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An Ludwig Pietsch v. Storm

Von Feierabend-Mitglied Samstag 05.10.2024, 11:17

Bild: Ludwig Pietsch

Husum, 22. Mai 1865

Meine lieben treuen Freunde,
Constanze ist nicht mehr; nachdem sie am 4. d.M. eine Tochter geboren, ist sie am 20. d.M. früh gegen 6 Uhr morgens nach schwerem Kampf, zuletzt aber sanft, ihre Hand in der meinen, entschlafen; ein Opfer unserer Heimkehr, denn sie ist am Kindbettfieber gestorben, das hier epidemisch zu werden scheint.

Am letzten Nachmittag ließ ich die vier ältesten Kinder heraufkommen und bat Constanze ihnen die Hand zu geben, sie tat es schwach und schweigend, nur als Ernst hereinkam und mit bebender und daher wohl ziemlich lauter Stimme sagte: „Guten Abend, Mutter“, sagte sie vernehmlich: „Guten Abend“ oder wie er meinte „Gute Nacht, mein Kind, ich sterbe!“

Nachher hat sie nicht viel mehr gesagt, der Körper kämpfte wohl nur mechanisch seinen Kampf zu Ende. Ihr Todesstöhnen war hart und dauerte lange, zuletzt aber wurde es sanft wie Bienengetön, dann plötzlich, ich kann nur sagen in vernichtender Schönheit, ging eine wunderbare Verklärung über ihr Gesicht, ein sanfter blauer Glanz wandelte flüchtig durch das gebrochene Auge und dann war Frieden, und ich hatte sie verloren.

Bei ihrem Sterben war auch Hans, unsere alte Freundin Käthe Feddersen, die die letzte Nacht mit mir wachte, und ihr treuer brüderlicher Arzt, unser junger Physikus, der, wie mir scheint, fast ebenso gebrochen ist wie ich selbst. Den Tag darauf ist sie, auch von Freundeshänden, in einen Notsarg gelegt, ihren armen Kopf nahm ich in meinen Arm, so hatten wir es uns in gesunden Tagen versprochen. Heute ist sie in den großen Sarg gelegt, der geliebte Leib verwest schnell, übermorgen früh 3 Uhr wollen wir sie in unsere Gruft bringen, wenn dann die neugierige Stadt erwacht, so habe ich schon all mein Glück begraben.

So muss ich denn nun weiter leben ohne sie, muss – denn vor mir – wie es in jenem Gedichte heißt – liegt Arbeit, Arbeit, Arbeit!
Und nun die Bitte, es Menzels, Krigars, Rose Stein, der Dengel und Löwe bekannt zu machen, ich kann diese fürchterlichen Briefe nicht hundertfach schreiben.

Herzzerreißend ist das Geschrei meiner kleinen Lucie, das zwischen dem Spielen noch immer wiederkehrt: „Ich habe keine Mutter mehr, ich habe keine Mutter mehr, und ich hatte sie doch so lieb! Sie kann nicht mehr sehen, ihre Augen sind ganz zu.“
Ich will diesen Brief schließen. Gern hielt ich Eure treuen Hände in den meinen, das geht ja denn nicht. Gedenkt meiner in dieser schweren Zeit. Sie wird auch wohl nicht leichter werden, denn ich habe das Herz verloren, an dem mein müder Kopf allein die Ruhe finden konnte.

Die Mitglieder meines Gesangvereins haben gebeten sie zu Grabe tragen zu dürfen. Ihr schlichtes, gütevolles Wesen hat auch hier überall schon Anerkennung gefunden, es war eine stille Gewalt darin, der so leicht niemand widerstand.

Seid herzlich alle gegrüßt – Euer Theodor
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Es ist ein sehr trauriger Brief, doch zeigt er dass auch Künstler die Schattenseiten des Lebens erfahren müssen.

Ich wünsche allen Lesern und Freunden der Literatur ein schönes sonniges Wochenende!

Liebe Grüße
Helga

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