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In einem großen Land

von Taylor Caldwell

empfohlen von Melanie/Melanchthon

„Alles, was nicht mit Buchstaben und Wörtern zusammenhing, lernte Frank nur langsam und mit größter Mühe.
Nach einer Woche schon konnte er sicher und schwungvoll Buchstaben malen, aber es dauerte Monate, bis er wirklich alle Ziffern kannte.
So schrieb er lange Zeit die Ziffer -neun- verkehrt herum. Wenn Miss Ballister dann ungehalten wurde, fügte er einen zweiten Kreis hinzu und murmelte „B“! Buchstaben bedeuteten ihm etwas, Zahlen jedoch waren geheimnisvolle Größen, die man bestenfalls traumverloren raten konnte – wobei man manchmal mit viel Glück sogar die richtige Lösung fand.
Er schien den Klang der Wörter zu lieben, die sich aus den geschriebenen Buchstaben bilden ließen. Jedes Wort war für ihn ein neues Wunder. Wenn er das Wort „Katze“ geschrieben hatte und erkannte, daß dieses Wort das Tier bezeichnete, das in seinem Buch abgebildet war, dann glänzten seine Augen, und er schien den Tränen nahe. Er hatte eine tiefe, unsichere Stimme, ein raues, junges Organ, das er selten benützte – es sei denn, um die magischen Buchstabengruppen auszusprechen, die er selbst gebildet hatte und die er in seinen Büchern schon erkennen konnte. Bald begann er auf Wörter zu lauschen, als wären sie Musik. Manchmal wiederholte er sie leise, indem er nur die Lippen bewegte. Er schien geradezu besessen von Wörtern, allen Wörtern. Sie waren wie Lichtstrahlen. Sie waren Fenster, die sich plötzlich öffneten und den Blick auf das verzauberte Land im Glanz des Vollmonds freigaben. Sie waren das schmettern heller Trompeten in der Dunkelheit; sie waren Trommeln, die die Stille mit ihrem Schlag erfüllten.

Wie konnte er jemals den Zauber der Wörter erklären, der unzusammenhängenden Wörter, der Wörter an sich? Schillernde Schmetterlinge waren sie für ihn, Regenbogen über stummen Tiefen, der schnelle Flug der Vögel, das Aufsteigen und sich Wiegen der Möwen, auf deren Flügeln der Sonnenuntergang lag.

Instinktiv erkannte er, wie fett, wie saftig, wie klangvoll und üppig Wörter sein können. Manchmal erinnerte ihn ein neues Wort an einen kleinen, dicken Mann, der fröhlich daher watschelte und immer lachte. Es war ihr Klang, allein der Klang der Wörter (noch kannte er ja nicht die Bedeutung der meisten, die er hörte), der ihn so verzauberte. Es war ihr Rhythmus, die Breite, der Fluss, das Pianissimo oder Fortissimo ihrer Bedeutung; der plötzliche Schwung einer Silbe, der ihn an die Rundung einer Glasvase erinnerte; das unerwartete Ansteigen, als wäre eine Hand gebieterisch erhoben worden. Manche Wörter waren auch hässlich, unangenehm und rau, abscheulich kleine Wortlöffel, die mit vergiftetem Mus gefüllt waren. Er fing auf der Straße Wörter auf; er horchte zu Hause, in den Läden, auf Korridoren, in Hallen und Räumen. Er hörte zu, wenn sein Vater aus dem „Manchester Guardian“ vorlas, und der gemessene Schritt dieser Wörter erinnerte ihn an eine Prozession, eine feierliche Parade, eine Versammlung von Königen, an einen alten Mann, der in der Nacht über ernste Dinge sprach. Am schönsten war es, wenn sein Vater eine unverständliche, witzige Glosse vorlas. Da purzelten die Wörter durcheinander wie Clowns in einer Pantomime; sie waren ausgelassene kleine Zwerge mit großen roten Nasen, winzige schillernde Püppchen, die an Fäden hingen; Hanswurste mit gackernden Stimmen oder fröhlichen Trommeln. Andere Wörter waren kalt und steif wie Zweige im Winter oder hart wie Stein oder scharf wie die gestreiften Pfefferminzstangen, die man Kindern zu Weihnachten schenkte. Noch erfasste sein Verstand nicht den Sinn der Wörter. Ihr Klang war es, der ihn so verzauberte.“


***

Ist das nicht eine variantenreiche Beschreibung von Wörtern? Fand diese Passage so gut, dass ich es unbedingt einem größeren Personenkreis zugänglich machen wollte.

Manchmal hat man alte Schwarten im Schrank und fragt sich, woher die wohl kommen!
Eventuell lohnt sich das Lesen eines alten Buches, wegen der Geschichte die erzählt wird, dem Schreibstil, der Vermittlung historischer Fakten oder Beschreibungen von Landschaften.

Hier geht es um einen Jungen, geboren in England, wo er auch die ersten Jahre verbringt. Von der Familie als zurückgeblieben belächelt, wird er später von Mitschülern und Eltern misshandelt. Seine Eltern übersiedeln nach Amerika „um Geld zu machen“ und entwickeln sich mehr und mehr zu Knauserern und Außenseitern. Schon als Kind fängt der Junge an zu schreiben und ist sicher, Schriftsteller zu werden. Seine Eltern sparen jedoch an Schulbildung und - wie viele andere in jener Zeit - muss er mit 14 zur Arbeit in die Fabrik. Sein Lebensweg ist ein Auf und Ab, aber er schafft die Veröffentlichung seines ersten Romans.

Öfter sind Passagen langatmig, aber dann auch wieder ganz spannend. Interessante Beschreibungen der Lebensweise im industriellen und ländlichen Amerika Anfang des 20. Jhds.

Von dieser Autorin hatte ich noch nichts gelesen. Gerne wieder, sollte ich auf ein preiswertes Exemplar stoßen.

***



„Weiß Gott, es liegt nicht in meiner Absicht, Sie zu beleidigen. Sie sind die rühmliche Ausnahme von der Regel. Aber sehen sie doch mal, was wir in den letzten, na, sagen wir, siebzig Jahren an Menschenmaterial hereinbekommen haben! Missgestaltete Bauern aus den ärmsten Gegenden Europas! Analphabeten. Jetzt reden sie von Quoten. Sie wollen die Zahl der Einwanderer beschränken, aber unsere vernagelten Gesetzgeber lassen die Qualität völlig aus dem Auge. Ein Landarbeiter hat genau die gleiche Chance nach Amerika zu kommen und sich zu vermehren, wie ein Akademiker. Man müsste selektiv vorgehen. Das ist meine Meinung. Keine Einwanderungsbeschränkungen für Lehrer, Professoren, Künstler, Denker, Schriftsteller, tüchtige Geschäftsleute. Herein mit ihnen sage ich! Aber nicht die Bauern, diese fiesen Arbeitstiere. Es spielt keine Rolle von wo die besseren Leute herkommen. Herein mit ihnen, ob sie jetzt Italiener oder Deutsche, Polen oder Türken, Juden oder Christen sind. Wichtig ist allein, dass die Besten ins Land strömen und die anderen draußen bleiben. Wir müssen Europa den Rahm abschöpfen und einen Damm gegen den Abschaum aufrichten. Aber das geht über das Begriffsvermögen unserer Politiker hinaus, weil sie selbst dumme Bauern und dickköpfige Ochsen sind.“


Diese Aussage kommt einem ganz aktuell vor, oder? Aber sie wurde in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg gemacht.
Es hat sich im Wesentlichen in 100 Jahren nicht viel geändert. Immer noch Ausgrenzung und Rassismus.



Knapp 500 Seiten, nur noch antiquarisch erhältlich

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