Auszug aus seiner Rede zu seinem 70. Geburtstag
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Feierabend-Mitglied
Freitag 04.10.2024, 08:41
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Th. Storm – Erinnerungen 1887
„Meine verehrten Freunde und Verwandten!
Der siebenzigste Geburtstag ist wohl deshalb ein großes Fest, weil es für den Jubilar zugleich ein schmerzliches ist. Denn der Volksmund hat recht: „Siebenzig Jahre ein Greis“, und das Greisentum hat wesentlich mit dem Tode zu rechnen und die Aussicht auf den letzten, grünen Hügel wird dem Siebenziger nicht mehr verschwinden.
Aber da wacht im Herzen der Menschen die Liebe auf. Noch einmal wollen sie das Herz des alten Geburtstagskindes mit Freude füllen, mit Rosen soll die Perspektive verdeckt werden. So sind auch Sie alle hierher gekommen, um über diesen Lebensabschnitt hinwegzuhelfen, und ich sage Ihnen meinen Dank dafür. Die Erinnerung daran wird bei mir bleiben auf der Strecke Weges, die mir noch übrig ist, denn Sie alle haben mir eine wahrhafte Freude gebracht.
Ich hatte, als mein Vater mich aus der Prima der alten Husumer Gelehrtenschule auf das Lübecker Gymnasium schickte, keine Ahnung, dass gleichzeitig mit mir Dichter wie Uhland oder Eichendorff auf der Welt seien. In Lübeck aber, wo eine höhere Luft wehte, traten zwei für mich bedeutende Ereignisse in mein Leben. Ich lernte Goethes Faust und Heines Buch der Lieder kennen. Mag man von diesen sagen was man will oder kann - ein Dichter wird sie nie verleugnen können. Mir war – ein Jüngerer wird sich von diesem Eindrucke keine Vorstellung machen können – als sei plötzlich ein Vorhang und noch einer zerrissen, und ich blickte zum ersten Male in eine Welt, aus der die Poesie mit ihren Sternenaugen auf mich schaute. Danach kamen noch Eichendorff und später Eduard Mörike hinzu. So war ich mit denen bekannt, die bestimmend auf meine eigene Kunst einwirkten. Ich wurde ihr Schüler, niemals ihr Nachahmer, davor bewahrte mich meine selbständige Natur.“