Ein Nachmittag auf dem Binger Rochusberg
Viele von uns waren schon auf dem 217 m hohen Rochusberg, diesem markanten Berg bei Bingen. Aber kaum einer von uns war schon mal in der Rochuskapelle gewesen, da sie nur zu den Gottesdiensten und Wallfahrten geöffnet ist.
Deshalb hatten wir uns für den Besuch am 3. Juli 2009 etwas Besonderes einfallen lassen: eine Führung in der Rochuskapelle und eine Führung im Kräutergarten des Hildegard-Forums. Zwischen dem kulturellen und dem botanischen Teil war eine kleine Wanderung zu den Aussichtspunkten geplant, zum Verschnaufen eine Kaffeepause im Hildegardforum der Kreuzschwestern und der Abschluss sollte im Cafe-Restaurant Rochusberg stattfinden.
Die Bahnfahrer adler4711, annawe, deppi, fidelis45, Freiin, Hasenfreund, Irrwisch, Kobold1952, Margret551, Rose56 und siroma trafen sich um 13 Uhr am Mainzer Bahnhof, während die Autofahrer bakru26, gritle, Jenny7778, Karenage, knuddeline56, Melanchthon und Unimog43 direkt zum Rochusberg fuhren.
Geologisch gehört der Rochusberg eigentlich nicht zum Rheinhessischen Tafel- und Hügelland, sondern zum Rheinischen Schiefergebirge, zum Hunsrück. Der Rhein floss früher südlich vom Rochusberg und auch die Nahe hatte ein anderes Bett.
Kulturhistorisch ist der Berg von besonderem Interesse. Seit dem Mittelalter gibt es auf dem „Hesselberg“, dem heutigen Rochusberg, eine Kapelle, die zurückkehrende Kreuzritter als „Bethlehem-Kapelle“ gestiftet hatten. Als 1666 die Pest in den Binger Landen wütete, wurde auf dem Berg die erste Kapelle zu Ehren von Sankt Rochus, dem Patron der Pestkranken, erbaut. Mehrmals wurde sie zerstört, zuletzt in den Wirren der Revolutionskriege. Nach einer Typhus-Epidemie wurde die Kapelle 1814 wieder aufgebaut und mit einer feierlichen Prozession eingeweiht.
Die jetzige reich verzierte, neugotische Kapelle wurde nach einem Brand durch einen Blitzschlag in den Jahren 1893 – 1895 erbaut. Jährlich ziehen während der Wallfahrtswoche um den 16. August die Prozessionen auf den Rochusberg.
Eigentlich hätten wir uns dem Rochusberg wenn nicht schon wallfahrend, so doch wandernd nähern müssen, aber an dem heißen, schwülen und gewittrigen Tag hatte dazu keiner Lust. Also nahmen wir den kleinen Bus, der am Bahnhof Bingen-Stadt schon auf uns wartete. Ein netter Herr unterhielt uns auf der Fahrt nach oben und nachdem wir ihm erzählt hatten woher wir kommen und was wir vorhaben, erklärte er uns, dass neben der Straße der Prozessionsweg mit Bildstöcken verläuft und dass der Rochusberg früher Hesselberg hieß, weil es hier viele Haselnußbäume gab.
Am kleinen St. Josefs-Kapellchen beginnt der Wald, der große Teile des Berges bedeckt. Auf der Kammhöhe, unweit des Hildegardisklosters der Kreuzschwestern stiegen wir, mit netten Wünschen des freundlichen Herrn versehen, aus und gingen den Kastanienweg, der mit Bäumen alleeartig angelegt ist in Richtung Rochuskapelle. Zunächst kamen wir zum Hildegard-Forum, das 1998 zum 900. Geburtstag der großen Mysterikerin, Medizinerin und Naturforscherin Hildegard von Bingen, errichtet wurde. Über den Rochusweg gelangten wir zur Rochuskapelle, wo uns bereits die Autofahrer erwarteten.
Mittlerweile waren dunkle, drohende Gewitterwolken aufgezogen und es grummelte beängstigend über dem Nahetal. Frau Scholl, die wir für die Führung in der Rochuskapelle gewinnen konnten, erwartete uns bereits und ließ uns in den Kirchenbänken Platz nehmen.
Zuerst erzählte sie uns etwas zur Geschichte der Kapelle, die Du hier nachlesen kannst und kam dann auf die Innenausstattung der Kirche zu sprechen, insbesondere auf den Rochus-, Marien- und den Hildegardisaltar.
Prominenter Besucher des Rochusberges war der Geheimrat Goethe, der im August 1814 von Rüdesheim mit dem Nachen über den Rhein kommend, den Weg hinaufstieg. Oben angekommen beschreibt er die Prozession:
„Eine große Bewegung aber verkündet: nun komme die Hauptprozession von Bingen herauf. Man eilt den Hügelrücken hin, ihr entgegen. …. Alles drängt sich nun gegen die Kapelle und strebte zu derselben hinein. Wir, durch die Wogen seitwärts geschoben, verweilten im Freien, um an der Rückseite des Hügels der weiten Aussicht zu genießen, die sich in das Tal eröffnet.“ Er lauschte der Predigt im Freien und schrieb: „Wir Zuhörenden schauten indes zu dem reinen Gewölbe des Himmels hinauf; das klarste blau war von leicht hinschwebenden Wolken belebt…. Kein Prediger, vor mehreren tausend Zuhörern sprechend, sah je eine so reiche Landschaft über ihren Häuptern.“
(Goethe in: Sankt Rochus-Fest zu Bingen).
Nach dem Vortrag von Frau Scholl sahen wir uns noch eine Zeitlang die Rochuskapelle und ihre Altäre an, ehe wir wieder ins Freie traten.
Das Gewitter hatte sich verzogen, die Luft war noch drückend schwül. Schade, auch die Sicht war getrübt. Auf dem parkähnlichen Bergrücken gingen wir auf die östliche Seite der Kapelle. Dort steht der überdachte Wallfahrtsaltar mit der Kreuzigungsgruppe.
Das „Kempter Eck“ bietet einen atemberaubenden Blick auf den Inselrhein mit der Rüdesheimer Aue, der Fulder Aue, der Ilmen Aue und den Rheingau mit der Abtei Sankt Hildegard oberhalb von Eibingen und Schloss Metternich bei Johannisberg.
Vorbei an einer kleinen Kapelle unterhalb der Aussichtsplattform, die sich gegenüber dem Portal der Rochuskapelle befindet und dem Friedhof, auf dem die Mönche des Oblatenklosters, das sich ca. 200 m unterhalb der Kirche befindet, beerdigt sind, gehen wir zum Hildegard-Forum.
Die Speisekarte bietet zwar auch kleine deftige Speisen, aber an diesem Nachmittag haben wir Pech: es gibt nur Kuchen. Besser als nichts – wir ordern eine Joghurtschnitte mit Obst oder Streuselkuchen mit Aprikosen und genießen das kühlende Lüftchen und die Sicht auf die Streuobstwiesen.
Um 16.30 trifft Herr Strickerschmidt ein, der uns durch den Heilkräutergarten der Hildegard von Bingen führt. Er erklärt uns, dass der Garten streng nach benediktinischem Vorbild konzipiert wurde.
Der Garten enthält rechtwinklig mit Holzbohlen umfasste Hochbeete, auf denen jeweils ein bis drei Pflanzen wachsen. Aus den streng geometrisch angeordneten Beeten ergeben sich die Wegekreuze, die den Kreuzgängen der Klöster ihren Namen gaben. Selbst die den Garten umschließende Mauer hat eine Funktion. Sie hält das Wild fern und bietet Schutz vor Samenflug aus der Umgebung. Zur Meditation laden Steinbänke ein. Im Mittelpunkt des Gartens steht der Brunnen, und zwar dort, wo sich die Wege kreuzen. Der Brunnen ist ein Symbol des Lebensquells, wie er seit dem Mittelalter oft dargestellt wird.
Im Heilkräutergarten auf dem Rochusberg wachsen 59 Pflanzen und 11 Bäume, die Hildegard von Bingen sämtlich in ihrer „Physika“ (Naturkunde) beschreibt. Hildegards Wissen um die Kraft der Kräuter ist für viele Menschen heute der erste Zugang zu dieser großen Benediktinerin des 12. Jahrhunderts.
Kobold1952 schreibt im Forum:
Nach unserem gestrigen Gang durch Hildegards Kräutergarten habe ich heute im Internet mal gegoogelt und eine sehr interessante Seite gefunden. Dort sind jede Menge Kräuter mit allem wissenswerten inklusive Anwendungen nach Hildegard aufgelistet.
Hier kommst Du auf die Seite:
Wunderbare Aufnahmen unserer Fotografen entstehen auf unserem Rundgang durch den Garten. Wir können an den Pflanzen riechen und sie schmecken, und Hummeln, Schmetterlinge und sogar die große deutsche Holzbiene beobachten, die wohl noch niemand von uns gesehen hat.
Nach dieser großartigen Führung und um einige Erfahrungen reicher, wandern wir auf dem Rochusberg am Waldrand entlang. Weit reicht der Blick auf die Weinberge, das Rheinhessische Tafel- und Hügelland, die Berge an der Nahe bei Bad Kreuznach bis hin zum Donnersberg in der Pfalz.
Nach etwa 1 km erreichen wir das Restaurant Rochusberg und können auf der schönen Panoramaterrasse endlich unseren Hunger und Durst stillen. Mittlerweile haben sich die letzten Wolken verzogen, die Sicht ist wieder klar geworden, die Abendsonne strahlt und es geht uns einfach gut.
Der Aufbruch ist etwas hastig, aber wir wollen ja noch unseren Zug um 20 Uhr erreichen. Die Autofahrer bringen uns zurück zum Bahnhof Bingen-Stadt. Aber was ist das? Der Zug um 20 Uhr fährt gar nicht direkt nach Mainz, sondern über Alzey nach Worms. In Alzey hätten wir umsteigen müssen, um über Nieder-Olm nach Mainz zu fahren. So hatten wir es allerdings nicht geplant.
Kurzerhand beschließen wir, eine Stunde später direkt nach Mainz zu fahren und die Zwischenzeit für ein Eis zu nutzen.
In der Vorstadt von Bingen finden wir ein italienisches Restaurant, das Eis auf der Speisekarte stehen hat. Es ist zwar kein Eiscafé – aber egal, es liegt nahe zum Bahnhof und hat einen Innenhof. Die Stimmung ist gut, so kann verschmerzt werden, daß das Eis nicht sonderlich gut schmeckt.
Pünktlich um 21 Uhr steigen wir in den Zug, der uns zurück nach Mainz bringt.
Hier kommst Du zu den Fotos von fidelis45 - leider funktionieren die Links zu den übrigen Bildern der anderen Fotografen nicht mehr.
eingestellt am 5. Juli 2009
Artikel Teilen
Artikel kommentieren