesem Kreuz zwischen Reben und Wald vorbei gelaufen bin ohne es weiter zu beachten. Es war aus meinem Wahrnehmungskreis entschwunden und die Inschrift kannte ich ja auch:

Capitaine Antoine Allard



Viele Jahre später, diese Strecke war ich lange schon nicht mehr gelaufen, blieb ich stehen. Es war an einem trüben Novembertag im letzten Jahr und irgendwie bekam ich das Bedürfnis, mir die Inschrift auf dem aus Granit gehauenen Kreuz genauer anzusehen. Jetzt erst fielen mir die eingeschlagenen Jahreszahlen auf:

1920* Capitaine Antoine Allard 1945†



Jetzt erst kapierte ich: Antoine war 1920 geboren und 1945 gestorben. Gestorben an diesem Ort, fern seiner Heimat, die normalerweise, wie aus dem Namen heraus zu lesen war, in Frankreich gelegen haben musste.
Ein junger Mensch, 25 Jahre alt, hat hier sein schreckliches Ende erlebt. Gestorben für den Wahnsinn des Krieges. Wie werden seine Mutter, sein Vater und die Geschwister erschrocken sein, als der Brief mit dem schwarzen Rand abgegeben wurde. Was muss an Tränen geflossen sein für Antoine, 25 Jahre jung. Gestorben für was? Ja, für was eigentlich. Wer kann diese verdammte Frage überhaupt beantworten?
Sicher hat man ihn als Helden hingestellt, gestorben fürs Vaterland und solchen Quatsch mehr. So einfach geht das aber nicht! Nein, Antoine könnte heute noch mit etwas Glück am Leben sein. Er wäre jetzt über 90. Er hätte ein gutes Leben mit einer Frau geführt. Die beiden hätten sich geliebt und es wären kleine Antoines oder Maries nachgewachsen und es gäbe Urenkel, an denen man sich freuen könnte. Nein, für Antoine ging es nicht gut aus.


Seitdem konnte ich mich vom Schicksal Antoines nicht mehr trennen. Ich dachte an ihn, wollte unbedingt herausbringen, was 1945 passiert war, dort oben zwischen Wald und Reben. Niemand aber, der im Umkreis des geheimnisvollen Granitkreuzes lebte, konnte mir Näheres sagen. Gut, dass hier ein Unglück in einer unglücklichen Zeit geschehen war, dass wusste jeder – aber was?
Durch einen Zufall stieß ich dann doch nach langem Suchen auf einen Protagonisten, der das Geheimnis lüften konnte.

Er war damals ein kleiner Junge von 10 Jahren. Der Krieg stand bereits vor dem Rhein und für Nazi- Deutschland Gott sei Dank verloren… Und ganz in der Nähe des Kreuzes stöberte er im Wald herum. Plötzlich hörte er Geräusche von Flugzeugen. Diese Geräusche, dieses schreckliche Brummen kannte er ganz genau und er wusste, das sind gefährliche Geräusche. Meist mit Tod und einem Flammenmeer verbunden. Er trat aus dem Waldstück heraus und sah drei Flugzeuge; an diesem klaren Apriltag 1945. Es waren kleine einmotorige Maschinen, Aufklärer müssen es gewesen sein, und sie befanden sich im Flug Richtung Frankreich. Sie flogen übereinander in einer Staffel. Plötzlich stürzte die obere Maschine nach unten, berührte das Flugzeug in der Mitte, in der mein Antoine saß. Sie fing Feuer und trudelte so schnell ab, dass Antoine keine Zeit mehr blieb auszusteigen.

Ich versuchte mich auf die Gefühle der der Flieger einzulassen. Sicher dachten sie, nun sind wir nur noch wenige Flugminuten von der befreiten Heimat entfernt, wo uns kein Feind vom Himmel schießen will.
Sicher dachten sie daran, dass sie die glorreichen Sieger sind. Sicher wollten sie heute Abend im Casino mit ihren Mädchen und Kameraden und viel Champagner auf die Niederlage dieses grausamen Feindes anstoßen. Wir werden ganz groß feiern, ja, ganz groß!
Wurden sie durch diese von mir hypothetisch gedachten Gedankengänge etwa leichtsinnig? Oder übermütig?

Leider fand ich trotz Bemühungen französischer Freunde kein Protokoll über die wirkliche Unfallursache, der am Tode von Capitaine Antoine Allard die Schuld gegeben werden kann.
Aber ich dachte an den immer noch mysteriösen Absturztod eines anderen Antoines – etwa ein Jahr früher – und über dem Mittelmeer; ebenfalls ein Opfer unseres sinnlosen und unmenschlichen Handelns:

Aus Nachtflug
„Wir wollen nicht ewig leben, aber wir wollen auch nicht alles Tun und alle Dinge plötzlich jeden Sinn verlieren sehen. Dann zeigt sich die Leere, die uns umgibt“

Der kleine Prinz
"Hast du Angst vor dem Tod", fragte der kleine Prinz die Rose. Darauf antwortete sie: "Aber nein. Ich habe doch gelebt, ich habe geblüht und meine Kräfte eingesetzt, soviel ich konnte. Und Liebe, tausendfach verschenkt, kehrt wieder zurück zu dem, der sie gegeben. So will ich warten auf das neue Leben und ohne Angst und Verzagen verblühen.“
Antoine de Saint-Exupéry

Daran erinnern ist wichtig und daran denken. Nichts ist niedriger und schlimmer auf unserer Welt, als die Pest des Krieges. Wir alle müssen unbedingt – wollen – es zu verhindern! Wir müssen alle den Krieg ächten und verdammen und ihn nie als Ziel unseres Handelns zulassen.

Soldatengräber

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