Neu hier? Lies hier über unser Motto gemeinsam statt einsam.
Mitglied werden einloggen




Passwort vergessen?

Ingrid hat Mordgelüste

Nach meinem Umzug war mein Teppich, an dem ich vierzig Jahre Freude hatte, zu groß, ich musste ihn verschenken. Es kamen Erinnerungen.

Frisch verheiratet ging ich zusammen mit meinem Mann durch die Räume unserer neuen Wohnung. Im Wohnzimmer begeisterte mich erneut der Teppich mit seinen klaren leuchtenden Farben. Wie lange hatte ich nach diesem seltenen Orientmuster gesucht. Er passte wunderbar zu den hellen Möbeln und dem Honigton des Holzfußbodens.

Es klingelte. Friedhelm, ein entfernter Verwandter meines Mannes, stand verlegen vor der Tür. Sein Gesicht mit den hängenden Mundwinkeln wirkte auch heute eher griesgrämig. Seine Humorlosigkeit kannte ich bereits. Weil ich guter Stimmung war, nahm ich es nicht weiter tragisch.

Er hielt einen Blumenstrauß in den Händen und nuschelte eine Gratulation. „Tut mir leid wegen der Hochzeit, äh, nicht so, wollte ich sagen, ich meine, dass ich nicht kommen konnte, überraschend Steuerprüfung. Komme ich ungelegen?“ stotterte er. Er wurde ins Haus gebeten. Friedhelm setzte sich stocksteif auf die Couch, zog die messerscharfen Bügelfalten seiner Hose gerade und wischte sich ein nicht erkennbares Staubkörnchen vom Ärmel.

Mein Angetrauter zeigte sich als perfekter Gastgeber. Er sah Friedhelm an, fragte aber mich. „Was möchtest du gerne trinken?“ Zurückdenkend an einen Longdrink während der Hochzeitsfeier bat ich mit einem Auge zwinkernd um ein Glas "Mutterglück". Friedhelm schloss sich dem an, nicht recht wissend, was ihn erwartete.

Mein Mann erinnerte sich scheinbar an die Mixtur, welche der Barkeeper ihm heimlich verraten hatte und die dieser vollendet servierte. Ein hohes Glas, etwas Eierlikör, aufgefüllt mit einer kleinen Zitronenbrause, die Flasche kräftig geschüttelt, geöffnet, Daumen fest auf die Öffnung und den zischenden Strahl wie aus einem Syphon gezielt in das Glas geben. Ein Kinderspiel.

Gesagt, getan. Voller Tatendrang eilte er in den Keller, holte eine große Flasche Limonade und schüttelte diese auf dem Weg zurück kräftig. Im Wohnzimmer wurde die Prozedur noch ein wenig fortgesetzt. Aufschrauben, Daumen drauf und dann gezielt in die vorbereiteten Gläser spritzen lassen.

Interessiert sah ich zu, da passierte es. Der Druck wurde übermächtig, der Daumen rutschte ab, die Flasche flutschte aus den Händen, machte sich selbständig und wie aus einer Kanone geschossen wurden Friedhelm, vor allem aber der Teppich über und über mit der süßen klebrigen Brause überschüttet. Fassungslos sauste ich in die Küche. Bewaffnet mit einem Eimer heißem Wasser und diversen Scheuertüchern wischte ich erst den entsetzten Friedhelm trocken. Danach war der Teppich dran.

Inzwischen überlegte mein Göttergatte verblüfft, wie dies wohl geschehen konnte und kam zu dem Schluß: "Der Daumen saß nicht fest genug auf dem geöffneten Verschluß". Das war zu beheben. Noch einmal lief er in den Keller um eine neue Flasche holen und zurück ins Wohnzimmer. Auch die zweite Flasche Limonade schüttelte er kräftig.

Während ich noch auf den Knien den Teppich putzte, sah ich es aus den Augenwinkeln. Meinen Schrei „NEIN“ ignorierte mein Mann. Selbst Friedhelm ahnte Schreckliches. Er rutschte er von der Couch und suchte Schutz unter dem Tisch. Er war nicht schnell genug. Auch diese Ladung explodierte förmlich und die Brause schoss mit Riesendruck aus dem engen Flaschenhals. Wieder überschüttete sie Friedhelm und den Teppich. Überall klebte zuckrig schäumende Limonade. Nun schon geübt holte ich zum zweiten Mal heißes Wasser und Tücher, reinigte Friedhelm und rettete den mir wertvollen Teppich. Völlig entnervt flüchtete Friedhelm und versprach, er würde unser junges Glück nicht länger stören. Was er übrigens auch nie wieder tat.

Ich kochte und aus meinen Augen müssen die Zornesblitze gesprüht haben als ich meinen Mann bat, “komm doch mal kurz mit in die Küche“. Mir war sehr nach einer handfesten Standpauke. Doch mein nun wirklich zerknirschter Ehemann dachte wohl an das Treuegelöbnis "bis das der Tod euch scheidet", erinnerte sich der Folterwerkzeuge im Küchenbereich, dachte an Messer und Bratspieß und er handelte.

Geistesgegenwärtig und mit dem Mut der Verzweiflung umarmte er mich und gab mir einen sehr langen Kuss. Was soll ich sagen, mein Groll verschwand so schnell wie der letzte Schnee in der Märzensonne.

Für dieses Mal war der Haussegen gerettet, vergessen und vergeben. Oder, um es ein wenig abgewandelt mit Schiller zu sagen: „Glück gehabt. O! dass sie ewig grünen bliebe, die schöne Zeit der jungen Liebe!“

Autor: Zwillingsjungfrau

Artikel Teilen

 

Artikel bewerten
4 Sterne (15 Bewertungen)

Nutze die Sterne, um eine Bewertung abzugeben:


3 3 Artikel kommentieren
Themen > Unterhaltung > Kolumnen, Anekdoten und Co > Zeit für Ingrid > Ingrid hat Mordgelüste