Literarische Busreise durch Rheinhessen
Sieben Damen der ehemaligen „Jazzys“ hatten sich zu der Literarischen Busreise quer durch Rheinhessen angemeldet, die von der Literaturwissenschaftlerin Dr. Katharina Weisrock geleitet wurde.
Morgens um 9.30 Uhr stiegen wir am Samstag, dem 21. September in Nieder-Olm gut gelaunt in den Olmena-Bus, um schon nach kurzer Fahrt in den Wiesen von Nieder-Olm wieder zu stoppen. Mit Blick auf die Stadt, die noch im morgendlichen Dunst liegt, zeigt Frau Dr. Weisrock auf die Weiden an der Selz und erzählt von Wilhelm Holzamer. Geboren 1870 in Nieder-Olm, gestorben 1907 in Berlin, ist Holzamer nur ein kurzes Künstlerleben beschieden. Nach seiner Anstellung als Lehrer an einer Realschule in Heppenheim, geht Holzamer nach Paris und schreibt dort seine Romane, Gedichte und Erzählungen.
Fünf seiner Romane spielen in Nieder-Olm, der Stadt, in der er die ersten 16 Lebensjahre verbracht hat, und in denen er über seine Jugendzeit schreibt. In seinem Roman „Vor Jahr und Tag“ beschreibt er den Bau der Eisenbahnlinie von Mainz nach Alzey. Ein Schauplatz ist das „Haus zur Schönen Aussicht“, in dem heute die Künstlerfamilie Metten wohnt.
Frau Dr. Weisrock liest einen Text aus dem Roman von Holzamer vor, in dem Dorothea Rosenzweig aus dem Fenster blickt und die Stadt vor Augen hat, wie sie im September aussieht.
Hier kannst Du den Text über das Bild der Eisenbahn aus „Vor Jahr und Tag“ nachlesen.
Wir fahren weiter Richtung Wörrstadt. Katharina Weisrock: „Wir fahren durch die Landschaft, um sie zu sehen“ und „Alle paar Meter sieht man etwas anderes“. Unterwegs macht sie uns auf die Pappeln aufmerksam, die in Rheinhessen früher „Bellen“ genannt wurden und auf den Hinkelstein auf dem Parkplatz zwischen Saulheim und Wörrstadt, von dem man bei geeigneter Wetterlage einen herrlichen Rundumblick hat.
In Wörrstadt biegen wir auf die Straße nach Gau-Weinheim und St. Johann ab. Schon bald kommt der Wißberg ins Blickfeld, der sich 271 m hoch über das rheinhessische Hügelland erhebt.
Heinrich Bechtolsheimer (1868 – 1950), evang. Pfarrer und Heimatschriftsteller beschrieb in der Lebensgeschichte der Johanna Dietz, die 1926 erschien, den Blick, den die Besucher vom Wissberg aus haben. In dem Buch heißt es „Bei klarem Wetter sieht man zweiundzwanzig Dörfer“, und, so erklärt uns Frau Dr. Weisrock, „es gibt 136 Dörfer in Rheinhessen auf 50 x 50 km. Kein Dorf ist weiter als 3 km voneinander entfernt.“
Hier kannst Du Interessantes vom Wißberg nachlesen.
Wir fahren durch Wöllstein und Neu-Bamberg. Hier verändert sich das Gesicht der Dörfer. Der Weinbau hört auf, die Landschaft wird karg und von Landwirtschaft bestimmt. Drei Bäche, der Appelbach, Wiesbach und die Selz durchziehen Rheinhessen.
Vom Schriftsteller, Landwirt und Bürgermeister von Badenheim, Isaak Maus (1748-1833) stammt die älteste rheinhessische Landschaftsschilderung. Der bekannte Sternekoch Dirk Maus ist, so Katharina Weisrock, ein Ur-Nachfahre des Isaak Maus.
Hier kannst Du Interessantes aus der Biografie von Isaak Maus lesen und hier über die Geschichte von Neu-Bamberg.
Wir kommen jetzt – so Frau Dr. Weisrock – in eine Gegend, „wo man ganz weit weg von zu Hause ist. In Mallorca treffen sie mehr Bekannte als hier in dieser Gegend.“
Hinter Neu-Bamberg liegt die ehemalige Grenze zwischen Rheinhessen und der Pfalz. Nach dem Krieg gegen Napoleon kam 1816 die Pfalz zum Königreich Bayern und Rheinhessen als eine von drei Provinzen zu Hessen.
Hier kannst Du Interessantes über die Geschichte Rheinhessens lesen.
Zwischen Wonsheim (Rheinhessen) und Niederhausen (Pfalz) befand sich die Grenze und zahlreiche Schmuggelwege, die besonders im Jahr 1816 wichtig waren, das als „Jahr ohne Sommer“ bezeichnet wurde.
Ausgelöst wurde das „Jahr ohne Sommer“ durch den furchtbaren Ausbruch des Vulkans Tambora auf der Insel Sumbawa in Indonesien. Er entsprach etwa der Sprengkraft von 170.000 Hiroshimabomben. Die Staubteilchen wurden durch Luftströmungen um die ganze Erde verteilt und kamen im Mai 1816 auch hier in der Gegend an. Von Mai bis Oktober hat es nur geregnet. Folge waren Missernten und Hungersnöte. Heinrich Bechtolsheimer hat die Geschichte des Jahres in seinem Buch „Das Hungerjahr“ beschrieben. Hier kannst Du die Seite aufrufen.
In Wikipedia ist zu lesen: „Erst 1920 fand der amerikanische Klimaforscher William Jackson Humphreys eine Erklärung für das „Jahr ohne Sommer“. Er führte die Klimaveränderung auf den vulkanischen Winter infolge des Ausbruchs des Vulkans Tambora auf der Insel Sumbawa im heutigen Indonesien zurück. Dieser war im April 1815 mit einer Stärke von 7 auf dem Vulkanexplosivitätsindex ausgebrochen und hatte neben ungefähr 150 km³ Staub und Asche auch Schwefelverbindungen, die auf ein Schwefeldioxidäquivalent von 130 Megatonnen geschätzt werden, hoch in die Atmosphäre geschleudert, wo sie sich verteilten und wie ein Schleier um den gesamten Erdball legten. Die Abkühlung des Weltklimas durch den Ausbruch hielt noch bis 1819 an.“
In Winterborn, das schon zum Gebiet der Pfalz gehört, wendet der Bus und wir machen einen Abstecher nach Hof Iben.
Wenn man heute den kleinen Ort, der aus einigen Bauernhöfen besteht, sieht, kann man sich kaum vorstellen, dass an dieser Stelle eine zum Besitz des Templerordens gehörende Wasserburg stand. Lediglich der kleine Chor der um 1240 errichteteten Burgkapelle ist noch erhalten. Es handelt sich um ein Kleinod der Hochgotik.
Katharina Weisrock: „Auf Hof Iben wohnt(e) der Künstler Friedrich von Garnier, ein Farbgestalter, der die Farbschattierungen u.a. auch auf dem Rathaus von Nieder-Olm vorgenommen hat.“
Nachdem wir Siefersheim durchfahren haben, kommen wir nach Eckelsheim. Das Wahrzeichen des Ortes ist die Beller Kirche. Hier haben wir 30 Minuten Zeit, um uns die Ruine und den „Strandpfad der Sinne“ anzuschauen.
Die spätgotische Kirche wurde vermutlich Ende des 15. Jahrhunderts gebaut. Laut Wikipedia wird in einer Urkunde aus dem Jahr 1490 von dem „angefangenen Bau einer Kapelle und darin ein Altar zur Ehre Unserer Lieben Frau, genannt in den Bellen“ gsprochen.
Hier gibt es mehr über die Beller Kirche zu lesen.
Ganz in der Nähe der Beller Kirche beginnt der Strandpfad der Sinne, auf dem man eine geologische Zeitreise machen kann. Der 1,6 km lange Rundweg zeigt verschiedene Stationen aus der Erdgeschichte mit Felsen, Geröll, Kies und Sand. Auf Tafeln kann man nicht nur die Entwicklungsgeschichte der ehemaligen Küstenregion ablesen, sondern es werden auch Infos über Umwelt, Vegetation, Kultur und Geologie gegeben.
Über Erbes-Büdesheim fahren wir weiter nach Alzey. Katharina Weisrock macht uns auf die zahlreichen Weinbergshäuschen aufmerksam, von denen man einen schönen Blick auf Alzey hat.
Hierzu liest sie aus dem 1946 erschienenen Buch „Das unauslöschliche Siegel“ von Elisabeth Langgässer (1899 – 1950) vor. Bekannt wurde die Schriftstellerin vor allem durch ihre Lyrik, Erzählungen und Kurzgeschichten. In dem Buch beschreibt die Autorin, wie es ist, wenn man dort oben in den Weinberghäuschen sitzt und auf das Städtchen und seine Umgebung schaut.
Wir verlassen Alzey und kommen nach Hochborn, das mit seinen 290 m zu den höchstgelegenen Gemeinden Rheinhessens zählt. Bis 1971 trug die Gemeinde den Namen Blödesheim.
Von hier haben wir einen herrlichen Rundumblick auf den Petersberg und Frettenheim, das einzige Dorf in Rheinhessen, das – so Katharina Weisrock – keine Durchgangsstraße hat.
Gegen 12.30 Uhr erreichen wir Alsheim, wo wir im Gasthaus zur Stadt Columbus Zeit zum Mittagessen haben.
Danach geht es weiter über Dorn-Dürkheim und Friesenheim nach Oppenheim.
Zu Fuß gehen wir zur Ruine Landskron, wo uns Frau Dr. Weisrock Texte von Elisabeth Langgässer und Anna Seghers vorliest.
Von Nierstein aus fahren wir am Rhein entlang und der Bus macht einen kurzen Stopp in Nackenheim, wo uns Katharina Weisrock einen Text von Carl Zuckmayer aus „Als wär’s ein Stück von mir“ nahebringt, in dem er mit dem Blick auf den Altrhein sagt: „An einem Strom geboren zu werden, im Bannkreis eines großen Flusses aufzuwachsen, ist ein besonderes Geschenk“.
Hier ein interessanter Link dazu
Nachdem wir die Weisenauer Brücke überquert haben, geht es durch Gustavsburg zur Eisenbahnbrücke. Hier setzt uns der Bus ab und wir legen den weiteren Weg über die Brücke zu Fuß zurück. An der Favorite nimmt uns der Bus wieder auf. Pünktlich um 18 Uhr erreichen wir Nieder-Olm.
Der Spaziergang über die Eisenbahnbrücke mit Blick auf die Main-Mündung, den breiten Strom und Mainz ist ein wunderbarer Abschluss des Tages. Wie viele Literaten mögen am rechten Ufer des Rheins gestanden haben und wurden von dem Blick auf die Stadt zu den Texten inspiriert, von denen uns Katharina Weisrock Auszüge vorliest. Heinrich von Kleist war bereits als 16jähriger Jüngling 1792 als Soldat in Mainz und als er 1801 noch einmal die Gegend besuchte, beschrieb er in einem Brief seine damaligen Eindrücke: „In der Tiefe liegt Mainz, wie der Schauplatz in der Mitte eines Amphitheaters“.
Fast die gleichen Worte fand Wilhelm Heinse 1783: „Auf der Maynzer Schiffbrücke steht man in dem prächtigsten Amphitheater, das die Natur je gebildet hat.“
Früheste Reisebeschreibungen vom Rhein gab es schon vor der französischen Revolution. „Das Land“, so Katharina Weisrock, „hinter Bingen, Ingelheim, Mainz und Worms scheint aber Niemandsland zu sein“. Dieses Niemandsland haben wir durch die Literarische Busreise quer durch Rheinhessen besser kennen gelernt. Es hat sich gelohnt !
Nicht alle Bilder konnten im Bericht eingestellt werden. Hier ist der Link zu meinem Webalbum
(eingestellt am 20.10.13)
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