Eine empörte Anne Frank
Von Feierabend-Mitglied Montag 13.05.2024, 08:25 – geändert Montag 13.05.2024, 08:27
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Es muss für Anne nicht leicht gewesen sein mit Menschen auf engstem Raum leben zu müssen, die sie absolut nicht ausstehen konnte. In diesem Brief an ihre fiktive Freundin Kitty macht sie ihrem Unmut und auch ihrer Empörung Luft.
Montag, 28. September 1942
Liebe Kitty! Mein Brief von gestern war noch lange nicht fertig, als ich mit dem Schreiben aufhören musste. Ich kann die Lust nicht unterdrücken, dir von einer anderen Unstimmigkeit zu erzählen. Doch bevor ich damit anfange, noch dies:
Ich finde es sehr seltsam, dass erwachsene Menschen so schnell, so viel und über alle möglichen Kleinigkeiten Streit anfangen. Bisher dachte ich immer, dass nur Kinder sich so zanken und dass sich das später legen würde. Natürlich gibt es schon mal Anlass für einen »richtigen« Streit, aber diese Wortgefechte hier sind nichts anderes als Zankereien. Sie gehören zur Tagesordnung, und ich müsste eigentlich schon daran gewöhnt sein. Das ist jedoch nicht der Fall und wird auch nicht der Fall sein, solange ich bei fast jeder Diskussion (dieses Wort wird hier statt Streit verwendet, ganz falsch natürlich, aber das wissen Deutsche eben nicht besser!) zur Sprache komme.
Nichts, aber auch gar nichts lassen sie an mir gelten. Mein Auftreten, mein Charakter, meine Manieren werden Stück für Stück von vorn bis hinten und von hinten bis vorn bequatscht und betratscht, und etwas, an das ich überhaupt nicht gewöhnt war, nämlich harte Worte und Geschrei an meine Adresse, soll ich jetzt laut befugter Seite wohlgemut schlucken. Das kann ich nicht! Ich denke nicht daran, diese Beleidigungen auf mir sitzen zu lassen. Ich werde ihnen schon zeigen, dass Anne Frank nicht von gestern ist! Sie werden sich noch wundern und ihre große Klappe halten, wenn ich ihnen klarmache, dass sie nicht mit meiner, sondern erst mal mit ihrer eigenen Erziehung beginnen müssen. Das ist eine Art aufzutreten!
Einfach barbarisch! Ich bin jedes Mal wieder verblüfft von so viel Ungezogenheit und vor allem Dummheit (Frau van Daan). Aber sobald ich mich daran gewöhnt haben werde, und das wird schon bald sein, werde ich ihnen ihre Wörter ungesalzen zurückgeben, da werden sie anders reden!
Bin ich denn wirklich so ungezogen, eigenwillig, störrisch, unbescheiden, dumm, faul usw., wie sie es oben behaupten? Na ja, ich weiß schon, dass ich viele Fehler und Mängel habe, aber sie übertreiben wirklich maßlos. Wenn du nur wüsstest, Kitty, wie ich manchmal bei diesen Schimpfkanonaden koche! Es wird wirklich nicht mehr lange dauern, bis meine angestaute Wut zum Ausbruch kommt.