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An Thomas Mann

Von Feierabend-Mitglied Dienstag 23.01.2024, 14:24

The Wyndham Hotel, New York - 17. Juli 1940

Verehrter Herr Professor, dies nur ein Gruß, der keine Antwort benötigt. Ich wollte Ihnen bloß sagen, wie sehr ich es bedaure, Sie versäumen zu müssen, aber meine Tage sind hier amtlich gezählt, und es war schon harte Arbeit, von England das Exit, von America das Transit für Vorträge in Südamerica zu bekommen.

Aber ich habe in England doch zu sehr unter dem Gefühl der Macht- und Nutzlosigkeit gelitten. Nahe Freunde wie Robert Neumann wurden interniert, Verwandte mußten unser Haus verlassen, die Fifth-Column-Hysterie, erst gefördert von oben nur, dann in den breiten Massen zu einem wilden Mythos anschwellend, macht jemandem, der einen deutschen Namen hat, das Leben unbehaglich. Hoffentlich kann ich nach England rebus bene gestis zurückkehren und muß nicht die Schar der Umgeschüttelten und Heimatlosen und somit die Last für die anderen vermehren.

Ich tue dies alles, was in meinen kleinen Kräften steht, um Freunde (und auch meine frühere Frau) aus Frankreich zu retten, aber auch in gods country mahlen Gottes Mühlen grauenhaft langsam, und ich weiß, wie drüben die Menschen von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute warten, oft an unserem Eifer, unserer Hingabe im geheimen zweifelnd – wichtig wäre, daß jenes erlösende Telegramm von Washington mit den Visas für die wirklich Gefährdeten endlich abgeht. Ich weiß, Sie haben einen Sohn, einen Bruder dort und verstehen so vom eigenen Blut her unsere Sorge.

Der arme Otto Pick gründete knapp vor seinem Tod noch eine deutsche Zeitschrift in London. Ich weiß nicht, ob Sie meinen Aufsatz über Ihre herrliche »Lotte« noch erhielten, der dort erschien – ich konnte Ihnen selbst kein Exemplar schicken, weil ich deutschen Text nicht mehr versendete. So blieb auch das ganze fast vollendete Manuscript meiner großen Balzac-Biographie, einer seit Jahren begonnenen Arbeit zurück, aber ist es nicht wichtiger sich die Arbeit zu retten, die man noch tun kann, statt die halb oder ganz getane?

In herzlicher Verehrung
Ihr Stefan Zweig
Alles Gute den Ihren!


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