- Mitglieder 948
- gerade online 5
- Chat online 0
- Forumsbeiträge 2699
- Veranstaltungen 13
Führung durch die Ausstellung „Der verschwundene Dom“
Bis zum 16. Oktober 2011 war die Sonderausstellung, die den Wandel des Doms im Lauf der Jahrhunderte zeigt, im Dommuseum Mainz zu sehen.
Für den 30.9. hatte ich eine Führung angemeldet. Frau Cecilia Anna Plichta, Studentin der Kunstgeschichte und Archäologie und Führerin des Dommuseums, zeigte und erklärte uns bei dem 90minütigen hoch interessanten Rundgang durch die Ausstellung sehr gekonnt und kurzweilig die 1000jährige bewegte Geschichte der Mainzer Bischofskirche.
Wie sah der Mainzer Dom in der Gründungszeit aus, wie nach den Bränden und Zerstörungen? Welches Gesicht hatte er vor 500, vor 250 oder noch vor 100 Jahren? Dieses galt es für die 20 Mitglieder unserer Mainzer Regionalgruppe, die sich um 15 Uhr am Museumsempfang trafen, zu entdecken.
In der Ausstellung selbst durfte nicht fotografiert werden. Die Fotos wurden mir von Frau März, die für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum zuständig ist, mit Erlaubnis, sie unter Hinweis auf die jeweiligen Abbildungsnachweise im Bericht zu verwenden, zur Verfügung gestellt. Hierfür ein herzliches Dankeschön, ebenso für die Korrekturen und Anmerkungen im Bericht.
Frau Plichta nahm uns mit auf eine Zeitreise durch die Jahrhunderte.
Die Ausstellung beginnt mit fünf großen Collagen eines Heidelberger Künstlers, der Begegnungen und Wahrnehmungen mit der Stadt Mainz verarbeitet hat.
Auf einen Haufen gelegte Sandsteinköpfe weisen auf das Problem der Ausstellung hin, die richtige Zuordnung der im Dommagazin gefundenen Fragmente zu finden. Vieles war jahrhundertelang verschwunden und tauchte irgendwann durch Zufall wieder auf. Anhand von Urkunden und Quellen hat das Bischöfliche Dom- und Diözesanmuseum unter der Leitung von Dr. Hans Jürgen Kotzur die 1000jährige Geschichte des Doms lebendig werden lassen.
Bei Ausgrabungen stieß man im Untergrund auf römische Funde, überwiegend Gebrauchsgegenstände, römische Öllämpchen, Scherben von Geschirr, Bruchstücke aus Terrakotta, auch sie sind in der Ausstellung zu sehen.
Als nächstes sehen wir eindrucksvolle Gemälde vom Brand der Kathedrale im Jahre 1767 und eine Installation mit geschwärzten Heiligenfiguren, die von einem Brand der Kirche in Klein-Krotzenburg verblieben sind.
11 Brände, davon 8 Großbrände verzeichnen die Annalen. Bereits am Tag seiner Weihe im Jahr 1009 brannte der Dom und wurde 1036 ein zweites Mal geweiht. 1767 setzte ein Blitzschlag die Dächer des Westbaus und des südlichen Seitenschiffs in Flammen. 1793 brach während der Beschießung durch preußische Truppen während der französischen Belagerung ein Brand aus. Die letzten Brände sind 1942 und 1945 während des Zweiten Weltkriegs zu verzeichnen.
Mehrere Modelle des Doms, die ihn zu verschiedenen Zeiten zeigen, sind in der Ausstellung zu sehen. Nicht nur die Brände und Zerstörungen haben sein Gesicht immer wieder verändert, er wurde umgebaut, erweitert und nach den jeweiligen Zeitepochen umgestaltet.
Das erste Modell zeigt den Dom, wie er vermutlich um das Jahr 1009 n. Chr. ausgesehen hat. Sein Erbauer war Willigis (940 – 1011). Im Jahr 975 wurde er zum Erzbischof von Mainz und zum Reichskanzler ernannt. In dieser Eigenschaft gewann er entscheidenden Einfluss auf die deutsche Politik. Vom Papst erhielt er das Recht, Könige zu krönen. Es wird vermutet, daß Willigis den Dombau in den Jahren um 975 begonnen hatte, um das Krönungsrecht für den römisch-deutschen Kaiser zu erhalten und die Bedeutung der Mainzer Kirche als „zweites Rom“ hervorzuheben. Die Ausführung und Ausrichtung des Bauwerkes nach Westen erinnert stark an die Peterskirche in Rom.
Wir sehen eine Kopie der bronzenen Domtür, die noch heute am Marktportal des Domes zu bewundern ist. Willigis stiftete die von Meister Berenger gegossenen Bronzetüren.
(Anmerkung Frau März: Die Forschung sagt, dass die Türen in der Liebfrauenkirche eingebaut waren; sie waren aber ursprünglich am Dom und auch für diesen erschaffen).
Auf den drei Querleisten sind die Besonderheiten der Türen zu lesen: Es sind die ersten großen Bronzetüren seit Karl dem Großen – Willigis stiftete die Türen – durch den Meister Beringer ausführt, jeder der diese Zeilen liest, möge für ihn beten.
Unser Blick fällt auf ein Meßgewand des Heiligen Willigis, eine sog. Glockenkasel, die – aufgespannt – in einer Vitrine zu bewundern ist. Ihr Durchmesser beträgt 3,13 m, die Rückenhöhe ist 1,65 m. Sie besteht aus gelbem Seidengewebe und ist mit feinen Wellenlinien geschmückt, einem sog. „Spitzovalmuster“, die fast wie eingeritzt wirken. Sie sollte die Heiligkeit von Willigis herausstellen. Obwohl die Kasel 1000 Jahre alt ist, befindet sich das kostbare Seidengewand nach seiner Restaurierung in einem außerordentlich guten Zustand.
Es gibt, so Cecilia Plichta, einen Bericht aus dem 13. Jahrhundert, der besagt, dass die Kasel im Grab Willigis' gefunden wurde, seine Reliquien sollen in das Gewand gehüllt gewesen sein. Da der Erhaltungszustand des Gewandes allerdings so ausgezeichnet ist, kann man hier von einer Legende ausgehen.
Willigis starb am 23. Februar 1011 und wurde in der St. Stephanskirche beigesetzt. Um 990 hatte er mit dem Bau von St. Stephan begonnen und hier ein Stift eingerichtet, das zu den reichsten und angesehensten Stiften des Mittelalters am Mittelrhein zählte. Beim Bau der dritten Stephanskirche im 13. Jh. wurde sein Grab geöffnet. Die Gebeine wurden in einen Sarg oder Reliquiar gebettet. Während der Säkularisation wurde die Reliquie gestohlen, nicht jedoch seine darin liegenden Gebeine. Diese verschwanden in einen Holzschrank in St. Stephan bis 1899 das heutige, in der Ausstellung zu sehende Reliquiar in Auftrag gegeben wurde.
Als nächstes zeigt uns Frau Plichta weitere Überraschungen, die verschwunden waren und auf dem Dachboden oder in Magazinen gefunden wurden.
So konnte ein gefundenes Seitenteil der barocken Domorgel, von der alle Teile wieder aufgetaucht sind, nach alten Bildern rekonstruiert werden.
Gefunden wurde auch die Figur eines Engels aus dem frühen 13. Jahrhundert, der auf dem Giebel des nördlichen Westquerhauses gestanden hat.
Zwei Orginalfiguren, die eines Löwen und eines Wildschweins erregen unsere Aufmerksamkeit. Sie waren auf dem Dach des Doms befestigt. Warum ein Wildschwein? Frau Plichta erklärt, daß es als Symbol für die Wiedergeburt der Welt steht.
Anmerkung Cecilia Plichta: Das Wildschwein auf dem Dach sollte wohl eine apotropäische, also unheilabwehrende Wirkung haben. Das Schwein an sich (also nicht Wildschwein) steht seit der Antike als Symbol für die Geburt und Wiedergeburt der Welt.
Die Chöre im Westen und Osten des Doms waren einst von großen Querwänden, den Lettnern, vom Langhaus abgetrennt. Der spätgotische Ostlettner aus dem 15. Jh. und der gotische Westlettner, der um 1239 vom „Naumburger Meister“ geschaffen wurde, sind als filigranes 3D-Modell ausgestellt.
Nach dem Abriss des Westlettners im Jahre 1682 blieben nur etwa 100 Bruchstücke erhalten, u.a. der „Kopf mit der Binde“, der 1914 im oberen Kreuzgang gefunden wurde, die Deesis mit Christus als Weltenrichter am Tag des Jüngsten Gerichtes und die beiden Prozessionen der Seligen und der Verdammten. Der Papst schreitet voran, gefolgt von Bischof, dem gekrönten Kaiser, Mönch und Kleinkind.
Der Lettner im Ostchor war zierlicher gestaltet. Er wurde 1239 als „eiserner Chor“ gebaut. Begrenzt wurde er von einer Säule mit einer eindrucksvollen, mannshohen Figur eines Atlanten. Die gebückte Figur, die einen Handwerker des Mittelalters, vielleicht sogar den Baumeister, darstellen soll, ist um 1239 entstanden und wird ebenfalls der Schule des Naumburger Meisters zugerechnet. Mehrere Jahrhunderte lang war diese Figur verschwunden. Sie wurde erst im 19. Jh. zusammen mit einer prachtvollen Säule, die ein Laubwerkkapitell zeigt, wiederentdeckt.
Als nächstes zeigt uns Frau Plichta die Kopie der Grabplatte des Erzbischofs Siegfried III von Eppstein, der 1239 den Dom einweihte. Sie zeigt den Erzbischof, wie er gleichzeitig zwei Könige weiht. Dabei – so Cecilia Plichta – wurden die Könige zu dieser Zeit gar nicht in Mainz, sondern in Köln bzw. Aachen gekrönt.
Wir gehen weiter zur Nikolauskapelle, in der der Domschatz ausgestellt ist. Über Jahrhunderte hinweg galt er als einer der kostbarsten des Abendlandes. Immer wieder verschwanden Teile des Domschatzes. Oftmals diente er im Mittelalter als Geldanlage. Während der Französischen Revolution wurde er nach Prag ausgelagert und 1803/04 verkauft und eingeschmolzen. Durch Ankäufe, neue Aufträge, Geschenke und nicht zuletzt durch Funde bei Restaurierungen des Doms ist heute wieder ein beachtlicher Bestand des Domschatzes vorhanden.
Wir sehen zahlreiche liturgische Gefäße, Monstranzen, Kelche, ein Bischofskreuz und die Krümme des Bischofsstabes.
Zum Abschluss der Ausstellung erfahren wir von Frau Plichta etwas von Bischof Emmanuel von Ketteler. Er engagierte sich vor allem in sozialen Bereichen, u.a. führte er die Mittagsspeisung in Haushaltsschulen ein und gründete 1851 den Orden der Schwestern von der Göttlichen Vorsehung, die ihre Berufung im Schul- und Krankendienst sehen. 1877 stirbt Bischof von Ketteler während einer Reise im Kloster Burghausen. Das Original-Mobiliar (Bett) seines Sterbezimmers ist im Dommuseum zu sehen.
Mit der letzten Station, dem Modell des Doms in heutiger Zeit, endet der informative Rundgang durch die Ausstellung „Der verschwundene Dom“. Wer keine Gelegenheit hat, sich bis zum 16.10. die Sonderausstellung anzusehen, für den bietet sich ein Besuch des Dommuseums an.
(Anm. Frau März: Wann die Schausammlung des Dommuseums wieder öffnet, ist wegen der baldigen Abbauarbeiten der Sonderausstellung noch ungewiss. Solange kann man das Museum aber auf der Homepage www.dommuseum-mainz.de komplett virtuell besichtigen.)
Den interessanten Nachmittag lassen wir im Weinhaus Erbacher Hof ausklingen. Hier kannst Du Dir die Fotos von bakru26 (Günter) anschauen.
(eingestellt am 5.10.11)
Artikel Teilen
Artikel kommentieren