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Wie heute 2025

Von Feierabend-Mitglied Samstag 06.12.2025, 13:42

Auch 'ne Feiertagsfreude!

Die Lüfte weh'n so linde,
die Amsel pfeift vom First
Na, Liebste, mach' geschwinde,
daß du bald fertig wirst.
Zieh' an dein Sonntagsfähnchen,
das helle aus Batist,
und weine feine Tränchen,
weil's nicht modern mehr ist.
Das darf dich doch nicht stören,
's ist schließlich keine Schand',
daß wir nun mal gehören
ach ja - zum Mittelstand.
Da kann man sich nicht puzzen,
wie man's wohl einst getan,
zur Zeit, als man benutzen
noch konnt' die Eisenbahn.
Heut' sind es andre Leute,
die stolz auf Reisen geh'n.
Und das sei unsre Freude,
sich die mal anzuseh'n.

Laß uns zum Bahnhof bummeln,
wo sich von früh an schon
die Reiselust'gen tummeln i
in langer Prozession.
Guck all die Wandervögel, bezupfgeigt und bepackt
und nach neumod'scher Regel
natürlich schon halbnackt.
Wie flattert um die Stirnen
noch üpp'ger ihr Gelock
als bei den Wanderdirnen
im schlampig-schönen Rock.
Barfüßig, in Sandalen
durchwalzen bie das Land,
ja - Hühneraugenqualen
sind ihnen unbekannt.
Wie anders da die Nymphchen
im hohen Stöckelschuh
und in durchbroch'nen Strümpfchen
was sagst du da dazu?!

Die schlingen keine Tänze
im Wald und Wiesental,
se finden ihre Hänse
im „feinen" Ballokal,
die mögen sicher keinen
im Wollschlawinerhemd,
sie loben sich nur einen,
der sich hübsch wäscht und kämmt,
Solch Rabalier, der grade
sieht aus wie ein Baron
und . leider nur - wie schade!
heißt Schulze oder Cohn! -
Ja, Kleider machen Leute
Sieh dort das Pärchen an:
Ste rauscht in Samt unb Seide"
Er spielt den Schäntelmann".
Das ist gewiß so 'n neuer
Devisenmillionär,
dem selbst die größte Steuer
nicht macht das Dasein schwer.
Vielleicht auch - wer kann's sagen?
ist's ein Genosse" nur.
Oft täuscht in unsern Tagen
die äuß're Politur.
's hat alles sich verschoben
auf dieser Schieberwelt:
die „unten", sind jetzt „oben"
und haben nun das Geld.
Sie können drum erschwingen
den Eisenbahntarif …...
Nee, guck nur, wie sie springen!
Ich lache mich halb schief.
Und wenn ich überlege:
das Drängeln und die Hatz
die Püffe und die Schläge
im Zug um einen Platz,
und dann an Ort und Stelle,
wenn in des Waldes Dom
sich wie ne Riesenwelle
ergießt der Menschenstrom
und überall im Grünen
ertönt das Zumtata
verstimmter Mandolinen
und Heisa hopsasa .-
dann ich zum Trost mir sage:
Wie glücklich bin ich dran,
daß ich die Feiertage
nicht auch vereisen kann!

Hans Huckebein.

Jenaische Zeitung 15. April 1922

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