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Er kann auch anders

Von Harvey11 Montag 27.01.2025, 11:47

Beim Wahlkampfauftritt in Wiesbaden ist Kanzler Olaf Scholz wie ausgewechselt

Was ist denn mit dem Kanzler los? Hemdkragen offen, Mikro in der Hand, metert Olaf Scholz am Samstag über die Bühne des Rhein Main Congress Centrums in Wiesbaden und wird richtig laut.
Das wolle er jetzt sofort ansprechen, sagt der Sozialdemokrat und stiefelt hin und her. Er meint die Messerattacke von Aschaffenburg, bei der am Mittwoch zuvor ein 28-jähriger Asylbewerber aus Afghanistan zwei Menschen getötet und weitere schwer verletzt hat. „Es ist nicht zu ertragen“, sagt Scholz und betont jedes einzelne Wort. „Es ist nicht zu ertragen, dass jemand, dem wir Schutz gewährt haben und der eigentlich gar nicht mehr hier sein sollte, eine solche Tat verübt.“
Dann setzt er hinzu: Nach den Attacken von Solingen und Magdeburg hätten die jeweiligen Landesbehörden aber immerhin hingeschaut, wo vorher welche Fehler unterlaufen seien. Dass nach der jüngsten Tat nun Bayern die Verantwortung für die gescheiterte Abschiebung des Asylbewerbers dem Bund zuschiebe, sei nicht angemessen, sagt der Kanzler: „Das verletzt die Würde der Opfer.“ Sein Auftritt in der hessischen Landeshauptstadt ist eine von vier zentralen Großveranstaltungen der SPD im Bundestagswahlkampf. Gut 1200 Menschen sind ins Congress Centrum gekommen, um den Kanzler zu erleben.
Jede und jeder einzelne wird an den Eingangstüren wie am Flughafen mit einem Sicherheitsscanner gecheckt. Ein Sprengstoffspürhund schnüffelt Taschen ab. Schon zwei Stunden vor Beginn der Veranstaltung hat sich vor dem Congress Centrum eine Warteschlange gebildet, viele junge Gesichter darin. Sie habe auf Instagram von dem Auftritt erfahren, sagt eine 28 Jahre alte Politikstudentin aus Offenbach. Sie erwarte „eine starke Performance“ vom Kanzler und eine starke Positionierung.
Die liefert Scholz. Er ist wie ausgewechselt: Von seiner üblichen Einsilbigkeit und Zurückhaltung keine Spur. Gut 50 Minuten lang spricht er frei, geht nach vorne, ist für seine Verhältnisse geradezu angriffslustig. Kräftiger Applaus und „Bravo“-Rufe unterbrechen ihn, als er den Holocaust-Gedenktag am 27. Januar anspricht und mit Blick darauf betont, dass das Grundrecht auf Asyl zu schützen sei. Um Abschiebungen rasch und verlässlich vornehmen zu können und Pannen zu vermeiden, sollten Dublin-Center eingerichtet werden, sagt er: „Ich bin dafür, dass wir Dublin-Center in Deutschland einführen.“ Dann teilt Scholz aus gegen CDU-Chef und Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz.
Der hatte am Freitag angekündigt, Anträge zur Verschärfung des Asylrechts im Bundestag stellen zu wollen ohne Rücksicht darauf, wer ihnen zustimme - was die AfD einschließen könnte. „Ich will nicht verhehlen, dass ich darüber sehr empört bin“, ruft Scholz in Wiesbaden. Noch vor kurzem habe Merz ausgeschlossen, dass die CDU jemals mit der AfD zusammenarbeiten würde, und jetzt das. „Dann weiß ich nicht, was ich noch glauben soll!“ In Österreich sei gerade zu erleben, dass die Konservativen mit Rechtsradikalen kooperierten, obwohl sie das vor der Wahl ausgeschlossen hatten. „Das darf in Deutschland nicht passieren!“, ruft der Kanzler in die Halle. „Es darf keine Zusammenarbeit mit extrem rechten Parteien in Deutschland geben.“
Unterstützt wird Scholz in Wiesbaden nicht nur von den SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil. Auch die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger ist im Congress Centrum dabei, ebenso der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer und Hessens Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori.
Vor allem Saskia Esken nimmt Friedrich Merz ins Visier: Seine Vorschläge widersprächen der Verfassung, sein Vorgehen erwarte eher Gefolgschaft als Partnerschaft, seine Vorschläge zum Asylrecht entsprängen einem Furor, es könne ihm nicht schnell genug gehen. „Die Brandmauer von Merz ist aus Papier gebaut“, ruft Esken, „und sie brennt lichterloh!“ Nicht alle im Publikum allerdings wollen an diesem Nachmittag über Friedrich Merz, Asylrecht oder Investitionen in die deutsche Wirtschaft sprechen. Eine Frau und ein Mann werden vom Sicherheitsdienst aus der Halle eskortiert, nachdem sie mit „Palästina“- und „Bombardieren“-Rufen versucht hatten, Scholz zu unterbrechen. Ebenso kurz und laut fordert eine Frau in der Mitte der Halle Klimaschutz ein.
Deutlicher als sonst streicht Scholz bei diesem Auftritt die Erfolge seiner Regierung heraus: beim Asylrecht, in der Energiekrise nach Beginn des Ukraine-Kriegs. Stürmischen Beifall gibt es, als er lächelnd erwähnt: „Ich habe ja die FDP aus der Regierung entfernt“. Ebenso kräftig kommt der Applaus, als Scholz die Eckpunkte seiner Ukraine-Strategie aufzählt: nicht nachlassende Unterstützung, keine Entscheidungen über den Kopf der Ukraine - und alles tun, um eine Eskalation zu vermeiden.
Im Foyer zieht es zu diesem Zeitpunkt die ersten schon wieder zum Ausgang. Es habe ihm gut gefallen, sagt ein junger Mann im schwarzen Steppblouson, sympathisch sei Scholz, „inspirierend“. Ein älterer Mann hinter ihm nickt. „Das war gut“, sagt er. „Sehr gut.“


Das verwundert mich aber. Die Zuhörer waren begeistert. Warum?
Hat Scholz sie begeistert? Bot er Balsam für ihre geschundenen Seelen?
Ich weiß es nicht.
Mir ist nur ein alter Satz aus der Schulzeit eingefallen: Am Abend werden die Faulen fleißig.

MSN
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