Höchst - mitten hinein ins Mittelalter
Wer den Namen Höchst hört, denkt zunächst an einen Frankfurter Stadtteil. Beim nächsten Gedanken verbindet er den Namen mit den (ehemaligen) Farbwerken Hoechst und vielleicht noch mit der Jahrhunderthalle. Dass Höchst sogar noch älter als Frankfurt selbst ist, jahrhundertelang zu Mainz gehörte und eine sehenswerte Altstadt hat, wissen die wenigsten. Als ich durch Zufall davon hörte und im Internet nachlas, wusste ich sofort: Da müssen wir hin !
Auf der Seite der Initiative Pro Höchst e.V. (es lohnt sich, dort zu stöbern) und bei meinen weiteren Recherchen stieß ich auf die Historikerin Silke Wustmann, Gästeführerin in Frankfurt und in Höchst und nahm Kontakt zu ihr auf. Der erste Termin im Mai musste kurzfristig verschoben werden, ein neuer Termin für den 8.August war schnell gefunden.
Nach der Überquerung des Marktplatzes kamen wir in die kleinen Gassen der Altstadt, die seit 1972 unter Denkmalschutz steht. Die meisten Fachwerkhäuser stammen aus der Zeit nach dem großen Stadtbrand von 1586. Von den etwa 100 Häusern fiel damals über die Hälfte den Flammen zum Opfer.
Frau Wustmann begann die Altstadtführung in der Justinuskirche, die nicht nur das älteste Gebäude in Frankfurt ist, sondern eine der ältesten Kirchen Deutschlands. Sie stammt aus der Zeit der Karolinger und wurde zwischen 830 und 850 errichtet. Im 15. Jahrhundert erweiterten die Antoniter das Bauwerk zu einer dreischiffigen Basilika mit hochgotischem Chor.
Silke Wustmann, die die Führung sehr pfiffig und kurzweilig gestaltete, ging zu Beginn auf die Geschichte und die Rivalität zwischen Frankfurt und Mainz ein.
Höchst, das einstmals eine fränkische Siedlung war, wurde von den Erzbischöfen von Mainz aufgebaut und gehörte über 1000 Jahre zu Kurmainz. Das Mainzer Rad im Wappen von Höchst erinnert daran. An der Mündung der Nidda in den Main gelegen, war das Plateau von Hochwasser der beiden Flüsse geschützt und gut zu verteidigen. 790 wurde das fränkische Dorf Hostat (hohe Stätte) erstmalig urkundlich erwähnt. Damit ist es nachweislich 7 Jahre älter als Frankfurt.
Hier kannst Du mehr über die Geschichte von Höchst lesen
Erzbischof Otgar von Mainz ließ in Höchst die Kirche errichten, die für das kleine Dorf viel zu groß war. Sie sollte jedoch als Machtsymbol gegen den Königshof in Frankfurt stehen. 850 wurde die Kirche von Rabanus Maurus zu Ehren von Justinus geweiht. Seine Gebeine blieben etwa 450 Jahre dort aufbewahrt, bevor sie in die Kirche St. Alban nach Mainz kamen.
Die Kirche – so Silke Wustmann mit einem Schmunzeln – kann man als Missionskirche ansehen: Die Frankfurter wurden von den Mainzern von hier aus christianisiert.
Sie wird seit 2009 nur im Sommer für Gottesdienste genutzt und ist eine beliebte Hochzeitskirche. Da sie am Hang und auf einer Quelle steht, sind ständig umfangreiche Instandsetzungsarbeiten notwendig.
1983 wurde die Stiftergemeinschaft Justinuskirche e.V. gegründet. Ziel war es, das öffentliche Interesse an der Justinuskirche zu verstärken und Geldmitteln für die Restaurierung und dauerhafte Erhaltung der Kirche zu beschaffen. Führungen können direkt über die Internetseite der Justinuskirche vereinbart werden. Die Einnahmen dieser ehrenamtlichen Führungen kommen direkt der Erhaltung der Justinuskirche und den derzeit laufenden Restaurierungen zugute.
Das Interieur der Kirche stammt aus dem Barock.
Auf der Seite der Justinuskirche kannst Du mehr über die Innenausstattung der Kirche lesen
Die Orgel wurde von einem Mainzer Orgelbauer gebaut, der sie 1740 fertigstellte. Ende der 1980er Jahre wurde in den barocken Orgelprospekt eine neue Konzertorgel eingebaut. Dadurch hat sie ihren ursprünglichen Klang zurück gewonnen. Heute finden im Rahmen des Höchster Orgelsommers Konzerte mit internationalen Künstlern statt.
Frau Wustmann empfiehlt uns noch den Besuch des Justinusgartens an der Südseite der Kirche. Der Garten wurde 1990 angelegt. Angebaut werden die von den Antonitern verwendeten Heilkräuter und Stockrosen in vielen Farben.
Nach dem Besuch der Justinuskirche gehen wir wenige Schritte bis zum Alten Rathaus. Es wurde in den Jahren 1595/96 im Renaissancestil erbaut und diente bis 1844 als Rathaus. Danach wurde es umgebaut, als Gaststätte und ab 1929 als Bücherei genutzt. Heute ist es ein Wohnhaus.
Wir gehen weiter zum Schlossplatz, einem malerischen Platz mit Fachwerkhäusern aus dem 15. – 19.Jh. Vor den Gasthäusern "Zum Schwan", „Alte Zollwache“ und „Zum Bären“ stehen Tische und Bänke auf dem Kopfsteinpflaster, überdacht von großen Marktschirmen.
Das Haus "Der Karpfen" war ein gotischer Fachwerkbau und wurde bereits um 1500 als Wirtshaus erwähnt. Das ursprüngliche Haus wurde im 30jährigen Krieg stark beschädigt und 1633 durch einen Nachfolgebau ersetzt. Durch seine Lage am Schlossplatz und am Zollturm, dem einzigen Stadttor von der Mainseite her, hatte es eine gute wirtschaftliche Stellung. Das Marktschiff zwischen Frankfurt und Mainz hielt um die Mittagszeit, und die Fahrgäste gingen zum Mittagessen an Land. "Der Karpfen" war die erste Anlaufstelle.
Albrecht Dürer war dort zu Gast und berichtet im Tagebuch seiner niederländischen Reise über den Karpfen, auch Goethe reiste mit dem Mainzer Marktschiff an und erwähnt das Gasthaus in Dichtung und Wahrheit.
1973 musste das Gebäude aus dem Jahr 1633 wegen starker baulicher Mängel abgebrochen werden und wurde durch einen passenden Neubau ersetzt, der sich stilistisch in die Gebäude auf dem Platz einfügt. "Der Karpfen" dient heute als Wohnhaus. In der Schieferverkleidung ist der Karpfen gut zu erkennen.
Über eine Brücke mit dem Hl. Nepomuk auf der Brüstung gehen wir zum erzbischöflichen Alten Schloß.
Höchst lag an der wichtigen Handelsroute Lyon – Mainz – Frankfurt – Leipzig. Die Lage an den beiden mit Schiffen zu befahrenden Flüsse bedeutete Zolleinnahmen. Zoll durfte aber nur derjenige erheben, der eine Burg besaß. So errichteten die Mainzer Erzbischöfe kurzerhand eine Zollburg (das Alte Schloß). 1355 wurde Höchst von Kaiser Karl IV. die Stadtrechte verliehen und in einer weiteren Urkunde 1356 das Marktrecht. Um die Burg herum entstanden die ersten Häuser und das Dorf begann sich zu entwickeln.
Und hier – so Silke Wustmann – kam wiederum die Rivalität zwischen Frankfurt und Mainz ins Spiel.
Die in Höchst erhobenen Zölle waren für die Mainzer Erzbischöfe eine wichtige Einnahmequelle. Sie setzten Statthalter (Amtmänner) auf die Burg. Das war den Frankfurtern ein Dorn im Auge. Die Handelsstadt Frankfurt sah durch den Mainzoll ihre wichtigste Einnahmequelle bedroht. Sie zerstörten 1396 Stadt und Burg Höchst, verloren aber die Fehde.
Das Alte Schloß wurde bald danach wiederaufgebaut, aber als gotische Zollburg. Davon ist allerdings nur noch der Bergfried erhalten. Er wurde 1681 mit einer barocken Haube versehen. 183 Stufen führen nach oben.
Im 30jährigen Krieg wurde der Hauptteil des Schlosses zerstört und nur das Nötigste wieder aufgebaut. Lediglich der Gewölbekeller blieb erhalten. Die Steine der Ruine wurden 1772 zum Bau des Bolongaropalastes genutzt.
Nach der Auflösung des Kurfürstentums Mainz Ende des 18. Jh. ging das Schloß in den Besitz des Herzogtums Nassau über, 1866 an den preußischen Staat. 1908 kaufte die Familie von Adolf von Brüning, einer der Gründer der Farbwerke Hoechst, den Komplex und ließ ihn renovieren.
In der Zeit nach dem 1. Weltkrieg wurde Höchst – da zu Mainz gehörig – französisch. 1928 wurde es nach Frankfurt eingemeindet. Nach dem 2. Weltkrieg befand sich im Alten und Neuen Schloß bis 1966 die Quartiere und die Sendezentrale des Soldatensenders AFN. Namhafte Jazzsänger, u.a. Bill Ramsey waren zu Gast.
Vor dem Zollturm steht die Friedenseiche von 1871.
Der Zollturm mit dem Zolltor gehört zur Stadtbefestigung und stammt aus der Mitte des 14. Jh. Er wurde bis zum Ende der Erhebung des Zolls 1866 als Wohn- und Amtsgebäude des Zollaufsehers genutzt, später diente er als Wohnraum für ehemalige Zollbedienstete. Bis 1975 war dort das Heimatmuseum untergebracht; seit 1980 dient der Zollturm dem Höchster Geschichtsverein als Büro, Archiv und für Sonderausstellungen.
Von der Mainseite her wurde der Zollturm und damit der Zugang zur Stadt in früheren Zeiten durch ein Fallgitter gesichert. Es war der einzige Zugang zur Stadt vom Ufer her. Im Garten waren Kanonen aufgestellt. Silke Wustmann: „Wurde kein Zoll bezahlt, gab man dem Schiff einen Schuß vor den Bug.“
Vom Mainufer aus erkennt man, wie hoch die Stadt liegt. Die Silhouette ist seit 300 Jahren unverändert. Die hoch aufragende Stadtmauer, die nur 1 km lang ist, wurde 1976 renoviert. Vom Ufer aus verkehrt eine kleine Fähre auf die gegenüberliegende Mainseite nach Schwanheim.
Durch den Burggraben mit seinen hübschen Fachwerkhäusern, in denen früher das Personal der Burgherren wohnten, gelangen wir zum Neuen Schloß.
Die Gebäude im Renaissancestil entstanden Ende des 16. Jh., der Treppenturm ist allerdings aus den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Der Bereich, auch „Cavaliersbau“ genannt, war kurfürstliches Gästehaus. Heute ist das Neue Schloß exklusiver Veranstaltungsort mit gehobener Gastronomie und wird für kulturelle Veranstaltungen genutzt.
Zum Schluss unseres Rundgangs gehen wir noch wenige Schritte zum Dalberghaus, auch Dalberger Hof genannt.
Das Gebäude wurde 1582 im Renaissancestil durch Hartmuth von Kronberg erbaut und 1586 an Wolfgang von Dalberg (seit 1582 Erzbischof von Mainz) verkauft. Nach dem Aussterben der Familie von Dalberg hatte das Haus verschiedene Besitzer. 1968 sollte es abgerissen werden. Höchster Bürger kämpften bis 1975 gegen den Abriss, bis schließlich die Farbwerke Hoechst den Erhalt und die Renovierung finanzierten. Die Bedingung war, dass die Höchster Porzellanmanufaktur dort ihren Firmensitz haben sollte. Nachdem die Manufaktur in den neuen Porzellanhof umgezogen war, betrieb sie bis 2011 nur noch eine Verkaufsstelle und im Keller ein kleines Firmenmuseum mit Höchster Porzellan. Der historische Gewölbekeller kann für Veranstaltungen gemietet werden.
Heute befinden sich im Erdgeschoss eine Einrichtung des Evangelischen Familienzentrums Höchst und die Werkstatt eines Cembalobauers. Im oberen Teil des Hauses befinden sich Wohnungen.
Die 1 1/2stündige Führung war wie im Flug vergangen.
Nicht mehr geschafft haben wir die Klosteranlage des Antoniterklosters aus der Mitte des 15. Jh., das von 1441 bis zur Säkularisierung 1803 bestand. Nicht gesehen haben wir auch den Bolongaropalast, den größten bürgerlichen Barockpalast nördlich der Alpen. In dem Raum, in dem Napoleon 1813 nach der Völkerschlacht bei Leipzig übernachtet hat, hat der amtierende Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt ein Büro. Sehenswert ist auch die Höchster Porzellanmanufaktur, die 1746 gegründet wurde.
Ein Wiederkommen nach Höchst lohnt sich deshalb allemal.
Hier kannst Du mehr über die Altstadt von Höchst lesen
Zum Abschluss des Tages kehren wir im Gasthaus „Zum Bären“ auf dem Schloßplatz ein. Das traditionsreiche Haus wurde 1799 erbaut. Vier Tische sind draußen für uns reserviert. Die Bedienung ist flott und aufmerksam und schon nach kurzer Zeit stehen Getränke und Essen vor uns.
Kurz vor 19 Uhr machen wir uns auf den Rückweg zum Bahnhof. Eine Stunde später sind wir wieder in Mainz.
Unsere Fotografen waren fleißig.
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An der Resonanz im Forum ist zu erkennen, daß Höchst und die Führung von Silke Wustmann gefallen hat.
Maria/Metma schreibt:
"Wir hatten heute eine tolle Führung durch Hoechst, mit einer jungen Frau, die mit Humor und großem Wissen lebhaft erzählte!! Ich hätte ihr noch stundenlang zuhören können!!!Vielen Dank Rose, für diesen guten Griff!"
Lissy/Gernoma schreibt:
"Schließe mich den Ausführungen Metmas an. Hätte der Stadtführerin auch noch stundenlang zuhören können. Das war bei mir noch nie der Fall. Im Gasthaus hat es mir auch gut gefallen. Es ist immer nett, sich mit Menschen zu unterhalten, die ich vorher nicht gekannt habe.
Danke Rose, es war ein schöner, ausgefüllter Tag."
Jutta/Monddiamant schreibt:
"Amüsant und kurzweilig war es. So hätte mal der Geschichtsunterricht in der Schule sein müssen. Und das ganze dann auch noch mit Krücken und Hockerchen, da kann man nur den Hut ziehen."
(Danke Jutta für das Abholen vom Bahnhof und Bringen zur Justinuskirche!)
(eingestellt am 11.8.14)
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