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Der schwarze Anzug

„Ich bin so froh, dass ich nicht evangelisch bin …“ sang einst ein Kölner Kabarettist. Als Lena diesen Song zum ersten Mal hörte, musste sie lachen und rief: „Hach, und ICH bin so froh, dass Er evangelisch war …“. Denn das war so:

Vor der ersten Tanzstunde hatte sie mindestens eine Stunde vor dem Spiegel verbracht und an ihrem Äußeren gefeilt. Aber nun betrat sie ziemlich nervös diesen großen Saal. Die Herren saßen bereits in einer langen Reihe an der einen und die Damen an der anderen Wand gegenüber. Lena setzte sich zu den Mädchen und wartete gespannt auf die Dinge, die da kommen sollten.

Sie sah, wie die Herren jede einzelne der Damen fixierten, wobei die meisten bereits ein bestimmtes Mädchen im Auge hatten, um auf ein Zeichen des Tanzlehrers als erster auf sie zustürzen zu können. Himmel, war das aufregend. Lena spürte ein Kribbeln im Bauch und zitterte.

Zwei tanzende Paare Gesellschaftstanz

„Bitte meine Herren!“ Es ging los. Zielstrebig steuerte ein blonder Riese auf Lena zu und stellte sich als Eric vor. Als er sich verbeugte und ihr seine Hand reichte, nickte sie schüchtern und folgte ihm auf die Tanzfläche. Der Tanzlehrer, mit seiner Frau im Arm führte die Körperhaltung und dann die ersten Schritte vor. Foxtrott, eins zwei Wechselschritt, und wieder eins zwei Wechselschritt. War das ein Geschiebe auf dem Parkett. Aber von Mal zu Mal klappte es besser und machte sogar Spaß. Nach und nach kamen langsamer Walzer, Rumba, Cha Cha Cha hinzu und schließlich der schnelle Walzer.

Im Laufe der folgenden Wochen wurden Eric und Lena ein gut aufeinander eingetanztes Paar, und trotz seiner zittrig schwitzenden Hände sowie gelegentlicher Tritte auf ihre Füße genoss sie es, mit ihm übers Parkett zu wirbeln.

Zeichnung von jungem Mädchen in Ballkleid

Und nun stand der große Abschlussball bevor. Zu Beginn der vorletzten Trainingsstunde bat der Tanzlehrer um einige Minuten Aufmerksamkeit:
„Meine Damen und Herren, es ist Ihnen sicher bekannt, dass beim Abschlussball für die Damen ein Ballkleid und für die Herren ein schwarzer Anzug Pflicht sind und …“
Toll, strahlte Lena und dachte sofort an das Ballkleid, das sie vor fünf Jahren gemalt hatte. „Nein, ausgerechnet ein schwarzer Anzug!“, rief Eric erschrocken.
„Hab ich nicht, hab auch nicht das Geld, um mir einen zu kaufen. Auch wüsste ich nicht, wer mir einen passenden leihen könnte. Verrückt. Ich glaube, dann kann ich den Ball nicht mitmachen.“

Hier und da verständnislose Gesichter. Und für Lena war die Katastrophe perfekt. Fassungslos starrte sie Eric an. „Hast Du denn das nicht vorher gewusst? Du kannst mich doch jetzt nicht im Stich lassen! Was soll ich bloß machen?“ rief sie entgeistert und brach in Tränen aus.

Peter, der das Dilemma mitbekam, legte seinen Arm um Lena und versuchte zu trösten: „Du, ich habe eine Idee. Mein Freund Robert, der den Kurs schon einmal gemacht hat, kann ganz gut tanzen. Er ist evangelisch und trug beim Abschlussball im vorigen Jahr den schwarzen Anzug von seiner Konfirmation. Ich werde Robert fragen, ob er für Eric einspringen kann.“ Aber das tröstete Lena wenig, sie konnte die Tränen nicht bremsen. Eine Vertretung für Eric? „Wie doof“, jammerte sie.

Zur nächsten Tanzstunde, die letzte vor dem Ball, war Eric jedoch nicht mehr erschienen. Als aber dann Peter mit dem „Ersatzmann“ an der Tür auftauchte, traute Lena ihren Augen nicht, sie musste schlucken. Was für ein Typ. Genau so groß wie Eric, das Haar dunkelblond, und blaue Augen hatte er auch. Das Allerbeste aber war seine selbstsichere Freundlichkeit, die er ausstrahlte.

„Ich bin Robert und Du bist also Lena?“ fragte er lächelnd. Nervös und zögernd reichte sie ihm die Hand.
Aber da legte der Tanzlehrer bereits die Platte mit einem Walzer auf.„Darf ich bitten?“ Robert führte Lena mit ungewohnt festem Griff. Er beherrschte alle Figuren, als wären sie ihm in die Wiege gelegt worden. In seinen Armen vergaß sie alle Tränen, denn bei diesem Walzer glaubte sie, mit ihm in eine andere Welt davon zu schweben.

Ach, und erst der Abschlussball - sie trug das Ballkleid aus pinkfarbenem Tüll, das sie mit Mutter gekauft hatte und erblickte nun auch Robert in seinem schwarzen Anzug. Als die Live-Kapelle zur Eröffnung einen Walzer spielte und Robert seinen Arm um Lena legte, schloss sie die Augen.

Wie der Tanzlehrer immer wieder empfohlen hatte, versuchten sie am Rande des Saales zu tanzen, um möglichst viel Bewegungsfreiheit zu haben. So wurde der Ball zum unvergesslichen Erlebnis, denn Robert war ein Glücksfall und blieb es für viele Jahrzehnte.

Autor: fleurbleue

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