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Fritz, Blitz und ein Tenor

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Es war dieses verflixte Jahr 2008. Das Wetter spielte verrückt. Auf jeden bisschen Sonnenschein folgte augenblicklich ein böses Gewitter und der sich anschließende Starkregen fegte Straßen und Terrassen leer.
Noch nie habe ich so oft Sonnenschirme auf und zu geklappt.
Und dann sind wir auch noch nach England verreist. Aber da hat es, jeglichen Vorurteilen zum Trotz, nicht einen Tropfen geregnet, sondern täglich strahlte die Sonne ihre königlichen Majestät gnädig und huldvoll über unseren regenschirmunbedeckten Häuptern.

Da hatten wir Kontinental - Europäer es recht schwer und mussten, was das Wetter anbelangt (in England ist Wetter Thema Nr. 1), unverhohlenen schwarzen britischen Spott ertragen. Seit Jahren leben wir recht vergnüglich zu zweit in einem Hause. Bis vor etwa 2 Jahren Fritz bei uns einzog.

Fritz ist ein ruhiger Mitbewohner und er arbeitet bei Tag und Nacht. Er macht kein Lärm, hört keine Techno- Musik, macht keinen Dreck, trägt uns aber auch nicht den Müll runter. Doch ein Nachteil von Fritz ist: Er bezahlt keine Miete. Gut ich muss zugeben, er braucht auch nur wenige Quadratzentimeter Platz. Fritz hängt an der Wand in unserem Vorratsraum und in seinem rechteckigen Gesicht leuchten immer zwei grüne, gütige Äugelein, die mir sagen: Fritz unser Butler ist bei der Arbeit. Er denkt für uns, er leitet unsere Telefongespräche an den richtigen Apparat. Verbindet unseren Computer mit der großen weiten Welt. Wir lieben unseren Fritz!

In Basel landete unsere Maschine aus dem sonnigen England kommend direkt in einem blitzgeladenen kontinentalen Gewittersturm ersten Ranges.
Jetzt waren wir froh um unsere Regenbekleidung, die jeder Englandreisende immer mit sich führt, doch noch benutzen zu können. Trotzdem waren wir patschenass, bis uns unser Auto Schutz gewährte. Nach einigen Kilometer Fahrt auf der linken Straßenseite, blinkten uns andere Straßenbenutzer zu, dabei liebevolle Handzeichen gebend:

Bitte nehmt doch die rechte Fahrbahn. Was uns nach anfänglichen Verwunderungen daran erinnerte, wieder auf dem Kontinent zu sein.
Spät kamen wir nach Hause und wollten unser Versprechen einlösen, unsere Nichte in Newcastle anzurufen und ihr die glückliche Rückkehr auf das uns gewohnte Festland mitzuteilen. Leider ging unser Telefon nicht mehr. Hatte uns Fritz während unserer Abwesenheit einfach verlassen? War es ihm, dem treuen Verwalter unserer wichtigsten Technik, zu einsam geworden?
Ich war so saumüde, dass ich nicht mehr die Kraft hatte bei Fritz vorbeizuschauen und wir legten uns mit großem Behagen in die eigenen Betten.
Am anderen Morgen, ich hatte einige Stunden von Fritz geträumt und mir ausgemalt, wo er wohl zum Urlaubmachen hingegangen sein könnte? Wegen seines zackigen Namens tippte ich auf Berlin oder Brandenburg.
Könnte es sein er hat gar irgendwo eine stille Geliebte zum Beispiel in Potsdam, die er bei irgendeiner Leitungssuche kennen gelernt hatte?
An meiner Telefonrechnung konnte ich bis jetzt diesbezüglich aber nichts feststellen.

In Hauslatschen, mürrisch schlurfend suchte ich unsere Vorratskammer auf, um Fritz eine geharnischte Standpauke in freiem Badisch zu halten, ihm auch klarzumachen, dass gerade ein Preuße mit dem Namen Fritz besonders Pflichterfüllung bis zum Umfallen zeigen müsste, aber was musste ich sehen?
Fritz hing still an der Wand und hatte seine grünen Augen geschlossen.
Hello, ich war noch beim englischen, rief ich laut, alter Knabe, aufwachen, deine Mitbewohner sind wieder da. Doch Fritz gab keine Antwort. Mühsam über mehrere Gemüsekisten kletternd, klomm ich zu ihm empor. Fritz rief ich wieder, klopfte an sein Gehäuse, um den Elektronen einen Schreck einzujagen, zog an seiner Antenne wie ein Lehrer an den Ohren eines Lausbuben zieht, aber es nützte nichts. Fritz schwieg und wie ich erfahren musste, für immer.
Leise und vorsichtig nahm ich Fritzens Gehäuse von den Schrauben und trug ihn zu dem Händler, der mir Fritz einst, gegen einen Opulus, zu treuen Händen überlassen hatte.

Mit einem Instrument, ähnlich einem Stethoskop, horchte der Meister in die Eingeweide von Fritz hinein. Dann richtete er sich auf, schüttelte sein ergrautes Haupt und sagte die schicksalsschweren Worte: Exitus, Fritz ist tot, der Blitz hat ihn voll erwischt. Sein kleines C-RAM hat aufgehört zu schlagen, als 10.0000 Volt durch die Transistoren rauschten.
Ich nahm andächtig meine Baseballkappe ab. Der Meister versprach mir in Kürze einen neuen Fritz zu besorgen. Teilte mir aber gleich mit, dass das Gewitter zu einem Fritz-Massesterben geführt hätte. Die Leiche sollte ich mit nach Hause nehmen, denn es könnte sein, dass die Lebensversicherung von Fritz nur bezahlt, wenn ich den Toten präsentieren kann.

Nach einer erholsamen telefon- und computerlosen- Zeit war es dann endlich so weit: Fritz der Zweite konnte bei uns einziehen.
Bei dieser enormen Telefonabstinenz hatten sich kilometerlange Listen bei uns angesammelt, mit wichtigen An- und Rückrufen und Fritz 2 wäre mit der Leitungssucherei und dem Knüpfen von Verbindungen mehrere Tage beschäftigt gewesen. Aber Pfeifendeckel (alemannisch auch Pfiffedeckel), ein Ausdruck des Erstaunens bzw. Verwunderung, Fritz 2 verband uns zwar problemlos mit der Computerwelt, streikte jedoch konsequent bei der Telefoniererei. Trotz x-maliger Neuprogrammierung seiner Chromosome und Tests der DNA- Verkettungen - Fritz schwieg beharrlich!

In dieser Zeit verlor ich mein gesamtes Selbstvertrauen, da die mir anvertraute Lebenspartnerin den Glauben an das technische Genie, welches ich ihr schon oft mächtig demonstrieren konnte, und welches mich auch unersetzbar in unserer Partnerschaft zumachen schien, gewaltig zu wackeln begann.
Depressionen ergriffen mich, wenn ich Fritz 2 auch nur sah. Meinen Kopf hielt ich gesenkt und meine Partnerin ließ mich spüren, dass ich eigentlich nur ein minderbemitteltes, männliches Etwas sei, was nun mit aller Kraft der Emanzipation vernichtet werden musste.

Als ich wieder einmal sinnend, den Kopf auf die Brust gesenkt vor unserem Hause hin und her lief- ich hatte diese schicksalgeschwängerte Haltung einem Wissenschaftler (der hieß wohl Einstein) abgeschaut, den ich einmal in einem Film gesehen hatte, und der nach einiger Zeit des unablässigen Herumwanderns den Ruf ausstieß: - Hurra, jetzt hab ich die Weltformel gefunden-, sprach mich mein Nachbar an. Ja, was ich denn hätte, und könnte ich ihnen nicht helfen und so! Er hätte auch bemerkt, dass ich seit einiger Zeit keine leeren Rotweinflaschen mehr in seinen Garten werfen würde- und er sei deshalb schon sehr besorgt um meinen Gesundheitszustand.

Am Anfang dieses Gespräches war ich sehr vorsichtig, denn mein Nachbar war ein Opernsänger, genauer gesagt, er war ein stimmgewaltiger Tenor.
Wie, fragte ich mich, kann ein solcher Künstler, bar und fern jeglicher Technik aufgewachsen, mir meine männliche Überlegenheit wieder herstellen, in dem er Fritz 2 zum Telefonieren überredet.

Gut, in meiner Not dachte ich- was kann jetzt eigentlich noch schlechter werden. Mein Selbstwertgefühl war auf einem Tiefpunkt. Mein Ansehen als Beherrscher aller Haustechnik, einschließlich Fernbedienungen, Radios und Fernseher, Schaltuhren, Rollläden und die tadellose Bedienung sämtlicher Knöpfe in unserem Auto hatte so gelitten, dass es eigentlich nicht mehr tiefer sinken konnte.

Also bat ich meinen Nachbarn ins Haus und wir näherten uns vorsichtig über die aufgetürmten Gemüsekiste steigend, dem Fritz‘schen Krankenbette.
Mein Nachbar bat um Besteck, womit er Schraubenzieher, Zangen und Messer meinte und ging logisch vor. Wie ein Chirurg den Bauch eines Patienten öffnet, so öffnete er einen geheimnisvollen Kasten der Telekom. Ich sah nur noch in die klaffende Wunde des Bauchinnenraumes, der mir mit tausenden farbigen Drähtchen, ähnlich den menschlichen Därmen gefüllt schien; und ich fiel in eine kurze gnädige Ohnmacht, als ich sah, wie der Tenor mit einem sicheren Griff dieses ganze Gewürm aus dem Kasten zog. In meinem momentanen, der realen Welt entrückten Zustand, sah ich plötzlich den hilfreichen Nachbarn in der Gestalt von Jung Siegfried (er hat nämlich Ähnlichkeit mit dem furchtlosen Drachenbezwinger), sein Schwert Balmung schwingend und dieses tief in die Eingeweide des bösen Telekom- Drachens stoßend.

Als ich wieder zu mir kam, war das Versagen von Fritz 2 bereits erkannt. Der Blitz den Fritz 1 so meuchlerisch hinmordete, hatte auch die dünnen Drähtchen beschädigt und Fritz 2 konnte noch so viele Elektronen aussenden, die blieben einfach in den beschädigten Leitungen stecken. Was soll ich nach dieser nibelungischen Heldentat noch berichten?

Mein Nachbar, der mich gelehrt hatte, Tenöre höher einzuschätzen, als dass sie singen können, versprach mir Stillschweigen gegenüber meinem Ehegesponst und ließ mir allein die Ehre, Fritz wieder zum Ferngesprächstransport animiert zu haben.

Ich versprach ihm dafür im Gegenzug in Zukunft meine leeren Rotweinflaschen bei einem anderen Nachbarn zu entsorgen.
Langsam war ich im Hause auch wieder gefragt. Aber meine alte Souveränität werde ich wohl niemals wieder erlangen.

...im ebenfalls verregneten Sommer 2024.

Autor: Fiddigeigei

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