Wie zähme ich nur ...?
Von
tastifix
Montag 16.07.2018, 21:19 – geändert Montag 16.07.2018, 21:49
Du möchtest die Antworten lesen und mitdiskutieren? Tritt erst der Gruppe bei. Gruppe beitreten
Von
tastifix
Montag 16.07.2018, 21:19 – geändert Montag 16.07.2018, 21:49
Du möchtest die Antworten lesen und mitdiskutieren? Tritt erst der Gruppe bei. Gruppe beitreten
Es passierte auf der Hochzeitsfeier meiner Cousine Jutta vor 51 Jahren. Ich war gerade sechzehn Jahre alt. Die ganze Verwandtschaft in edlen Roben, ein typisches Restaurant der Oberklasse und noch typischere versnobte Kellner. Sie schwirrten um uns herum wie aufgescheuchte Bienen und fielen uns damit entsetzlich auf die Nerven. Passend dazu war die Tafel geschmückt in dem ebenso überladen hergerichteten Saal. Puuh, wie sehr ich solchen Zirkus hasste! Trotzdem hob sich die Stimmung dann wider Erwarten beträchtlich. Kaffee und Kuchen verschwanden in wenigen Minuten. Heiraten ist schließlich aufregend und dabei zu sein und zuzugucken aufregend und anstrengend. - Leicht beleidigt registrierte ich, dass ich als Tafel-Nesthäckchen an das eine Kopfende derselben platziert wurde. Am anderen saß Oma. Diagonal mir gegenüber thronten Mutter und neben ihr mein älterer Bruder, der mich vielsagend angrinste. Er wusste genau, wie ich mir dort auf dem Präsentierteller vorkam. - Juttas Jetzt-endlich-Angetrauter hatte schon zuvor alle Herzen im Sturm erobert. Auch meines! Doch hielt ich mich mit Sympathiebezeugungen noch zurück, denn er ist Lehrer! Der Brautwalzer war vorbei. Jutta setzte sich aufatmend. Tanzen war nicht ihr Hobby. Winfrieds Hobby dagegen sehr. Also forschte er nach Ersatz. Sehr darum bemüht, auch die letzten Zweifler von sich zu überzeugen, erinnerte er sich meiner, verbeugte sich formvollendet und forderte mich auf. Mutter und Bruder grinsten um die Wette und tuschelten eifrig, denn ich war wohl rot wie eine überreife Tomate. Leider war es mir noch nicht einmal vergönnt, mich gegen das Getuschel wehren zu können. Winfried war Frauenkenner und wusste genau, wie er mich beeindrucken konnte. „Du tanzt toll, Gaby!“ Das hatte zur Folge, dass ich stattdessen total verwirrt fleißig auf seinen Schuhen herum trampelte. Prompt verzieh ich ihm den Lehrer. - Das Abendessen verteilte sich auf fünf Gänge delikater Häppchen und stammte aus der feinsten französischen Küche. Es schmeckte prima, obwohl ich eigentlich sonst Kartoffelsalat mit Bockwürstchen bevorzugte. Nach dem Hauptgang marschierten blasierter Miene vornehm durch die Nase säuselnde Kellner mit ebenso vielen Tellern in den Saal. Auf jedem lag ein honigfarbenes, halbmondförmiges Etwas mit etwas Grün an dem genauso halbrunden Rücken. Obwohl ich als brave Tochter bereits an den verschiedenen alkoholischen Getränken genippt hatte, erkannte ich sofort, was denn sich mir da näherte: Eine süße, sehr erfrischende Melone und ich würde von dem Geschmack begeistert sein. Leider hatte ich keine Ahnung, wie ich derer Frau werden sollte. Klar tat ich so, als ob ein Melonen-Rendezvous für mich das Selbstverständlichste der Welt war. Derweil schielte ich verzweifelt in die Runde. Bissen die Anderen einfach rein oder bearbeiteten sie das Ding mit Messer und Gabel? Mir brach der Schweiß aus. Anstatt mir einen helfenden Tipp zu geben, grinste mein Bruder immer unverschämter und amüsierte sich anscheinend königlich.´Denkste! Von wegen. Ich gebe nicht auf!` Ihn keines Blickes mehr würdigend, heftete ich den lieber auf Oma. Aha, so ging es: Sie bediente sich des Besteckes, hatte damit sehr guten Erfolg und genoss sichtlich die saftige Frucht. Also griff ich meines in der Absicht, die Melone zum einfacheren Verzehr in mundgerechte Scheiben zu zerteilen und erinnerte mich dann frustriert an den berühmten Satz: „Der Mensch denkt und - in nur unbedeutender Abwandlung - die Melone lenkt!" - Honiggelb mit zartgrünem Rücken hatte sie so unschuldig auf dem Teller in ihrem Saft gelegen. Der aber verhalf ihr nun urplötzlich zu ungeahnter Beweglichkeit. Je stärker das Messer drückte, um so lebhafter rutschte sie auf der Saftrutschbahn hin und her. Die Gabel verwandelte die glatte Frucht nur in einen super Schweizer Käse, fand keinen Halt in dem glitschigen Etwas. Mein Messer bekam einen heftigen Wutanfall der vergeblichen Bemühungen wegen (Es war ja erst gestern elektrisch geschärft worden!) und rammte sich zornig ins Melonenfleisch. Diese wurde biestig: „Nicht mit mir!" - Gehässig brach sie entzwei. Das arme Messer knallte mit Wucht auf den Teller. Inzwischen hatte die Melone längst das Weite gesucht, den Schoss meines hellen Festkleides. Der Knall blieb nicht ungehört. Alles am Tisch erstarrte. Selbst Mutter und Bruder verging das Lachen. Meiner Mutter des ungehörigen Lärmes, aber noch mehr des nassen, verdreckten Kleides wegen und meinem Bruder vor lauter Schrecken. Aber die Angelegenheit war noch nicht ausgestanden. Mich quälte schrecklicher Durst, ich gierte nach dem Melonensaft. „Nein, ich lass mir doch nicht von einer Frucht auf der Nase geschweige denn gar auf dem Schoss herumtanzen!“ Blitzschnell schnappte ich mir mit zittrigen Fingern die aalglatte Sünderin, nestelte sie aus den Kleiderfalten und bugsierte sie zurück auf den Teller. Darum bemüht, an Benimm-Eindruck zu retten, was vielleicht noch zu retten war oder auch nicht, umklammerte ich das glitschige Biest mit der linken Hand, nahm die Gabel in die rechte und stach zu. Siegessicher musterte ich die Gesichter der lieben Verwandten, allen voran das meiner Mutter und meines da besonders geliebten Geschwisterchens. Mutter war eindeutig eindeutig viel zu blass für ihren Teint. Mein Bruder stierte in purer Hoffnungslosigkeit, dies alles wäre nur ein Albtraum, die Tischdecke an. Noch weiterhin auf meine Melone zu starren, fehlte ihm garantiert der Mut. Die restliche Verwandtschaft glättete in aller Eile die zahlreichen Lach- oder eher Falten der Empörung und übte sich in höflicher Disziplin. ´Wieso quäle ich mich derentwegen überhaupt mit Selbstvorwürfen? Immerhin haben die jetzt Gesprächsstoff für mindestens vier Wochen!` - Aber zurück zur Melone. Die stand wegen der Zwangsrückversetzung auf den Tisch gewaltig unter Schock, rührte sich kein bisschen mehr und benahm sich endlich standesgemäß. Mein Vorteil! Ich wollte den ganzen Frust mit ihrem Saft runter spülen, überredete Messer und Gabel zu einem Generalangriff und säbelte einfach eine Scheibe Honigbraun mit hinten etwas Grün ab. Zwar wunderte ich mich, weshalb das Grün sich so schwer von der Melone trennte, aber schließlich hingen die Beiden ja extrem aneinander. Danach wieder ganz die wohlerzogene Tochter, thronte ich dort wie eine Eins und ließ auch nicht durchblicken, wie widerlich es schmeckte und wie eigenartig es mir deswegen wurde. Ein rascher Blick zu Mutter und Bruder verriet mir, dass etwas völlig falsch gelaufen war. Mutters bis dato unnatürlich bleiches Gesicht überzog eine sich rasch intensivierende Röte. Mein Bruder hatte die fest gefrorene Miene abgelegt und prustete stattdessen aus vollem Halse. Viel später dann erklärte mir Winfried:
„Gaby, es konnte ja nicht schmecken. Du hast die Schale mit gegessen!"
Deshalb Mutters Zweiminuten-Wunder-Makeup, daher Bruders hämische Fröhlichkeit!
tastifix