Ein Medikament entsteht
Noch bis zum 20. Mai 2012 präsentiert das Naturhistorische Museum in Mainz die Sonderausstellung "Ein Medikament entsteht", die vom Museum Biberach zusammen mit dem Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim konzipiert wurde. Am 27. März besuchten wir mit 12 Mitglieder die Ausstellung und bekamen bei einer Führung von Frau Saß die Erforschung und den komplexen, langwierigen und spannenenden Entwicklungsprozess eines Medikamentes von der Idee bis zu seiner Zulassung gezeigt und erklärt.
Es gibt kaum einen von uns, der nicht mindestens einmal am Tag Tabletten schluckt – sei es gegen Schmerzen, gegen den zu hohen Blutdruck, für die bessere Durchblutung, für den Magen. Immer in der Hoffnung, gesund oder zumindest nicht kränker zu werden. Aber wann ist der Mensch überhaupt krank? Und wieviele Krankheiten gibt es?
Die Wissenschaftler sprechen von einer Krankheit, wenn das körperliche, seelische oder soziale Wohlbefinden eines Menschen gestört ist. Nach dieser Definition gibt es ca. 30.000 Krankheiten, von denen ca. 10.000 therapierbar sind. Heilbar ist davon nur ein Bruchteil.
Früher, so Frau Saß, litten die Menschen insbesondere an Infektionskrankheiten, heute sind es Stoffwechsel- und Gefäßerkrankungen, aber auch Tumorerkrankungen, Schlaganfall und immer häufiger auch COPD, eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung.
Gesundheit ist das kostbarste Gut. Die Gesundheit zu erhalten oder wieder herzustellen, ist das Ziel der Medizin seit tausenden von Jahren. Bei Wikipedia ist zu lesen: „Die Medizin (von lateinisch ars medicinae, „ärztliche Kunst“ die „Heilkunde“) ist die Lehre von der Vorbeugung, Erkennung und Behandlung von Krankheiten und Verletzungen bei Menschen und Tieren. Um dieses Ziel zu erreichen, werden Medikamente entwickelt, Arzneimittel, die in bestimmter Dosierung zur Heilung und Vorbeugung von Krankheiten dienen.
In früheren Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden dienten bestimmte Pflanzen und Pflanzenteile und tierische Substanzen als Medikamente. In Ägypten und Assyrien gab es zahlreiche schriftliche Zeugnisse für einen umfangreichen Arzneischatz. Der Grieche Theophrastos von Eresos (371- 287 v. Chr.) beschrieb 550 Pflanzen, darunter zahlreiche Arznei- und Giftpflanzen. Im Mittelalter wurde das Wissen über die Heilkräfte der Pflanzen vor allem durch die Klöster niedergeschrieben und weitergegeben. Schon Hildegard von Bingen behauptete: „Gegen alles ist ein Kraut gewachsen.“
In späteren Jahrhunderten erweiterte sich der europäische Arzneischatz erheblich. Nach Entdeckungen der Seewege nach Ostindien und Amerika kamen immer neue Heilpflanzen und Drogen nach Europa.
Die Neuzeit brachte mit ihren naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ganz erhebliche Veränderungen des Arzneischatzes. Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Wissenschaftler, einzelne Wirkstoffe aus Pflanzen zu isolieren, chemisch zu analysieren und zu verändern. Der Siegeszug der organisch-synthetischen Arzneimittel, die von der chemischen Industrie entwickelt wurden, setzte ein.
Da das Herstellungsverfahren dem Patentschutz unterlag, förderte dies ganz erheblich die industrielle Produktion von Arzneimittel in abgabefertigen Verpackungen, wie wir sie heute kennen.
Eines dieser Pharmaunternehmen ist Boehringer Ingelheim. 1885 wurde das Unternehmen von Albert Boehringer gegründet. Heute ist Boehringer das zweitgrößte forschende Pharmaunternehmen in Deutschland und weltweit das größte, das sich noch ausschließlich in Familienbesitz befindet. Das Kerngeschäft ist das Erforschen, Entwickeln, Herstellen und Vertreiben von Arneimitteln.
Während der Führung erhielten wir Einblick in die Erforschung und Entwicklung eines Medikaments.
Bevor ein solches entwickelt wird, stellt sich bei einem neuen Forschungsprojekt die Frage, bei welchen Krankheiten überhaupt Bedarf für ein neues Medikament besteht. Sind es neue Krankheiten – wie vor einigen Jahrzehnten Aids - gibt es neue Erkenntnisse bei bekannten Krankheiten, z.B. bei Bluthochdruck, COPD oder Schlaganfall? Gibt es überhaupt genügend Nachfrage für ein neues Medikament?
In früheren Zeiten wurden oft zufällig bahnbrechende Medikamente entdeckt, wie z.B. das Penicillin.
Heute wissen die Arzneimittelforscher um die kleinsten chemischen Verbindungen im Körper, den Molekülen und welche Rolle sie bei einer Krankheit spielen. Meist handelt es sich um einen Eiweißstoff, ein Protein. Unser Körper enthält 100.000 verschiedene Eiweißstoffe. Ohne diese könnten sich Zellen nicht vermehren, keine Nährstoffe verarbeiten oder sich bewegen. Man nennt sie deshalb auch „Bausteine des Lebens.“ Weil sie so wichtig sind, sind sie aber auch fast immer beteiligt, wenn eine Krankheit entsteht. Das macht sie zu einem begehrten Ansatzpunkt für Medikamente.
Haben die Wissenschaftler ein krankmachendes Protein gefunden, gehen sie gezielt auf die Suche nach einer Substanz, die an die Moleküle andockt wie ein Schlüssel im Schloss. Bei der Suche helfen Laborroboter, die bis zu 200.000 Substanzen am Tag prüfen.
Reagiert das Molekül mit der Substanz, haben die Forscher einen Treffer gelandet und vielleicht den richtigen Schlüssel zum Schloß gefunden. Das geschieht zwar nur äußerst selten, aber wenn, dann „optimieren“ die Forscher die Substanzen dahingehend, ob die neuen Moleküle besser sind als ihre Vorgänger. Diese Optimierung kann Jahre dauern.
Haben die Wissenschaftler die beste Substanz gefunden, wird diese zum Patent angemeldet und der Wirkstoff geht in die vorklinische Prüfung. Dieses bedeutet, daß sie im Labor und in Versuchen mit Tieren beweisen muss, dass sie wirksam und unbedenklich für Menschen ist.
Die vorklinischen Prüfungen dauern in der Regel drei bis fünf Jahre. Wenn die Substanzen nicht die gewünschte Wirkung zeigen, giftig sind, das Erbgut verändern, Krebs erregen oder Embryonen schädigen, scheiden sie aus. Bestehen die Wirkstoffe die vorklinische Prüfung, können sie bei Menschen angewendet werden. Sie kommen in die klinische Prüfung.
Bereits während der vorklinischen Prüfung wird überlegt, wie der Wirkstoff am besten als Medikament verabreicht werden kann: als Tablette, Kapsel oder Lösung. Gleichzeitig wird überlegt, wie größere Mengen des Wirkstoffs vereinfacht hergestellt werden können. Hierfür benötigen die Chemiker die Unterstützung der Analytiker. Diese müssen auch die Reinheit und Qualität des Wirkstoffes bestätigen.
Die klinischen Prüfungen werden meist in einer Klinik unternommen. Sie erfolgen in drei Etappen. In der Phase 1 wird der Wirkstoff an 20 – 30 gesunden Menschen erprobt, die sich freiwillig gemeldet haben. In den Studien, die vom Hersteller konzipiert und finanziert wird, wird geprüft, wie der Wirkstoff vom menschlichen Körper aufgenommen, wie er umgewandelt und ausgeschieden wird und wie verträglich er ist.
In der Phase 2 wenden die Ärzte das neue Medikament bei 100 bis 500 Patienten, jetzt schon als Tablette oder Kapsel, als Zäpfchen, Creme, Pflaster oder Injektion an. Immer wieder wird beobachtet und geprüft, ob das Medikament die gewünschte Wirkung zeigt, ob es Nebenwirkungen hat und in welcher Dosis es am besten wirkt und verträglich ist.
In der Phase 3 erproben die Ärzte das neue Medikament an Tausenden von Patienten. Nun muss es sich zeigen, ob es auch bei einer großen Zahl von Patienten wirkt und unbedenklich angewendet werden kann. Auch jetzt noch kommt es vor, dass die Entwicklung vorzeitig beendet werden muß, vor allem, wenn das Medikament doch nicht so wirksam und verträglich ist.
Frau Saß erklärt uns, dass Boehringer Ingelheim in den vergangenen zehn Jahren mehr als 1.000 klinische Studien mit über einer Million Patienten durchgeführt hat.
Hat das Medikament die Hürden der klinischen Prüfung genommen, muss es von den Gesundheitsbehörden offiziell zugelassen werden. Dazu werden den Behörden eine Unmenge von Akten und Unterlagen gegeben, aus denen die Forschung, Entwicklung und Produktion hervorgeht. Die Behörde prüft die Unterlagen und erteilt, wenn alle Fragen geklärt sind, die Zulassung. Jetzt darf es von Ärzten verordnet und in Krankenhäusern verabreicht werden. Seit Beginn der Entwicklung sind in der Regel etwa 12 Jahre vergangen und bis zu 1 Milliarde Euro investiert worden.
Zum Schluss der Führung erfahren wir noch Wissenswertes über die Firma Boehringer selbst.
Ich empfehle die sehr gute Homepage, in der über die Geschichte des Unternehmens Interessantes zu lesen ist.
Bevor wir den Nachmittag in der Martinsstube ausklingen lassen, schauen wir uns im Untergeschoss des Naturhistorischen Museums noch die Osterküken an. Wie in jedem Jahr in der Osterzeit können hier – was nicht nur für Kinder spannend ist – Küken beim Schlüpfen beobachtet werden. In diesem Jahr noch bis zum 15. April.
Darüber hinaus ist bis zum 1. Juli 2012 die Sonderausstellung „Tauche ein in die Welt der Farben“ zu sehen. In den verschiedenen Farbräumen – gelb, blau, rot und grün – können wir die Farben auf uns wirken lassen.
Danach geht es aber rasch in die bunte Welt außerhalb des Museums und bei einem Glas Wein oder Bier lassen wir es uns, mit Blick auf eine der größten und genauesten "Sanduhren" der Welt (sie dreht sich jede Stunde einmal), gut gehen.
Die Bilder, die Margret551 an diesem Nachmittag aufnahm, findest Du hier:
(eingestellt am: 30. März 2012)
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