Die Mainzer Zitadelle
Einiges haben wir schon von ihr gehört und sie zumeist von unten gesehen, die wenigsten haben sie jedoch besucht: Die Mainzer Zitadelle. Gemeinsam mit dem Dom zählt die seit dem Jahr 1907 unter Denkmalschutz stehende Festung zu den bedeutendsten historischen Bauwerken der Stadt Mainz.
Margret hatte für den 9. Oktober bei der Initiative Zitadelle Mainz e.V. eine Führung gebucht. Mit Charlotte Backerra hatten wir nicht nur eine reizende, sondern auch kompetente Fachfrau, die uns in der 1 1/2stündigen Führung geschichtliches, bauliches, geologisches und militärisches Wissen vermittelte.
Vom Südbahnhof gelangt man, vorbei an den Ausgrabungen des Römischen Theaters, über den steilen Zitadellenweg auf den Jakobsberg zur Zitadelle. Von dort betritt man die Festung durch das imposante Tor des ehemaligen Kommandantenbaus.
Vom Gautor kommend geht es über den Eisgrubweg und die Straße „Am 87er Denkmal“ auf den Windmühlenberg. Im 19. Jh. stand hier eine Windmühle und gab dem Hügel seinen Namen. Eine große Stele erinnert an die Gefallenen seit Napoleon bis zum Ersten Weltkrieg. Interessant sind auch die Reste eines römischen Wasserbeckens.
Über den Parkplatz gelangen wir zum Treffpunkt vor dem Zitadellen-Café. 27 Mitglieder haben sich zur Führung eingefunden und werden von Frau Backerra begrüßt.
Bei dem Rundgang auf dem „Schönen Berg“, wie er im Mittelalter hieß, erzählt uns Charlotte Backerra Geschichtliches zum Jakobsberg.
1050 wurde durch den Mainzer Erzbischof Bardo außerhalb der römischen Stadtmauer ein Benediktinerkloster gegründet, das dem Hl. Jakob geweiht wurde. Auf dem Dach des Kommandantenbaus sehen wir später die Statue des Heiligen Jakob. Der Berg, auf dem das Kloster stand, wurde fortan Jakobsberg genannt.
Das Kloster wurde 1160 Schauplatz eines Verbrechens durch die Ermordung des Erzbischofs und Kurfürsten Arnold von Selenhofen. Er hatte für den Italienfeldzug von Kaiser Barbarossa die Steuern erhöht. Die Mainzer verjagten ihn, er flüchtete ins Kloster, sie töten ihn dort und zündeten das Kloster an. Daraufhin wird die Reichsacht über die Stadt verhängt.
Erst 1176 – 1192 erfolgt der Wiederaufbau des Klosters, das 1329 erneut von den Mainzern angezündet wird. Dies geschah nach einer Bedrohung durch den Gegenerzbischof Balduin von Luxemburg. Denn der strategisch günstig gelegene Jakobsberg war eine Gefahr für die Stadt, konnten doch Feinde von dort gut in sie hineinschießen.
1461 wird eine neue Klosterkirche geweiht. Das Kloster blieb bis zu seiner Zerstörung 1793 bestehen.
1914 wurde dort die Doppelkompaniekaserne errichtet und Architekturteile aus dem Abts- und Fremdenbau des Benediktinerklosters, der 1912 abgerissen wurde, verbaut. So erinnert die Jakobsmuschel an den Fensterrahmen und die beiden Portale an den Seiten des heute dort befindlichen Denkmal- und Sanierungsamtes und der Gebäudewirtschaft der Stadt Mainz an das Benediktinerkloster.
Noch während des 30-jährigen Krieges entstand in den Jahren 1620 – 1629 unter Adolf von Waldenburg eine fünfeckige Wehranlage, die sog. Schweickhardtsburg.
Auf dem Postenweg gehen wir zum Wacherker. Hier erzählt uns Charlotte Backerra, dass der Plan eine Anlage mit Erdwällen vorsah, da diese die Kanonenkugeln besser aufhalten konnten. Die fünfeckige Form bekam sie wegen der bereits vorhandenen Klostergebäuden und dem Gelände. An jeder Ecke befand sich eine Bastion. Von den ehemals fünf Bastionen hat sich heute nur noch das Adolphusbollwerk erhalten.
1630 floh der Mainzer Kurfürst Georg Friedrich v. Greiffenklau mit der kurfürstlichen „Kasse“ nach Köln. Die Festung bot keinen ausreichenden Schutz vor den herannahenden Truppen des Gustav Adolf und so wurde Mainz und die Festung offiziell den Schweden übergeben. Sie blieben bis 1636.
Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges veranlasste der Kurfürst Johann Philipp von Schönborn die Planung ein neues Befestigungssystem mit Mauern, Erdwällen und Gräben. 1655 begann der Festungsausbau mit einer regelmäßigen, viereckigen Festungsanlage, eine „Zitadelle“. An den vier spitzen Ecken wurden Bastionen gebaut. Dadurch gab es keinen toten Winkel mehr. Nur durch zwei geknickte Zugänge konnte man durch die Mauern in das Innere der Zitadelle gelangen: im Südwesten führte einer in den Zitadellengraben hinaus (heutiger Windmühlenberg), der Zugang im Nordosten zeigte Richtung Stadt.
Zu diesem Eingang führt uns Charlotte Backerra.
Das der Stadt zugewandte Tor zeigt die Insignien des Kurstaates. Zwei Löwen halten das Wappen des Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn. Es zeigt in vier Feldern das doppelte Mainzer Rad, der Rechen des Herzogtums Franken und die Fahne für das Bistum Würzburg. Über diese Gebiete herrschte Johann Philipp um 1660. Die Jahreszahl darunter – 1660 – zeigt das Entstehungsjahr des Tores. Das Tor wurde zusätzlich durch eine Zugbrücke, ein Fallgitter und mehrere Pechlöcher gesichert. Charlotte Backerra erzählt, dass durch diese „Mordlöcher“ aber kein Pech gegossen werden sollte, weil das zu teuer war, sondern im Notfall sollte die Latrine über dem Feind ausgeleert werden.
Architekt war der italienische Baumeister Antonio Petrini, der auch den Marienberg in Würzburg und den Petersberg in Erfurt im Auftrag des Kurfürsten befestigte.
Über dem Portal steht die Figur des hl. Jakob, die an die Benediktinerabtei erinnert.
Der Kommandantenbau über dem Eingang wurde 1696 im Auftrag des Kurfürst Lothar Franz von Schönborn errichtet. Charlotte Backerra: „Die „Schönborns“ regierten 100 Jahre in Mainz.
Durch den geknickten Toreingang, der zum Ziel hatte, eindringende Feinde frontal unter Feuer zu nehmen, gelangen wir wieder in das Innere der Zitadelle.
Wir begeben uns zur Terrasse neben dem Kommandantenbau. Hier stehen wir auf den Kasematten (gewölbte Lagerräume) und blicken hinunter auf Mainz.
Während wir die wunderbare Aussicht genießen, erzählt uns Charlotte Backerra, wie es mit der Geschichte der Zitadelle weitergeht.
Der Ausbau der Festung verschlang eine Menge Geld. Mainz hatte zwar eine der größten und besten ausgebauten Festungen, aber wegen der zu knappen Kasse zu wenig Verteidiger, die diese schützen sollten. Dieser Umstand machte sich das Militär immer wieder zunutze.
Die wechselvolle Geschichte der Zitadelle von 1620 bis 1792 ist hier detailliert nachzulesen.
1792 luden die Jakobiner die Franzosen ein, in die neue Mainzer Republik zu kommen. Sie ließen sich nicht lange bitten. 1793 erfolgte der Angriff Preußens auf die Festung. Mainz wurde in Brand gesteckt. Die Belagerung von Mainz, vor allem aber die Beschießung der Stadt (Juni/Juli 1793) zog viele Neugierige an - wie zum Beispiel Goethe, der den Herzog von Weimar ins Lager bei Marienborn begleitete. Er schrieb am 24. Juni 1793 in sein Tagebuch: "Die Not wehr- und hülfloser, zwischen innere und äußere Feinde gequetschter Menschen ging über alle Begriffe" und wenig später: "Den 28. Juni nachts, fortgesetztes Bombardement gegen den Dom; Turm und Dach brennen ab und viele Häuser umher."
Vier Jahre später erfolgte der Friedensvertrag und eine fast 15jährige französische Besatzungszeit. Napoleon fand Mainz wunderbar und der Bevölkerung in Mayence ging es gut unter den Franzosen. Hier ist die Zeit von 1792 bis 1814 nachzulesen.
Nachdem Napoleon 1813 den Rückzug von Russland antreten musste, flüchteten seine Soldaten nach Mainz und brachten der Stadt Cholera, Pest und andere Krankheiten.
Nach den Beschlüssen des Wiener Kongresses fiel Mainz 1816 an das Großherzogtum Hessen-Darmstadt. Die Zitadelle wurde Festung des Deutschen Bundes sowie preußische und österreichische Garnison. Neue Befestigungsanlagen (Forts) wurden gebaut.
Die Geschichte der Bundesfestung ist hier nachzulesen.
1866 wurden die Preußen durch die Österreicher abgelöst. 1871 wurde Mainz zur Reichsfestung erklärt und weitere Befestigungsringe (Heidesheim, Ober-Olm, Nieder-Olm, Zornheim, Ebersheim und Gau-Bischofsheim) bis zum Ende des Ersten Weltkriegs errichtet.
Charlotte Backerra: Der Ring mit Bunkeranlagen war 40 km lang – so groß wie Verdun in Frankreich.
Hier ist die Geschichte der Reichfestung nachzulesen.
Nach dem Ersten Weltkrieg blieb Mainz bis 1930 französisch. Im Zweiten Weltkrieg wurde auf der Zitadelle ein Kriegsgefangenenlager eingerichtet. Die unterirdischen Gänge und Räume dienten der Mainzer Bevölkerung als Luftschutzräume. 1945 bis 1955 nutzte die französische Besatzungsmacht die Zitadelle als Hauptquartier und renovierte die gesamte Anlage. Die Geschichte bis heute ist hier nachzulesen.
Wir gehen noch auf den Wall an der Bastion Drusus, wo wir auf den Zitadellengraben blicken können. Hier weist uns Charlotte Backerra auf das Problem mit dem das Bauwerk zerstörenden Pflanzenwuchs hin. Bis zum Ende der Nutzung der Zitadelle 1904 blieben Wall, Mauern und Gräben aus militärischen Gründen kahl. Danach kümmerte sich niemand mehr darum. Es wuchsen Bäume auf den Wällen, Büsche, Moose und Flechten an den Wänden und die Mauern wurden großflächig zerstört. Frau Backera: Die seltene Trockenmauerechse lebte in der Zitadelle. Durch sie wurde 1980 der gesamte Bereich unter Naturschutz gestellt. Seitdem herrschte ein ständiger Konflikt zwischen Naturschutz und Denkmalschutz. Nachdem Anfang 2000 die Initiative Zitadelle e.V. gegründet wurde, arbeitet sie seitdem mit dem BUND zusammen an einem Projekt, die Mauer zu sanieren.
Beim Verlassen des Walls macht uns Charlotte Backerra auf eine Hohltraverse (Lagerraum) aus dem 19. Jahrhundert aufmerksam, einen Unterstand für die Geschütze. Im Kriegsfall wurden sie herausgezogen und im Schutze des Walls positioniert.
Auf der Innenseite der Bastion Drusus erhebt sich der Drususstein, der zu den frühesten baulichen Spuren auf dem Jakobsberg zählt. Er wurde als Kenotaph (Leergrab) für den römischen Feldherrn Drusus, Stiefsohn des Kaisers Augustus, von den Mainzern Legionen errichtet. Drusus war 9 v.Chr. auf einem Feldzug vom Rhein an die Elbe vom Pferd gestürzt und an seiner Verletzung in Mainz gestorben. Der ehemals 30 Meter hohe Turm, bekrönt mit einem vergoldeten Pinienzapfen, war als Denkmal weithin sichtbar. Im 18. Jh. diente er als Wachtturm. Heute ist der Turm nur noch 20 Meter hoch. Die Ummantelung wurde im Mittelalter als Baumaterial benutzt, erhalten blieb der massive Kern aus römischem Beton.
Im Innern wurde eine Wendeltreppe ausgebrochen, so dass man ihn besteigen konnte. Die Eingangstür befand sich auf der damaligen Höhe des Zitadellen-Walls; heute muß eine Leiter angelegt werden.
Zum Abschluss der Führung steigen wir in die unterirdischen Gänge der Bastion Drusus. Wie weiter oben erwähnt, dienten sie im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzkeller für etwa 1.200 Menschen. Wir sehen an den Wänden noch Inschriften aus dieser Zeit, wie „3. Gruppe“ usw. mit Abgrenzungslinien zwischen den einzelnen Bereichen, als die Gänge für den Luftschutz ausgebaut wurden.
Danach steigen wir etwa vier Meter tiefer hinab in die Eskarpengalerie, einem bis vier Meter hohen und etwa 1,20 Meter breiten Gang, der unter dem 10 – 15 Meter hohen Wall verläuft. Sommers wie winters herrschen hier 8° C und durch die Luftlöcher in der Decke gibt es auch genügend Sauerstoff. Aus statischen Gründen gibt es 109 Schlitze in der Außenmauer, sog. Dehnungsfugen, wie uns Charlotte Backerra erklärt. Es ist immer noch nicht gänzlich erforscht, welchem Zweck sie dienen. Man nimmt an, dass bei Beschuss die Erschüttungswellen hier unterbrochen werden sollten, damit keine weiteren Schäden entstehen. So wurde festgestellt, dass bei Explosionen im Zweiten Weltkrieg die Mauer standhaft blieb.
Der unebene, sandige Boden wird immer wieder durch quer verlaufende, leicht hochstehende Mauerriegel unterbrochen. Sie dienten zur Stabilisierung der Außenmauer.
Wir laufen über Blechplatten, hier geht es hinunter zu den etwa 4 Meter tiefer liegenden engen Minengängen. Es sind schmale Gänge, die mit Sprengpulver verfüllt werden konnten, um im Ernstfall, wenn die Bastion von Feinden eingenommen worden wäre, die ganze Bastion samt den Feinden in die Luft zu jagen.
Am Ende der Eskarpengalerie steigen wir eine Treppe mit hohen Stufen wieder hinauf. Hier befindet sich ein Gang, der als zusätzlicher Fluchtweg dient. Wir kommen in einen kurzen Tunnel, der beim Umbau als weiterer Luftschutzkeller entstand. Hier zeigt uns Frau Backerra die einzigen zwei Toiletten des gesamten Schutzsystems. Der Schutzraum dient heute zur Überwinterung der Fledermäuse, weswegen ab Mitte Oktober bis April keine Führungen mehr stattfinden, um die Fledermäuse nicht in ihrer Winterruhe zu gefährden.
Direkt neben dem Drususstein verlassen wir die Eskarpengalerie und bedanken uns bei Charlotte Backerra für die interessante und informative Führung.
Für den Abschluss des Nachmittags hat Margret im Eisgrubkeller Plätze für uns reserviert, wo wir den Tag ausklingen lassen.
Die Fotos stammen von Günter (bakru26) und Dieter (fidelis45) und ein Bild im Wechselbild aus dem Eisgrub von Angela (Naima).
Noch mehr Bilder von Günter findest Du hier
und von Dieter hier.
(Bericht eingestellt am 14. Oktober 2012)
Artikel Teilen
Artikel kommentieren