Abendliche Führung mit dem Hochheimer Nachtwächter
Heutzutage führen Nachtwächter nur noch Touristen durch historische Mauern. In früheren Jahrhunderten war es Aufgabe des Nachtwächters, durch die Straßen und Gassen der Stadt zu gehen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Er warnte die schlafenden Bürger vor Feuer, Feinden und Dieben und überwachte das Verschließen der Haustüren und Stadttore. Verdächtige Personen, die nachts unterwegs waren, hielt er an, befragte sie und manch einer mußte den Rest der Nacht im Kerker verbringen. Zu den Aufgaben des Nachtwächters gehörte es auch, die Stunden anzusagen. „Hört ihr Leut und laßt euch sagen, vom Turm die Glock hat xxx. geschlagen“, ist allen bekannt.
Am 7. Dezember begleiteten wir den Hochheimer Nachtwächter Manfred auf seinem Gang durch die dunklen Straßen der historischen Altstadt. Das Wetter hätte kaum schlechter sein können: Regen, Schnee, Matsch, dazu ein kalter Dezember-Wind zog durch die Kleidung. 20 Feierabendmitglieder trotzten diesem unwirtlichen Wetter, das dem Nachtwächter nichts auszumachen schien. Er empfing uns in frühmittelalterlicher Gewandung mit Hellebarde, Horn und Laterne am Treffpunkt „Alte Malzfabrik“ und begrüßte die hochwohlgeborenen Herren, die lieben Frauen und die keuschen Jungfrauen – wobei nicht bewiesen ist, ob eine dabei war.
Im Schutz eines Toreingangs erzählte er kurz etwas über die Geschichte von Hochheim und lehrte uns den Refrain des Stundenrufs: „Menschen wachen kann nichts nützen, Gott muss wachen, Gott muss schützen; Herr durch deine Güt‘ und Macht schenk uns eine gute Nacht", den er allerdings viel zu selten anstimmte.
Nachdem der Nachtwächter an der Altenwohnanlage EVIM, die in den Jahren zwischen 1998 und 2000 auf dem Gelände der alten Malzfabrik eröffnet wurde, das erste Mal in sein Horn geblasen hatte (O-Ton Manfred Kirsch: "Die alten Leute warten schon darauf, dass ich komme"), führte er uns in den ältesten Teil der Stadt Hochheim, der im Jahr 1590 von dem großen Brand verschont geblieben war.
Deutlich sind die Unterschiede am Fachwerk zwischen den erhalten gebliebenen und den danach wieder aufgebauten Häusern zu erkennen.
Die ältesten Häuser Hochheims stehen in der Hintergasse, im Pfarreck und im Fetten Eck. Typisch, so erklärt uns der Nachtwächter, ist die Bebauung mit Hofreiten des 17. und 18. Jahrhunderts. Die giebelständigen Wohnhäuser sind in Sichtfachwerk ausgeführt, während in der Mainzer Straße die meist verputzten Fachwerkhäuser auf der rechten Seite mit der Traufe zur Straße zeigen.
Durch die Wintergasse gelangen wir zum Hochheimer Hof, einem schön restaurierten Fachwerkkomplex, der aus dem Dalheimer Klosterhof und mehreren anderen Gebäuden in den 1970er Jahren entstanden ist.
Hier befindet sich neben dem Restaurant auch das Hochheimer Heimatmuseum.
Die Riesling-Stube ist ein typisches fränkisches Anwesen mit einem idyllischen Innenhof, den wir durch das Hoftor betreten, um einen Blick in die gemütliche Stube zu werfen.
Durch die Rathausstraße gehen wir zum ehemaligen Marktplatz „Am Plan“.
Umgeben von einigen sanierten Fachwerkgebäuden steht die Rokoko-Madonna. Sie stellt Maria als gekrönte Himmelskönigin dar, gewandet in einen Umhang, auf dem Arm das Kind und das Zepter haltend. Der Überlieferung nach soll die Madonna von Ernte- und Dreschhelfern im Jahr 1767 in einem Reul (kleine Gasse) in Biebrich aufgefunden und von dort nach Hochheim gebracht worden sein. Der schmiedeeiserne Baldachin stammt aus dem Jahr 1801.
Dass Hochheim im Krieg nicht zerstört wurde, wird dem Schutz der Madonna zugeschrieben.
Zusammen mit dem Nachtwächter singen die, die das Lied aus der katholischen Religionsstunde noch kennen „Maria breit den Mantel aus“. Wärmer wird uns dadurch jedoch auch nicht und da auch wohl der Nachtwächter in seinem dünnen Gewand friert, verkürzt er seinen Rundgang drastisch.
Wir beschließen den Abend gemeinsam im Weinhaus Müller. Nach einem Glühwein kehren die Lebensgeister zurück.
Die Ausführungen des Nachtwächters über Fachwerk werden durch das Auftragen von Rumpsteak, Schweinelende, Pfeffersteak und Gänsebraten glücklicherweise unterbrochen.
Die Zeit verrinnt viel zu schnell und die Ersten streben dem Bus zu, der leider zur vorgerückten Stunde nur noch stündlich von Hochheim nach Mainz verkehrt. Ich habe mir jedoch sagen lassen, dass um Mitternacht alle wieder gut zu Hause gelandet waren.
Die Fotos, die Margret551 unter erschwerten Bedingungen während des nächtlichen Rundgangs und in der Weinstube gemacht hat, und die nicht alle im Bericht Platz fanden, kannst Du Dir hier anschauen.
(eingestellt am 9.12.2010)
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