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ROM intensiv


Autor: Feridun Zaimoglu
TROPEA (Feuerquallen)



empfohlen von: Melanie/Melanchthon

Tropea_Melanchthon

Die Stadt Tropea, heißt es, wurde von keinem Geringeren als Hercules erbaut. Man muss der Legende nicht unbedingt glauben, drei Erdbeben und der Fall des Verteidigungswalls haben die Stadt völlig verändert. Und doch – wenn man am zentralen San-Leonardo-Strand mit dem Rücken zum Meer steht und hochschaut, wird man an alte Zeiten erinnert: Die Häuser wachsen wie Zahnstummel aus dem großen Felsen, Tropea wurde als Wehrdorf und Trotzburg gegen die Heiden angelegt. Der Feind kam vom Meer her, der Feind – das war natürlich der Sarazene. An der kalabrischen Westküste bildet das Land kurz vor der Stiefelspitze einen Sporn, und Tropea ist das größte Küstenstädtchen.

Es war nicht leicht, hierherzufinden, ich folgte der A3 und fuhr elend lange Landstraßen, mindestens zweimal schloss ich fast mit meinem Leben ab. Wer mir in Deutschland von der hohen Lebensart der Italiener etwas erzählt, bekommt von mir einen deutschen Anpfiff: Ich habe noch nie so viele Psychopathen auf den Straßen erlebt wie in Italien. Es sind natürlich nur Männer in stinknormalen Familienwagen – sie fahren nicht, sie führen Krieg. Ein rotumrandetes Verkehrsschild mit der Zahl 60 in der Mitte verstehen sie als Reklametafel für eine neu eröffnete Bar. Wenn man aber die Geschwindigkeit drosselt, wird man rechts überholt, von der Straße auf die Haltespur abgedrängt und zum Aussteigen aufgefordert. Ein Mann im kirschpastellfarbenen Anzug wollte sich mit mir schlagen, seine Frau feuerte ihn kreischend an. Ich gab Gas und ließ ihn in einer Staubwolke stehen, nach einer halbstündigen Verfolgungsjagd ließ er endlich von mir ab.
Nach zwei Stunden vergeblicher Suche nach einem preiswerten Zimmer fahre ich genervt weiter, die Zimmer sind entweder belegt oder sie kosten ab hundertfünfzig Euro die Nacht. Man empfiehlt mir den Badeort Capo Vaticano, dort würden arme Schweine wie ich Unterschlupf finden. Und tatsächlich komme ich in einem Bungalow unter, in dem sechs Familien auf zwei Stockwerken verteilt, in Kerkerzimmern wohnen.

Capo Vaticano_Melanchthon

Besser als nichts, denke ich, die Klospülung lässt sich zwar nicht abstellen, und die zwei Geckos an der Decke scheinen in diesem Loch geboren und großgeworden zu sein. Die Angestellte der Love Calabria Bungalow Vermietungsfirma heißt mich an „diesem Saint Tropez Italiens“ herzlich willkommen, sie möchte bitte meinen Pass einbehalten und sofort kassieren. Ich frage sie, ob sie den Hausmeister der Bungalowsiedlung wegen des defekten Klos vorbeischicken könne. Sie sagt, es stehe mir natürlich frei, auf die Dienste der Love Calabria Firma zu verzichten. Ich bedanke mich, sie verabschiedet sich und geht laut schimpfend die Treppe herunter.

Ich folge einem Maultierpfad, rechts und links rascheln Geckos zwischen den Kakteen im trockenen Gras. Nach zehn Minuten stehe ich auf einem schroffen Felsen, vor mir gähnt der Abgrund, ich kann unten gerade noch den Strand sehen. In das schulterhohe Dickicht ist eine Schneise geschlagen worden, ich klettere langsam herunter, manchmal muss ich auf dem Hosenboden rutschen und mich an Wurzeln festhalten. Die Menschen am Strand winken mir zu, ich winke zurück und taste mich vorsichtig durch Busch und Kraut. Als ich schweißgebadet und zerkratzt unten ankomme, zeigt mir ein Mann mit dickem Goldkruzifix an der Halskette den Vogel; ich sei wohl lebensmüde, in Badelatschen den Felsen wie eine Bergziege herunter zu stolpern, es seien, allein in diesem Monat, drei Menschen beim Abstieg verunglückt. Er habe alle Leute am Strand zusammengerufen, und sie hätten mich wild fuchtelnd zur Umkehr bewegen wollen. Ich bedanke mich und klettere erst einmal auf die kleinen Felsen, die die Bucht begrenzen.

Zur Rechten entdecke ich deutsche Wohnwagen-Helden in beigen Socken und Sandalen, sie haben einen ganzen Campingplatz besetzt. Deutschland, denke ich und winke freundlich, die Männer starren mich an wie einen Strandhändler, der ihnen eine pinke Haarspange aufschwätzen will. Ich verstehe sie, es ist ihr Reservat, ein fremder Indianer hat da nichts zu suchen. Ich kehre zurück, breite mein Badetuch in den Farben des A.S. Roma aus und lege mich hin. Der Kapitän eines Fischkutters setzt eine Gruppe von Touristen an der Bucht ab, zur Feier der geglückten Landung gibt er Sekt und Cracker aus. Nun gut, Zeit, ins Meer zu gehen.

Es ist meine Art, mich brüllend ins Wasser zu stürzen, ich weiß, dass die Menschen vor Schreck zusammen fahren, aber ich kann nichts dagegen tun. Also renne und schreie ich los und lasse mich dann ins Wasser fallen – um brüllend wieder zurückzulaufen, der Schmerz ist unbeschreiblich. Ich habe das Gefühl als hätte mir ein Hai die halbe Schulter abgebissen. Der Kapitän ist sofort zur Stelle, auch der Mann mit dem Kruzifix kommt herbei. Seine Frau holt einen Kosmetikspiegel aus ihrem Täschchen und verstellt ihn in einem Winkel, dass ich meine Schulter sehen kann. Darauf prangt, wie ein Relief, der Abdruck einer Feuerqualle mit Kopf und Tentakeln; es sieht aus wie eine stilisierte Nachttischlampe, von deren Schirm Troddeln herunterhängen. Die Medusa, sagt der Kapitän und lacht auf, Signor Kruzifix zückt sein Taschenmesser und schneidet in eine Zwiebelknolle, die Zwiebelringe legt er mir auf das Brandmal. Er mache seit fast zwanzig Jahren Urlaub an diesem Belvedere-Strand und folge dem Rat der Einheimischen, immer eine Zwiebel mitzunehmen. Ich solle froh sein, dass es mich nicht schlimmer erwischt habe, ich sei wie ein Knallkopf ins Wasser reingehechtet und hätte die Quallen vom Meeresboden hochgescheucht – es grenze an ein Wunder, dass sie mir nicht ins Gesicht geschwommen seien, eine solche Säureattacke hätte ich ganz sicher nicht überlebt. Zum tausendsten Mal an diesem Tag bedanke ich mich artig und mache mich an den Aufstieg, meine Schulter brennt höllisch, die verdammte Strandtasche zieht mich auf halber Strecke fast herunter. Ich mache kurz Rast und blicke zurück. Signor Kruzifix stochert mit einem langen Ast im Wasser, und dann reißt er den Ast herum und hält eine aufgespießte Qualle hoch.

Altstadt Tropea_Melanchthon

Am Abend flaniere ich, wie einige Hundert Touristen auch, durch die Altstadt. Die Neppläden verkaufen Bastfüllhörner, Schneekugeln, Zwiebeln und Pepperonis aus Keramik. Für die Frau von Welt gibt es Korallenkolliers, für den gehobenen Touristen Handtäschchen mit rotem Lederriemen. Ich finde ein kleines Restaurant, setze mich auf die Terrasse. Am Nebentisch feiert eine junge Frau mit ihren Freundinnen ihren Geburtstag. Irgendwann ruft ihr Ex-Ex-Freund aus Amerika an, sie sagt: I finised my love story with the Caklifronian man, you know?! Dann haucht sie ihm Schweinereien zu, die Freundinnen sind völlig aus dem Häuschen, sie bewerfen den Kellner und mich mit Papierkugeln, die sie aus der Serviette rupfen. Ich esse seelenruhig meinen „calabrian starter“, das ist scharf gewürzte Pferdesalami, und trockne mir die Tränen aus den Augen, meine Lippen schwellen an, ich kippe ein Glas Wasser nach dem anderen in mich hinein. Als alles nichts hilft, renne ich zum Brunnen auf der gegenüberliegenden Straßenseite und tauche meinen Kopf in das Wasser. Der Kellner und die Frauen sind sehr erheitert.

Tropea_Melanchthon

Wenig später schlendere ich zur Kirche der heiligen Maria auf der Insel, die aber längst keine Insel mehr ist, da mittlerweile viele Wege zur Kernstadt auf dem Hauptfelsen führen. Die Marienstatue, so geht eine andere Legende, habe die Besatzung eines Handelsschiffes einfach am Strand zurück gelassen. Die Bürger der Stadt hätten sich kurz beraten und entschieden, die Maria voller Gnaden in einer Felsgrotte aufzustellen. Doch die Grotte war viel zu klein, also wollte man die Füße der Madonna absägen. Den damit beauftragten Tischler traf der Schlag, der ihm zur Seite stehende Bischof und der Bürgermeister wurden vom Blitz Gottes getroffen und verbrannten vor den Augen der Bürger. Seitdem sind die Menschen von Tropea sehr vorsichtig, wenn sie auf zurückgelassene Geschenke stoßen. Ich umrunde die Kirche, gehe wieder zurück in die Altstadt und vorbei an den Jahrmarktsbuden und kaufe eine Tüte gebrannter Mandeln. In meinem Bungalowzimmer wartet die laufende Klospülung auf mich, morgen werde ich Kalabrien hinter mich lassen und nach Sizilien fahren. Der Tag ist noch jung, meine Schulter riecht nach Zwiebel, und ich nehme mir vor, am Hauptstrand zu laufen und mich brüllend ins Wasser zu stürzen. Es heißt, das Meer sei an diesem Abschnitt frei von Feuerquallen.

Rossa di Tropea_Melanchthon


Zaimoglu war für ein Jahr Stipendiat in der Villa Massimo, Rom.
Seine Kolumnen wurden zu einem Buch zusammengefasst. Der Deutschtürke beschreibt seine Zeit in Rom und Italien auf sehr anschauliche und lustige Weise.


Diesen Auszug wollte ich Euch zum Jahrestag unserer Reise nach Tropea vom 19.-26.10.2019 schenken.

Andenken_Melanchthon

Autor: Melanchthon

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