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Führung in der Synagoge

Seit dem 3. September 2010 hat die jüdische Gemeinde Mainz eine neue Synagoge. Zum Tag der offenen Tür nach der Eröffnung besuchten über 10.000 Bürger das Gemeindezentrum. Am 11. April 2011 lernten 29 Mitglieder der Regionalgruppe Mainz das jüdische Gotteshaus in der Mainzer Neustadt bei einer Führung kennen.

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Gespannte Erwartung vor der Führung

Seit über tausend Jahren ist Mainz, das jüdische Magenza, ein wichtiger geistlicher und kultureller Mittelpunkt des Judentums in Ost- und Westeuropa. Bereits ab dem zehnten Jahrhundert sind erste Zeugnisse des Mainzer Judentums belegt. Im 11. Jahrhundert wird in Mainz eine jüdische Hochschule (Jeschiwa) gegründet. Kurz darauf vernichten Kreuzzüge die jüdische Gemeinde in Magenza. In den folgenden Jahrhunderten werden die Juden immer wieder verfolgt und vertrieben. Erst im 16. Jh. beginnt eine kleine jüdische Gemeinde rund um den Flachsmarkt, in dem die Mainzer Juden seit dem Mittelalter wohnten, wieder zu wachsen. 1672/73 wird in der Margarethengasse im Bereich der heutigen Landesbank eine Synagoge gebaut. Ende des 18. Jh. mit Beginn der französischen Revolution erhalten Juden die vollen Bürgerrechte und religiöse Gleichberechtigung. Im 19. Jh. ist die Blütezeit der Gemeinde. 1911/12 wird die Hauptsynagoge in der Hindenburgstraße gebaut, die in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 niederbrennt. 1939 leben noch 1.452 Bürger jüdischen Glaubens in Mainz. Mit den seit 1942 erfolgten Deportationen in Vernichtungslager findet das jüdische Leben in Mainz ein Ende. Doch bereits am 17. Oktober 1945 gründen Überlebende eine neue Jüdische Gemeinde. Heute zählt die jüdische Gemeinde wieder über 1000 Gemeindeglieder, viele durch Zuwanderung aus Osteuropa, vor allem aus der Ex-Sowjetunion. Der alte Gebetsraum an der Forsterstraße reichte nicht mehr aus. Der Wunsch nach einem neuen Bethaus entstand. Mit der neuen Synagoge an ihrem ursprünglichen Ort schließt sich ein Kreis.

Wir stehen auf dem Vorplatz, der sich zur Innenstadt hin öffnet. Die eigenwillige Architektur der Synagoge, die sich trotz oder gerade wegen dieser abstrakten Form in die Mainzer Neustadt gut eingliedert, weckt Interesse. Das halbkreisförmige Bauwerk zeichnet die fünf Buchstaben des hebräischen Wortes „Kedushah“ nach, das segnen, heilig oder erhöhen bedeutet. Der 26m hohe Turm, der wie ein Widderhorn, Schofar, gestaltet ist, setzt einen besonderen Akzent.

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Dr. Waldmann zitiert später den Architekten Manuel Herz, der sagt, daß hier ein Gebäude entstanden ist, „das sich nicht auf einen Blick preisgibt“ und „das erst durch die Nutzung durch die Gläubigen zu einem gesegneten Haus wird“.

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Das nach Osten gerichtete, trichterförmige Dach des Betsaals stellt ein Schofar (Widderhorn, das am jüdischen Neujahrstag Rosch Haschana geblasen wird) dar. Mythologisch steht das Schofar für die Kommunikation mit Gott.
Foto: fidelis45

Auffallend ist die geriffelte Oberfläche des Gebäudes, die zum großen Teil aus gebrannter und glasierter Keramik gestaltet wurde. Das dunkle Grün ändert sich je nach Tageslicht und sogar mit der Jahreszeit zu unzähligen Schattierungen, ein Spiel aus Grün-, Blau- und Schwarztönen.
Die schrägen und schiefen Fenster machen neugierig auf das Innere des Gebäudes.

Pünktlich um 16.30 Uhr öffnet sich das massive Tor, das mit den hebräischen Schriftzeichen „Synagoge von Mainz, Licht der Diaspora“ dekoriert ist.

Wir treten ein in ein zweigeschossiges Foyer. Der Blick fällt nach draußen in den Garten und hinauf zur Galerie mit den Gemeinderäumen für Senioren und Jugendliche, der Verwaltung und einer Dienstwohnung. Das Foyer öffnet sich zum Veranstaltungssaal, der auch als koscheres Restaurant genutzt wird. Alle Räume, in dem sich das Gemeindeleben abspielt, sind in schlichtem Weiß gehalten.

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Blick vom Garten auf die Synagoge
Foto: bakru26

Ganz anders der Betsaal, der über 450 Plätze verfügt und nach Osten ausgerichtet ist. Er empfängt uns mit goldenen Wänden, die übersät sind mit hebräischen Schriftzeichen. „Schrift ist das Leitmotiv der Synagoge“, so erklärt uns Dr. Waldmann, sowohl im Inneren als auch durch die äußere Form des Gebäudes.
Der Raum mit dem Lesepult, der Bima, und dem Thoraschrein an der Stirnwand empfängt das Licht aus dem ausladenden Aufbau des Turms. Die Fenstersprossen stilisieren eine Talmud-Zeichnung.
Selbst die Bänke scheinen zu sprechen; sie haben als Querschnitt die Form eines „L“ das für das Zeichen – so Dr. Waldmann – „lemut“ steht.

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Blick von der Frauenempore in den Betsaal
Foto: bakru26

Dr. Waldmann beginnt die Führung mit den Worten eines großen jüdischen Kunsthistorikers „Man sieht nur, was man weiß“, der damit verdeutlicht hat, dass die Betrachtung eines Kunstwerks ohne Wissen über es, wenig sinnvoll ist.

Urspünglich, so Dr. Waldmann, kamen die Juden aus Norditalien. Mitglieder der berühmten jüdischen Familien Kalonymus hatten sich in Mainz angesiedelt und die Thorarollen, die die fünf Bücher Mose beinhalten, und den Talmud mitgebracht. Der Legende nach soll ein Angehöriger dieser Familie Kaiser Otto II. nach der Schlacht von Cotrone (982) das Leben gerettet haben. Als Dank dafür durften die Juden im Rheinland siedeln.

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Die Mainzer Geschichte ist geprägt von großen Rabbiner, deren Lehren auch heute noch im Judentum nachwirken. Dr. Waldmann erzählt vom Schriftgelehrten Gerschom ben Jehuda, genannt Meor ha-Gola (Leuchte des Exils). Dieser sorgte Anfang des 11. Jahrhunderts in Mainz für eine Blütezeit jüdischer Kultur und Religion. Er eröffnete nach seinem Talmudstudium in Metz eine Talmudakademie in Mainz, die Schüler aus vielen Ländern anzog. Mainz wurde hierdurch zum religiös-kulturellen Mittelpunkt der drei SCHUM-Städte, jener Städte, die im Hebräischen von den drei Anfangsbuchstaben her zu einem Dreiklang zusammengefasst wurden – Speyer (Schin für Spira), Worms (Vav für Warmaisa – V = U) und Mainz (Mem für Magenza) und die die Geburtsstätten der askenasischen (europäische, insbesondere deutsche und osteuropäische) religiösen Kultur darstellen.

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Nach dem Ausflug in die Geschichte kommt Dr. Waldmann auf die Architektur des Gebäudes zu sprechen. Manuel Herz sagt: „Es gibt keine ausgeprägte Kultur des Bauens im Judentum.“ Früher war Orientalismus, der maurische Stil, Mode. Nach 1880 wurde von assimilierten Juden, also Juden, die sich in erster Linie als Deutsche und dann erst als Juden fühlten (sie waren meist nicht sonderlich religiös, viele waren zum Christentum konvertiert) der Gedanke von Heinrich Heine, „urdeutsch“ zu bauen, wieder aufgegriffen. Waldmann: Urdeutsch, die „staufische Romanik“.
Für Manuel Herz bilden nicht Steine und Wände, sondern der Talmud die jüdische Vorstellung von Raum. Er umfuhr, so Waldmann, mit einem Bleistift das hebräische Wort Kedushah, (Herz: „Der Umriß schafft den Raum“) und gestaltete die Fassade wie stilisierte Linien in Tontafeln. 17.000 Keramiksteine mit einem Keilprofil, jeder einzeln gezeichnet, nummeriert und zugeschnitten, wurden an den Betonwänden angebracht. Dr. Waldmann: es gibt keine Zentralperspektive. Man sieht die Synagoge stündlich neu, es ergeben sich immer neue Blickwinkel.

Im Betsaal haben Stukkateure unter dem Turm, durch den Licht in den Raum fällt, zehntausende hebräische Schriftzeichen wie ein Mosaik an die Wände gezaubert, denn – so Waldmann – Buchstaben schaffen den Raum.
Aus dem Meer der Zeichen tauchen immer wieder Flächen mit lesbarer Schrift auf, Texte von Mainzer Rabbiner aus dem 11. Jahrhundert. Der eine handelt von der Liebe zur Thora, ein anderer berichtet vom ersten Kreuzzug und alle belegen, welchen Stellenwert die jüdische Gemeinde schon damals im Judentum besaß. Demnächst, so Dr. Waldmann, soll es eine Festschrift mit den Texten an den Wänden geben.

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Bevor wir auf die Frauenempore steigen, öffnet Dr. Waldmann den Thoraschrein, in dem vier Thora-Rollen aufbewahrt werden.
Thora (auch Tora und hebräisch Torah) heißt wörtlich übersetzt „Lehre“. Grundlage des jüdischen Glaubens sind die Fünf Bücher Mose, der Pentateuch. Vor dem Krieg hatte die jüdische Gemeinde 16 Thora-Rollen. Eine der heutigen Thorarollen stammt aus der Belagerung von Leningrad, die drei anderen sind neu. Alle Thorarollen sind handgeschrieben.

Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz, sagte in seinem Grußwort anläßlich der Einweihung der neuen Synagoge: „In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 hatten Vertreter einer rheinhessischen Gemeinde die Torarollen zur Verwahrung und Sicherung im Priesterseminar des Bistums Mainz in der Augustinerstraße abgegeben. Die Rollen blieben, später sogar unentdeckt, in der Martinusbibliothek des Priesterseminars. Wir haben sie dann der jüdischen Gemeinde in Mainz zurückgegeben.“
Der Thoraschrein ist das gemeinsame Geschenk der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und des Bistums Mainz an die jüdische Gemeinde.

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Auf der Treppe zwischen geneigter Wand und der parallel dazu verlaufenden Brüstung steigen wir hinauf zur Frauenempore.
Manuel Herz wollte hier zuerst eine Textiltapete anbringen, verwarf die Idee jedoch wieder, weil er den Glanz der alten Synagoge erzeugen wollte. So ließ er auch hier Mosaik-Schriftzeichen anbringen. Der Raum, so Dr. Waldmann, wirkt tagsüber anders als abends – von gelb zu gold.

Es gibt keine zwei Fenster gleichen Zuschnitts. Sie gewähren an vielen Stellen überraschende Blicke nach draußen, es sollen, so der Architekt Manuel Herz „kommunikative Räume“ sein.

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Das Gestühl auf der Frauenempore ist anders als unten. Hier oben befinden sich am hinteren Teil der Sitze mit Glas gesicherte Regale. Dr. Waldmann erklärt, daß der Raum auch als Lern- und Leseraum genutzt wird und die Bibliothek aktualisiert wird. Nach der Shoa (dem Holocaust) waren kaum noch jüdische Bücher vorhanden. Eine alte Bibliothek wurde in Mainz wiedergefunden, sie war in einem Kohlekeller versteckt. Zurückgekehrt zur jüdischen Gemeinde, hat sie dort die Bedeutung einer Reliquie und wird in einem verschlossenen Raum aufbewahrt.

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Bücher für die neue Bibliothek
Foto: bakru26

Viele Fragen der interessierten Zuhörer schließen sich an und Dr. Waldmann beantwortet sie geduldig.
Er erklärt den Unterschied zwischen einer orthodoxen und einer liberalen Synagoge. Eine liberale Gemeinde hat keine Frauenempore und die Predigten werden in deutsch gehalten. Die neue Synagoge in Mainz ist orthodox. Hier findet sich keine Orgel und die Predigt ist in hebräisch. Der Rabbiner ist nicht mehr ein Priester, sondern nur noch Lehrer. Er hat auch keine privilegierte Stellung mehr. Der Gottesdienst wird nicht mehr vom Rabbiner, sondern vom Kantor geführt.
Der Vorstand der jüdischen Gemeinden entscheidet, ob die Gemeinde orthodox oder liberal sein soll. In einem Stundenplan wird festgelegt, zu welcher Uhrzeit der Sabbat beginnt. Er beginnt am Freitagabend mit dem Sonnenuntergang und endet am Samstagabend wenn drei Sterne am Himmel zu sehen sind. Der Hauptgottesdienst ist Freitag abend und Samstag.
Damit ein orthodoxer Gottesdienst stattfinden kann, müssen 10 Männer anwesend sein. Nur die Männer dürfen aus der Thora lesen. Bei den liberalen Gemeinden dürfen dies auch die Frauen tun.

Mit einem warmen Applaus bedanken sich die Zuhörer für die interessante und informative Führung.

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Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck sagte in seinem Grußwort anläßlich der Einweihung: „Es besteht die Chance, dass in der Landeshauptstadt Mainz ein religiöser, kultureller Mittelpunkt der jüdischen Gemeinden in Rheinland-Pfalz verwirklicht wird. Das eindrucksvolle Gebäude, das der Architekt Manuel Herz entworfen hat, ist dafür die beste Voraussetzung. Neben dem katholischen Dom und der evangelischen Christuskirche ist eine bedeutende Synagoge entstanden, ein Verbindungsbogen der Toleranz und Geschwisterlichkeit. .... Uns allen wünsche ich, dass – außer der würdigen Stätte für Gottesdienste – auch ein Ort des Kennenlernens, des Dialoges und der Begegnung entsteht.“

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Zum Abschluß gehen wir in die nahegelegene Kurfürstenstraße ins Weinlokal „Kurfürst“. In dem gemütlichen kleinen Lokal mit guter Wein- und Speisekarte lassen wir den Abend ausklingen.

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(eingestellt am 13. April 2011)

Autor: Feierabend-Mitglied

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