Neu hier? Lies hier über unser Motto gemeinsam statt einsam.
Mitglied werden einloggen




Passwort vergessen?

Etwas Neues wagen

Kolumnistin MaraB setzt sich über Barrieren hinweg: Egal ob es um Generationen oder die Sammelleidenschaft ihrer Familie geht. Lies hier die witzigen Anekdoten. Vielleicht erkennst Du Dich und die Deinen ja wieder…

mara B © Mitglied

Etwas Neues wagen

Es war für mich vier Stunden lang reine körperliche Qual. Ich liebte zwar die Winterlandschaft, die frische, sonnendurchflutete, klare Luft, aber in der Skilanglaufkonditiontabelle von Null bis Zehn, hatte Jana als junge Polizeibeamtin die Nummer 10, mein Ehemann die Nummer 8, Sven-Jürgen die 6 und ich die 1. Als Schlusslicht musste ich auch ständig die Spur frei machen, denn es schien, als wäre ich im ganzen Skigebiet die einzige Nummer 1.


Zwischendurch habe ich dann einfach die Ski abgemacht, ohne an die eigentliche Schneehöhe zu denken. Mein Lebenskontrolleur fand mich deshalb tief im Schnee eingesunken und in der Stimmung eines bockigen 10-jährigen Kindes. Natürlich auch mit Tränen in den Augen. Die tiefste emotionale Skifahrerkrise hatte sich in mich eingefressen.


Auch in der gemütlichen Baude konnte bei mir keine Freude aufkommen. Selbst der Satz: "Komm, trink einen Jagertee, das macht Dich etwas locker", wurde ohne jeglichen Erfolg gesprochen. Da kam Jana mit einem genialen Vorschlag: "Also, wenn Du nicht gerade am Hahnenkammrennen in Kitzbühel willst teilnehmen, um mit 140 km/h die Pisten runter zu sausen, dann könnten wir es morgen ja mal mit Abfahrt probieren. Dazu brauchst Du Mut, auch ein bisschen Kraft und Technik. Die kann ich Dir beibringen. ...Euch ...", sprach sie und meinte damit auch meinen Mann. Unser beider Altersdurchschnitt von 56,8 ließ ihn sofort abwinken. Jedoch an Mut hatte es mir noch nie gefehlt, auch nicht an Überzeugungskraft. Das alles begab sich vor fünf Jahren.


Dieser Tage nun standen wir in 1600-Meter über NN und sahen zu, wie in der österreichischen Weinebene nur wenige Pistenjäger sich auf den gemütlichen Abfahrtsstrecken tummelten. Keine Schneelawinengefahr , deshalb kein Schneeairbag nötig. Keine Promis und auch keine wilden Snowboardrowdies.
Die Ski-Ausleihstation im Visier, ich eher mit Bedenken, aber erstaunlicher Weise mein Begleiter mutig und zielstrebig voran gehend. Als er die Türklinke herunter drückte, fragte ich zweifelnd, ob wir es nicht lieber beim Spazierengehen auf der Hauptstraße belassen wollen. Nein.


Um 12 Uhr betraten wir die kleine Verleihstation. Wir sind Anfänger, bitten um Schuhe, Abfahrtsski, nur eine Skibrille, Helm und etwas Beratung.
Inzwischen hatten noch sechs weitere Ausleihwillige den kleinen Raum betreten. Ein Chaos der gleichzeitigen Wunscherfüllung entstand. Meinem Ehemann passten die steifen Plastik-Schuhe sofort. Ich kam in die, die mir hingestellt worden waren und meiner Schuhgröße entsprachen nicht einmal hinein. 15 Minuten warten. Mir wurde immer wärmer und mein Blutdruck wuchs linear mit meinem Unmut. Ein zweiter Versuch mit einer Nummer größer.
Und wieder war der Herr Verleiher mit den anderen Leuten beschäftigt. Meines zweiten Paars Socken ließ mich zwar etwas in den Schuh hinein gleiten, aber mein Fuß blieb stecken. Es ging nicht vorwärts und nicht rückwärts.
"Verdammt! Ich habe vielleicht einige Kilos zu viel auf der Waage, aber doch nicht an den Füßen. Hier stimmt doch keine Größe..... Schluss! Aus! Ich gehe raus! Es wird nicht Ski gefahren. Das halte ich nicht aus...!"
Herr Verleiher bemerkte, dass mein Mann sich anschickte, die Schuhe wieder auszuziehen und geschäftstüchtig, wie er war, kam er sofort, beruhigte charmant lächelnd mein erhitztes Gemüt damit, das er für solche Fälle, wie mich, immer noch besondere Schuhe in der Reserve habe.


Er öffnete alle Metallschnallen, klappte den vorderen Teil des Schuhs weit nach vorn und alles andere ging dann wie von selbst. Durch ein paar kleine Tricks rettete er zwei alternd-mutige Skifahrerherzen. Ich hatte in den fünf Jahren einfach nur vergessen, wie man Abfahrtsskistiefel anzieht.
Ein weiteres Problem kam noch auf mich zu. "Auf dem Hang ist es sehr windig und kalt und bestimmt ist es für Sie als Anfänger sicherer, wenn Sie einen Helm aufsetzen." Ha, ich wusste, er meinte es nur gut, der Herr Verleiher. Jeden Morgen föhne ich 20 Minuten, um eine einigermaßen Haarfrisur zu haben und solch ein Helm erdrückt jede luftige mit Haarspray gestylte Strähne völlig. Ich wagte nicht, auch nur ein Wort zu sagen, denn jetzt wäre der letzte Geduldsfaden meines Ehemannes gerissen. Behelmt mit Brille, passenden Schuhen, Stöcken und Ski auf der Schulter gingen wir freudig und zielgerichtet, tief durchatmend zu jenem kleinen Häuschen, wo es immer die teuren Ski-Pässe gibt.


Kaum hatten wir unsere Ski kurz abgestellt, sausten eine Mama und zwei vielleicht sechsjährige Kinder wie der Wind an uns vorbei in Richtung Skipasskontrolle, die man sich vorstellen kann wie die SANIFAIR-Sperre zu der Toiletten in Autobahnraststätten. Erst 70 Cent, dann bewegt sich das System und lässt Dich durch.
Wir sollten unsere teure Karte in die Jackentasche stecken und die Durchlassanlage wäre so schlau, dass sie die Karte in der Tasche lesen könne. Ich war beeindruckt und kramte instinktiv alles aus meiner rechten Jackentasche in die linke. Handy, Taschentücher, Lipgloss, um den Pass in die rechte zu geben. Aber das Drehkreuz bewegte sich nicht. Hinter mir staute es sich. Nichts. Ich ging einen Schritt zurück. Wieder nichts. Ein junger Mann: "Haben Sie Ihre Karte in der linken Tasche? Das sehende Auge ist nämlich links." Es brauchte keinerlei Kommentar.


Dann war es soweit. Die teuer bezahlte Technik schleppte uns minutenlang, die Ski in der Spur führend, den Berg hinauf. Ich kann mich sofort gedanklich fallen lassen.. .glitzernder Schnee, Sonne pur, weiße Tannenspitzen...aller Stress hat sich gelohnt...
Die Bergstation naht... aufpassen... unbeschadet sich vom Lift trennen und um keinen Preis stürzen... konzentrieren... Geklappt!
In fast 2000 Metern Höhe ist es wie über der Welt sein. Man sieht nur die umliegenden Bergspitzen und es breitet sich ein unendliches Gefühl von Freiheit aus. Ja, und wir waren auch stolz.
Nach einigen sachten Versuchen kamen alle Erinnerungen an Technik zurück. Es machte Spaß an Geschwindigkeit zu gewinnen und zu wissen, dass man trotz Hang jeder Zeit anhalten konnte, um zu sehen, wie schön die Welt der Berge ist. Sich etwas zutrauen, um Ziele zu verwirklichen. Niederlagen bekämpfen. Über die eigenen Schatten springen. Egal, wie alt wir sind, wenn wir etwas erreicht haben, was uns selbst mit Zufriedenheit erfüllt, dann sind wir glücklich. Und nur das ist wichtig.

Autor: MaraB

Artikel Teilen

 

Artikel bewerten
4 Sterne (8 Bewertungen)

Nutze die Sterne, um eine Bewertung abzugeben:


5 5 Artikel kommentieren
Themen > Unterhaltung > Kolumnen, Anekdoten und Co > Wie das Leben so schreibt mit MaraB > Etwas Neues wagen