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Warten – worauf?

Als Annemarie 5 Jahre alt war, kam sie (nach einem Eignungstest) bereits in die Schule und dachte sich: Das ist es - darauf hast Du gewartet.
Aber irgendwie hatte sie trotzdem Sehnsucht und wartete auf noch etwas anderes. Das hielt sich viele Jahre und dann war es soweit, dass sie konfirmiert werden sollte. Ja, dachte sie, „das ist es. Das ist die Schwelle von der Kindheit zum Erwachsenen. Darauf hast Du gewartet.
Es war eine schöne Feier, alle Verwandten waren da, es gab tolle Geschenke und sie fühlte sich sehr wohl.
Doch danach dachte sie: War es das? Habe ich darauf gewartet?
Und fühlte wieder diese Leere in sich und eine Hoffnung auf DAS Ereignis.
Die Jahre vergingen, die Schule wurde beendet mit gutem Ergebnis. War es das? Nein.
Es blieb nicht aus – irgendwann verliebte sie sich. Und nach zwei Jahren wurde die Hochzeit geplant, natürlich in Weiß und in der Kirche.
DAS ist es, sagte sie sich – der schönste Tag Deines Leben. Darauf hast Du ein Leben lang gewartet. Jetzt ist es so weit.
Es wurde eine schöne Hochzeit, sie war sehr glücklich und schwebte mit ihrem Angetrauten über die Tanzfläche mit einem seligen Lächeln.
Doch der Alltag holte sie ein, es kamen sogar Zeiten der Not, in denen man eng zusammenstehen musste und wieder wartete sie – auf was?
Dann – die Geburt des ersten Kindes!
Ein einmaliges, aber auch schmerzhaftes Erlebnis, bis sie das kleine Bündel Mensch im Arm hielt. Gibt es mehr Glück im Leben?
Es kamen noch zwei Kinder, aber nie mehr dieses erste, unbeschreibliche Gefühl der Vollkommenheit und wieder dachte sie: Auch das ist es nicht gewesen.
In schlaflosen Nächten, wenn die Kinder krank waren oder die Sorgen sie plagten, fragte sie sich immer wieder: Worauf wartest Du nun eigentlich schon Dein Leben lang? Doch sie fand keine Antwort.
Die Kinder wurden erwachsen, das erste Enkelkind kam und das war doch ein Ereignis! Hatte sie darauf gewartet?
Nach einem arbeitsreichen und erfüllten Leben – endlich die Rente.
Jetzt könnte sie all das tun, wozu sie vorher keine Zeit hatte, könnte reisen usw. Das musste es sein, worauf sie immer gewartet hat.
Doch die Vorstellungen entpuppten sich als Illusion, die Rente langte mal gerade für das Nötigste und wieder fragte sie sich: Worauf warte ich?
Dann der runde Geburtstag. Die Einladungen waren verschickt und sie hatte sich mit den geringen Mitteln sehr viel Mühe gegeben für eine schöne Feier.
Doch die Kinder hatten keine Zeit und kamen nicht und von den anderen Gästen kam niemand mal auf die Idee, ein „Happy Birthday“ anzustimmen, ein Gedicht aufzusagen oder einen Toast auszubringen.
Sie gratulierten, aßen, tranken – und gingen wieder.
Danach saß Annemarie einsam am Küchentisch und dachte über ihr Leben nach. Es war ein erfülltes und nie langweiliges Leben – sie würde sich auch nie beklagen – aber worauf wartete sie nur?

Jetzt gab es eigentlich nur noch eins – aber darauf würde sie NICHT warten, denn das Ende kommt sowieso. Und wenn, dann bitte recht schnell.

Und an dem Abend beschloss sie, das Warten aufzugeben und nur noch das
Heute und Morgen zu sehen.

Autor: ehemaliges Mitglied

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