Neu hier? Lies hier über unser Motto gemeinsam statt einsam.
Mitglied werden einloggen




Passwort vergessen?

13 10

Die/der Verholzte

Von Feierabend-Mitglied 27.07.2025, 09:26 – geändert 27.07.2025, 09:47

Diese Art von Mensch ist mir hier im Forum des Öfteren begegnet.

"Je älter, desto verholzter

Ich habe beobachtet, dass Menschen mehr schreiben, umso älter sie sind: Über sich, ihre Gefühle (oder ihre Krankheiten und ihre Gefühle bezüglich dieser Krankheiten), die Vergangenheit, Politik usw. Wenn sie über ihre Gefühle reden, ist es noch einigermaßen interessant, aber der übrige Content ist auf die Dauer langweilig. Doch am Alter allein liegt diese Logorrhoe nicht.

Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen im Laufe ihres Lebens „verholzen“ – einige früher, manche später, wenige auch gar nicht (die schreiben dann aber auch nicht so viel). Das Wort Verholzen habe ich mir für diesen Vorgang selbst ausgedacht: Im verholzten Menschen hat sich eine Persönlichkeit so sehr verfestigt, dass sie keinen Update mehr erhält und nicht mehr hinterfragt wird. Der verholzte Mensch weiß, wie die Welt ist. Sie ist einfach so, wie er sie sieht und basta. Diese Vor-Stellung wirkt wie eine Burg – und daher sieht der Verholzte mindestens im Gesicht auch ein bisschen wie eine solche aus.

Junge bzw. junggebliebene Menschen haben hingegen etwas Weiches, Offenes im Gesicht, lebendige Augen, eine Bereitschaft zum Lernen, auch Neugierde. Sie lassen sich etwas sagen, hören zu, wollen die Welt kennenlernen und verstehen und reagieren immer frisch. Sie sind bereit, ihre geistigen Schubladen immer wieder auszuleeren, die Inhalte neu zu sortieren, die Schubladen neu zu beschriften, vielleicht neue zu kaufen und sie offen zu lassen. Sie sind noch biegsam und grün – um im Bild zu bleiben –, und damit meine ich nicht, dass sie leicht verbogen werden können, obwohl natürlich auch das passieren kann.

Den Verholzten kann man nicht mehr verbiegen. Wenn, dann verbiegt er andere. Der Verholzte weiß einerseits, wie die Welt ist, andererseits muss er seine Vor-Stellung immer wieder verteidigen, damit sie nicht eingerissen wird. Also muss er schreiben, denn im Reden behält er die Kontrolle. Wenn er viel schreibt, dehnt er seine Welt aus – ungefähr so, wie man einen Rollrasen verlegt. Er kontrolliert den Luftraum und fühlt sich sicher, und seine Welt ist groß genug, dass sein Gegenüber auch noch darin Platz findet. Es kann sowieso nur seiner Meinung sein, denn das ist doch die einzig richtige. Wozu also sollte das Gegenüber noch schreiben? Er kennt seine Meinung doch schon – es ist ja die gleiche wie seine eigene. Es reicht also völlig, wenn es nickt!

Und der Verholzte schreibt gern, denn er hat schon viel erlebt und denkt, seine Mitmenschen finden alles, was er zu erzählen hat, sehr interessant – denn auch er selbst findet seine Gedanken über Gott und die Welt ja sehr anregend und lehrreich.
Die Welt ist so, wie ich es sage.

Der Verholzte ist so sehr von seiner eigenen Welt absorbiert, dass er buchstäblich nicht auf die Idee kommt, dass andere Menschen vielleicht interessante Geschichten zu erzählen haben. Seine eigene Welt ist so reich, dass sie für alle Beteiligten reicht, gerne auch mehrere Stunden. Und es fühlt sich so schön sicher an bei sich zu Hause, im eigenen Gedankenpalast. Meine Großmutter redet immer nur selbst (das tut sie nicht erst jetzt, wo sie über 80 ist!), und hinterher freut sie sich, wie schön sich alle unterhalten hätten. Sie merkt es nicht einmal, dass keiner außer ihr etwas gesagt hat. Doch auch eine Bekannte, die etwas jünger ist als ich, kann so lange alleine schreiben, dass Sie irgendwann aus dem Ohr bluten. Und wenn sie Ihnen zuhört, dann immer halbabwesend und wartend, wann sie wieder das Wort ergreifen kann.

Die Sprache von Verholzten enthält auch gerne statische Ausdrücke: „Das ist so.“ „Der Mensch ist eben schlecht, das weiß jeder.“ „Das war immer so.“ „Ich habe das oft genug erlebt, deshalb weiß ich das.“ Er rammt Pflöcke in den Boden, um sein Land abzustecken, denn seine Weltsicht darf nicht gefährdet werden. Abweichende Ansichten werden abgeschmettert, je nach Charakter des Verholzten entweder mit logischen Argumenten, die wortreich vorgetragen werden, oder indem er einen weiteren Pflock in den Boden rammt. Wag es ja nicht, mir zu widersprechen! Gerne wird an einen Satz nach einer kleinen Kunstpause auch ein „Ja“ oder ein „Ne“ angehängt, weil das den zuvor gesagten Satz nochmal verstärkt. Außerdem wird dadurch ein Hochstatus installiert, und das gibt zusätzliche Sicherheit.

Wenn ein Verholzter seinen „Gesprächspartner“ (der eher ein Komparse ist) doch mal zu Wort kommen lässt, dann unterbricht er ihn meist schon bald. Entweder hört er unerwarteterweise eine Gegenmeinung und muss diese schnell unterbinden. Oder er kriegt mit, dass der Gesprächspartner auch eigene Erlebnisse hat, und die scheinen ihm sind so unübersichtlich, dass er sich damit nicht auch noch beschäftigen will. Oder – most boring! – der Gesprächspartner pflichtet ihm sowieso nur bei – und dann hört er seinen eigenen Text doch lieber von sich selbst als reproduziert aus einem anderen Mund!
Kinder können helfen.

Wenn der Verholzte ein oder mehrere Kinder hat, gibt es noch eine Chance auf Wachstum – das Grün hat wieder eine Chance, durchzubrechen. Denn ein Kind ist der beste Guru, denn es drückt einem zuverlässig alle Knöpfe, von denen man dachte, dass sie schon längst verschwunden seien. Je mehr das Kind nervt, desto mehr kann man an ihm lernen.In der frühen Kindheit kann der Verholzte seinen Sohn oder seine Tochter vielleicht noch so gut manipulieren, dass sein Weltbild unversehrt bleibt. Doch in der Pubertät kommt die große Chance: Wie sehr ist der Verholzte bereit, die Kontrolle aufzugeben? Nimmt er etwas an von seinem Kind, oder kommt es zur Trennung?
Sie meinen es nicht böse.

Ich will diese Art von Sein gar nicht verteufeln. Die Verholzten können nicht anders, und sie haben gute Gründe für ihr Verhalten. Vielleicht wurden sie oft verletzt und meinen, sich künftig schützen und abgrenzen zu müssen, damit man ihnen nicht den Vorgarten einrennt. Oder sie sind einfach unbewusst. Nur wenige Menschen texten Sie absichtlich zu, obwohl sie merken, dass Sie schon seit einer halben Stunde aufs Klo müssen.
Bollwerke wollen immer Recht haben. Am besten gibt man es ihnen so schnell wie möglich.

Wenn mir so ein Bollwerk an fertiger Persönlichkeit begegnet, gebe ich mir meist keine Mühe, an den Mauern zu rütteln, weil das viel zu anstrengend ist. Man kommt nicht an sie heran. Sie haben immer Recht, und daher gebe ich ihnen auch genau das: Recht. Denn da Recht (wenigstens in Gesprächen) nur eine Illusion bzw. ein Gedankenkonstrukt ist und nicht wirklich existiert, kann ich das Recht gerne jemandem geben, wenn ihm das Freude macht und mich nichts kostet (das sind Dinge, die man als Mutter rechthaberischer Kinder irgendwann lernt).

Und ansonsten ziehe ich mich zurück, denn in der Sache will ich nicht mit ihnen kämpfen, weil es mir nicht ums Gewinnen geht, sondern um Austausch. Langfristig gehe ich solchen Menschen aus dem Weg, weil es mir zu langweilig ist, in ihrem Monolog die Komparsin zu spielen.

Wenn ich im Büro einen Bollwerk-Kunden habe (kommt äußerst selten vor, meist sind es Raucher), ziehe ich mich energetisch zurück. Da Verholzte Recht haben müssen (sonst gerät ihre Welt in Unordnung) gebe ihnen genau, was sie haben wollten und enthalte mich jeglicher Beratung. Denn fast immer erklären sie mir wortreich, warum es genau so sein muss, wie sie es sagen, und wenn ich Pech habe, erklären sie mir sogar noch meinen Beruf."

Quelle: einfuehlsam-leben.de

Kommentieren
Mitglieder > Veranstaltungen > Die/der Verholzte