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Falten sind nicht das Schlimmste

Porträt einer grauhaarigen Dame mit Brille

Henriette saß am Fenster und schaute hinaus in den grauen Tag. Früher saß sie um diese Zeit im Büro, hatte schon einiges erledigt und freute sich auf die Mittagspause.

Doch nun war sie 73, schon lange in Rente, fast ständig allein und ziemlich unmotiviert. Da sie selten Lust hatte, für sich alleine zu kochen fiel das Mittagessen auch öfter aus. Und wenn sie in den Spiegel sah und sich mit ihren Falten betrachtete, dachte sie oft: ich bin doch überflüssig und zu nichts mehr nutze – wozu lebe ich eigentlich noch?

Die Kinder meldeten sich recht selten, sie hatten schließlich ihr eigenes Leben und steckten meistens im Stress. Nun gut – es gab Bekannte und auch eine Spielerunde einmal im Monat, aber das war auch alles und die Einsamkeit fraß sie manchmal auf.

Dann kam eine Nachbarin ins Krankenhaus, mit der sie sich gut verstand und sie machte sich auf den Weg, um sie zu besuchen. Unterwegs besorgte sie noch einen hübschen Blumenstrauß und sagte an der Rezeption: „Ich möchte gerne zu Frau Lemmer, wo kann ich sie finden?“ „3.Stock, Zimmer 304“ antwortete die freundliche Dame „dort drüben ist der Aufzug“. Zimmer 304 lag gleich am Anfang des Ganges, Henriette klopfte leise und trat ein. Doch die junge Frau, die da sehr blass in ihren Kissen lag hatte sie noch nie gesehen. Sie wollte die Tür schon wieder leise schließen und gehen, als die die leise Stimme hörte: „Ich habe Durst“. Henriette überlegte nicht lange und ging wie selbstverständlich zu der Kranken und reichte ihr die Schnabeltasse mit Tee. Und als sie ihr in die traurigen Augen sah – Augen wie tiefblaue Seen- konnte sie nicht einfach wieder gehen, sondern setzte sich an ihr Bett.

Es entwickelte sich ein intensives Gespräch und so erfuhr sie, dass Sabine Lenner – so hieß sie, nicht Lemmer – Krebs im Endstadium hatte und mit ihrem Tod zu rechnen war.

Sie war gerade 40 Jahre alt, hätte das Leben noch vor sich, und musste gehen.
In den nächsten 3 Wochen war Henriette jeden Tag bei Sabine, hielt ihre Hand, erzählte ihr Geschichten von früher und versuchte, ihr den Abschied leichter zu machen. Sabine sagte „Du bist eine sehr nette Frau, ich mag Dich und Du bist mir richtig zur Freundin geworden. Ich wollte, ich könnte auch Dein Alter erreichen“. „Na, dann sieh Dir doch mal meine ganzen Falten an – willst Du sowas haben“ versuchte Henriette zu scherzen. „Ja, 1000 Falten in einem runzligen Gesicht zeugen von einem erfüllten Leben. Das würde ich gerne eintauschen!“
Drei Tage später hatte sie es überstanden, aber Henriette war seitdem ruhiger, gelassener und sah dem nächsten Tag nun hoffnungsvoll entgegen. Sie sagte sich: irgendwann ist es bei mir auch so weit, aber bis dahin will ich noch viel unternehmen, viel helfen, Gutes tun und einfach
LEBEN.

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