Worms - zu Fuß durch zwei Jahrtausende
In Worms wird Geschichte und Mythos lebendig. Die Kelten nannten den Ort „Borbetomagus“. Danach kamen die germanischen Vangionen, im 5. Jh. die Burgunder, von denen das Nibelungenlied handelt. Den Nibelungen begegnet man auf Schritt und Tritt in Form von Drachenfiguren und Straßenbezeichnungen. Für die deutschen Kaiser war die Stadt bevorzugte Residenz. Über hundertmal fanden hier Reichs- und Fürstentage statt. Beim Wormser Reichstag 1521 wurde über Luther die Reichsacht ausgesprochen. Der Dreißigjährige Krieg brachte Zerstörung, Ludwig XIV. brannte Worms im Pfälzischen Erbfolgekrieg nieder. Schließlich sorgte der Zweite Weltkrieg dafür, dass kein historischer Stadtkern übrig blieb.
Es gibt genügend zu entdecken in Worms, das sich Römerstadt, Stadt der Nibelungen, Lutherstadt und Stadt des Weines nennt und ein Zentrum jüdischer Geschichte war. Einen kleinen Teil lernten wir bei der zweistündigen Führung „Zu Fuß durch zwei Jahrtausende“ am 29. März 2014 kennen.
Bei strahlendem Frühlingswetter trafen sich 20 Teilnehmer am Mainzer Hauptbahnhof. Besonders gefreut hat es mich, dass es keine Abmeldungen gab, so dass wir mit 4 Gruppenkarten für 4,30 € pro Person den ganzen Tag Bus und Bahn benutzen konnten. Kurz nach halb eins waren wir in Worms angelangt und spazierten durch die Fußgängerzone der Wilhelm-Leuschner-Straße zum Dom.
In den Dom-Terrassen mit Blick auf das Wahrzeichen von Worms blieb genügend Zeit zum Mittagessen oder Kaffeetrinken, ehe wir uns um 14.30 Uhr vor dem Südportal des Doms mit Winfried Thier trafen, der uns für die nächsten zwei Stunden durch Worms begleitete.
Vom Dom aus ging es zunächst zum Andreasstift mit der Andreaskirche, die im Mittelalter zwischen 1180 und 1200 von Bischof Burchard errichtet wurde. Burchard war ein bedeutsamer Bischof und Kirchenbauherr in Worms. Er ließ nicht nur die Andreaskirche bauen, sondern noch drei weitere Hauptkirchen, St. Martin, St. Paul und den Dom St. Peter. Er ließ den alten Dom aus merowingischer Zeit bis auf wenige Teile abreißen und auf den alten Fundamenten eine neue, wesentlich größere Kirche errichten. Ein Teil dieses neuen Wormser Doms stürzte zwar zwei Jahre später ein, wurde aber rasch wieder aufgebaut, so dass der Dom im Jahr 1018 in Anwesenheit des Kaisers und noch zu Lebzeiten Burchards geweiht werden konnte.
Seit 1930 wird das Andreasstift als Museum der Stadt genutzt. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs wurde auch das Stift und die Kirche fast völlig zerstört. Sie wurde in den Jahren 1945 – 1947 wieder rekonstruiert und seit 2007 erneut restauriert. Wegen der Bautätigkeit war leider von dem romantischen Innenhof und dem schönen Kreuzgang nicht viel zu sehen, lediglich einige römische, mittelalterliche und neuzeitliche Grabsteine, die in Worms gefunden wurden.
Gegenüber des Andreasstifts steht die Magnuskirche, die 1141 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Sie gilt als älteste lutherische Kirche in Südwestdeutschland. Hier wurde schon 1520, also bereits vor dem Wormser Reichstag von 1521, evangelisch gepredigt. Nachdem die Stadt im Pfälzischen Erbfolgekrieg am 31. Mai 1689 zerstört wurde, wurde die Kirche 1756 in barocker Form wieder aufgebaut. Ihre jetzige, romanische Form erhielt sie 1953, als sie nach der erneuten Zerstörung am 21. Februar 1945 erneut aufgebaut wurde.
Unser Stadtführer erläutert uns, dass Worms unter dem Pfälzischen Erbfolgekrieg sehr zu leiden hatte. Die Bevölkerung musste die Stadt verlassen, sie wurde angezündet und brannte völlig nieder. Der Wiederaufbau erfolgte in der Barockzeit, aus der noch die Häuser stammen, die 1945 bei der Zerstörung kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges noch stehen geblieben sind.
Auf dem Weckerlingplatz macht uns Herr Thier auf das Weinhandelshaus Valckenberg aufmerksam und erzählt uns, dass Worms die drittgrößte Weinbau treibende Gemeinde Deutschlands ist. Weltberühmt ist die Wormser Liebfrauenmilch, die Pilger, die zur Liebfrauenkirche wallfahrten, mit der „Milch der lieben Frau“ verglichen. Zur Zeit Napoleons, als die Kirchengüter versteigert wurden, erwarb der Weinhändler Peter Joseph Valckenberg die Liebfrauenmilchgärten und exportierte als Erster deutsche Weine nach Europa, insbesondere ans Königshaus nach England. Wer heute die Original-Liebfrauenmilch trinken möchte, muß nach der Bezeichnung „Wormser Liebfrauen-Kirchenstück“ Ausschau halten. Denn nur Trauben aus dieser Spitzenlage, die rund um die Liebfrauenkirche wachsen, dürfen seit 1971 den Namen tragen.
Wir gehen durch ein Tor in der alten Stadtmauer. Von der mittelalterlichen Mauer, die um 1200 erneuert wurde, sind noch einige Teile vorhanden und teilweise auch begehbar. Durch den ehemaligen Wassergraben ist es nicht weit zum jüdischen Friedhof „Heiliger Sand“.
Der Heilige Sand gilt als ältester jüdischer Friedhof Europas und dürfte gleichzeitig mit dem Bau der ersten Synagoge in Worms 1035 angelegt worden sein. Der älteste Grabstein datiert, so Winfried Thier, von 1052. Er erklärt uns, dass der Name „Heiliger Sand“ entweder wegen des Sandbodens so heißt oder weil den Toten ein Säckchen Sand als Grabbeilage mitgegeben wurde.
Durch die Tür am Wärterhaus – es gibt nur eine Tür am Friedhof – Thier: „Eingang und Ausgang sind identisch“ betreten wir den „Heiligen Sand“. Ein jüdischer Friedhof ist eine Ruhestätte mit Besonderheiten, die sich aus den Gesetzen des Judentums ergeben. So ist die Erdbestattung üblich, die dauerhafte Totenruhe gilt als unantastbar. Thier: „Wer hier einmal liegt, liegt auf immer und ewig da“.
Neben dem hölzernen Eingangstor ist das Totengebet als Sandsteintafel in die Mauer eingelassen.
Normalerweise sind die Grabsteine nach Osten ausgerichtet. Eine Wormer Eigenart ist, dass die Grabsteine alle nach Süden ausgerichtet sind. Weshalb? Thier: „Die Wormser Juden hielten sich für „gute Juden“, weil sie zur Zeit der Kreuzigung Jesu nicht in Jerusalem waren.“ Insgesamt sind ca. 2000 Gräber auf dem Friedhof vorhanden.
Berühmt sind die von 1307 stammenden Gräber des in Worms geborenen jüdischen Gelehrten und Märtyrers Rabbi Meir von Rothenburg. Hier kannst Du mehr darüber lesen. 1307 konnte Meirs Leichnam durch den Frankfurter und vermutlich aus Wimpfen stammenden Kaufmann Alexander ben Salomon ausgelöst werden. Rabbi Meir wurde auf dem jüdischen Friedhof beerdigt. Direkt neben ihm wurde Alexander ben Salomon begraben, der noch 1307 verstarb.
Nachdem 1911 ein neuer jüdischer Friedhof außerhalb der Stadt angelegt wurde, lief die Nutzung des „Heiligen Sandes“ weitgehend aus. Die letzten Bestattungen wurden in den 1930er Jahren durchgeführt. Wie durch ein Wunder blieb der jüdische Friedhof in der Nazizeit unangetastet.
Während im Mittelalter ein blühendes jüdisches Leben in Worms herrschte, das einst auch „Klein Jerusalem“ genannt wurde, und zahlreiche bedeutende Rabbiner in "Warmaisa", so der hebräische Name der Stadt Worms, lehrten, leben heute nur noch ca. 130 Juden in Worms.
Wir gehen weiter zum ältesten Teil der Stadtmauer, wo zur Zeit der Kelten, so erläutet Winfried Thier, wohl eine Thingstätte gewesen sein kann. Von hier haben wir einen wunderbaren Blick auf den Westchor des Doms, der unser nächstes Ziel ist. Wie bereits erwähnt, war Bischof Burchard, der von 1000 bis 1025 Stadtherr von Worms war, Ende des 11 Jh. einen ersten großen Dom erbauen. Der heutige Bau wurde 1181 geweiht.
Über die Geschichte des Doms kannst Du hier mehr lesen.
Eindrucksvoll ist der Blick, den wir von hier auf die Apsis, den Turm und die Rosettenfenster haben. Die Apsis ist mit Menschen- und Tierfiguren geschmückt, von der jede Figur Symbolcharakter hat. Sie sollen böse Geister von der Kirche fernhalten.
1301 wurde die gotische Nikolauskapelle fertiggestellt. Das Portal ist mit einem sog. Tympanon (= Schmuckfläche im Bogenfeld von Portalen) geschmückt, das Szenen aus der Nikolauslegende zeigt: Rettung von Seefahrern und von zum Tode Verurteilten.
Unser Stadtführer macht uns auf die romanischen Figuren über dem Südportal des Doms zwischen Nikolaus- und Annenkapelle aufmerksam und erklärt sie uns ausführlich. Das Südportal war die Eingangstür für das normale Volk. Die Darstellungen sind als „Biblia pauperum“ (Armenbibel) zu verstehen, weil viele Menschen im Mittelalter nicht lesen konnten.
Im Bogenfeld ist die Marienkrönung zu sehen. Die großen Figuren zeigen auf der rechten Seite die vier großen alttestamentlichen Propheten. Gegenüber auf der linken Seite stehen die vier Evangelisten.
Im Giebel über dem Portal erscheint Maria noch einmal als reitende Ecclesia triumphans (= triumphierende Kirche). Maria reitet auf einem Fabelwesen, dessen Kopf und Beine die vier Symboltiere für die vier Evangelisten verkörpert: Adler, Stier, Löwe und Engel – ein sog.
Tetramorph (= Viergestalt oder Viergetier).
Rechts vom Portal, an der Annenkapelle stehen vier allegorische Frauen. In der oberen Reihe sind Caritas (Liebe) und Fides (Glaube) und in der unteren Reihe Infidelitas (Unglaube) und die hochmütige „Frau Welt“ zu sehen, deren Rücken von Schlangen und Kröten zerfressen ist.
Im inneren Portalbogen werden Szenen aus dem Alten Testament gezeigt, im äußeren Bogen jeweils die dazu entsprechenden Szenen des Neuen Testaments. Es beginnt mit Gott, der die Weltkugel in der Hand hält und damit als Schöpfer der Welt dargestellt wird, parellel im äußeren Bogen dazu die Verkündigungsszene, der Engel Gabriel bei Maria. Weiter oben der Brudermord durch Kain und außen die Flucht der heiligen Familie nach Ägypten vor der Verfolgung durch Herodes. Jona, der von dem Fisch verschlungen und nach drei Tagen wieder ausgespuckt wird, außen: die Auferstehung Jesu. Innen, die Himmelfahrt des Propheten Elia, außen, die Himmelfahrt Jesu.
Wir betreten den Innenraum, unser Blick fällt auf den barocken Hochaltar von Balthasar Neumann. Das geschnitzte Chorgestühl im Rokokostil stammt von dem Mainzer Franz Anton Hermann mit Darstellungen von Musikinstrumenten aus den Jahren 1755-1759. Rechts im Chor steht die Chororgel der bekannten Firma Oberlinger aus Windesheim, im Langhaus eine Schwalbennestorgel der Bonner Firma Klais.
Unter den Stufen zum Altarraum im Mittelschiff befindet sich die Saliergruft.
Beeindruckend ist das Geschichtsfenster mit 20 Szenen aus der Wormser Stadtgeschichte. Winfried Thier macht uns auf das Lutherszene aufmerksam (in der zweiten Reihe von oben, drittes Fenster von links). Besonders schön auch die bunten Glasfenster in der Nikolauskapelle.
Wir gehen weiter in den Heylspark. Einst stand hier der Bischofshof, die Wormser Kaiserherberge, der 1689 zerstört wurde. Hier hielten die deutschen Kaiser Hof, wenn sie zu den Reichstagen in Worms weilten. Im April 1521 mußte sich Martin Luther vor Kaiser Karl V. verantworten. Er weigerte sich seine Schriften zu widerrufen, was die Reichsacht gegen ihn nach sich zog und den Bruch der Kirche zur Folge hatte. Im Heylspark fanden in früheren Jahren auch die Nibelungenfestspiele statt; 2013 auf dem Gelände vor dem Westturm.
Der Name Heyl hat viele Spuren in Worms hinterlassen. Cornelius Heyl zu Herrnsheim war Lederfabrikant und errichtete im Park das Palais Heylshof , ein Museum für die bedeutenden Kunstsammlungen. 1923 wurde eine Stiftung errichtet, nach der das Haus mit Park und Kunstschätzen auf Dauer der Öffentlichkeit zugänglich sein sollte.
1868 wurde zu Ehren des Reformators Martin Luther das von Ernst Rietschel geschaffene Lutherdenkmal enthüllt. Wie oben erwähnt, wurde der Augustinermönch 1521 zum Reichstag beordert, weil er schon seit geraumer Zeit für Unruhe in der Kirche sorgte, indem er gegen die Ablasspraxis der katholischen Kirche predigte und am 31. Oktober 1517 seine 97 Thesen an der Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen hatte.
Am 18. April 1521 bekennt sich Luther klar zu seiner Überzeugung und weigert sich zu widerrufen. "Hier stehe ich und kann nicht anders! Gott helfe mir, Amen!"
Auf dem Denkmal steht Luther mit der Bibel in der Hand in der Mitte, zu seinen Füßen die Vorreformatoren Jan Hus, Hieronymus Savonarola, Petrus Waldus und John Wicliff. Wie eine feste Burg bilden die vier Eckpunkte: Friedrich der Weise von Sachen, der ihn als Junker Jörg auf der Wartburg in Sicherheit brachte, sein Unterstützer Landgraf Philipp von Hessen, sowie seine Freunde und Mitstreiter Johannes Reuchlin und Philipp Melanchthon. Die trauernde Magdeburg, die friedfertige Augsburg und die protestierende Speyer umringen ihn.
Unter den Zinnen sind die 27 Wappen der Städte des Schmalkaldischen Bundes zu sehen.
Die Reliefs zeigen Szenen aus dem Leben von Luther und Sprüche von Luthers Zeitgenossen.
Hier kannst Du Dich über das Lutherdenkmal informieren.
Zum Schluss der Führung begleitet uns Winfried Thier auf den Obermarkt und zeigt uns das Schicksalsrad von Gustav Nonnenmacher, der erst 2012 verstorben ist und im April 100 Jahre würde. 1986 schuf er das Bronzerad mit Relieffiguren, das auf der einen Seite Szenen aus der Geschichte der Stadt und auf der anderen Seite Szenen des täglichen Lebens wiedergibt.
„Wenn die Zeit über 12 Uhr hinausgeht, macht es hörbar „klack“ und sie ist Vergangenheit. Einzig die Symbolfigur des Narren behält den Kopf immer oben“, mit diesen Worten verabschiedet sich Winfried Thier von uns.
Hier kannst Du mehr über das Schicksalsrad erfahren, insbesondere über die Darstellungen auf der Vorder- und Rückseite.
Wir haben noch Zeit bis zur Abfahrt des Zuges um 17.20 Uhr und gönnen uns ein „Eis auf die Hand“. In der Sonne auf dem Brunnenrand sitzend, schmeckt es besonders gut.
Um 18 Uhr sind wir alle wohlbehalten wieder zurück in Mainz.
Die Bilder zum Bericht wurden von Margret und Dieter aufgenommen.
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und hier zu den Fotos von fidelis45.
(eingestellt am 1.4.14)
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