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Felix Mendelssohn-Bartholdy an seine Eltern

Von Feierabend-Mitglied Donnerstag 29.08.2024, 09:21 – geändert Donnerstag 29.08.2024, 09:26

Felix besuchte Italien und machte u.a. in Mailand Station. Dort traf er den Commandeur der Stadt und seine Gemahlin, die eine Schülerin Beethovens war.

Mailand, den 14. Juli 1831
Dieser mein Brief wäre nun wohl, so Gott will, der letzte aus einer italienischen Stadt. Von den Borromäischen Inseln, wohin ich in einigen Tagen gehe, kommt vielleicht noch einer, doch rechnet nicht darauf.…
Die Abende war ich immer in Gesellschaft, und zwar in Folge eines verrückten Streichs, der mir wieder einmal sehr gelang.
Ich glaube ich habe diese Art Tollheiten erfunden, und kann ein Patent darauf nehmen, denn die angenehmsten Bekanntschaften habe ich immer ex abrupto gemacht, ohne Briefe, Empfehlungen, und all dergleichen.
Ich frug nämlich zufällig, als ich ankam, nach dem Namen des Commandeurs der Stadt, und unter mehreren Generälen nannte mir der Lohnbediente auch den General Ertmann. Nun fiel mir dabei gleich die A dur-Sonate von Beethoven mit ihrer Dedikation ein; und weil ich über die Frau von allen Leuten immer das Schönste und Beste gehört hatte, wie freundlich sie sei, und wie sie Beethoven so verzogen habe, und wie vortrefflich sie spiele, so zog ich mir den nächsten Morgen, um Visitezeit, den schwarzen Frack an, ließ mir den Gouvernementspalast zeigen, dachte mir unterwegs eine schöne Rede an die Generalin aus, und ging ganz munter hinauf. Nun kann ich nicht leugnen, daß mir es ein wenig fatal war, zu erfahren, der General wohne im ersten, Stock vorn heraus, und als ich gar in den wunderschönen, gewölbten Vorsaal kam, kriegte ich wahrhaftig Furcht, und wollte umkehren. Indessen kam ich mir denn doch gar zu kleinstädtisch vor, mich vor einem gewölbten Vorsaal zu fürchten; ich ging also gerade auf einen Trupp Soldaten zu, die da standen, und frug einen alten Mann in einem kurzen Nankinjäckchen ob hier der General Ertmann wohne, und wollte mich dann bei der Frau melden lassen. Unglücklicherweise antwortete der Mann aber: der bin ich selbst, was steht Ihnen zu Diensten?
Das war sehr unangenehm, und ich mußte meine ganze Rede im Auszug anbringen; der Mann schien sich aber daran nicht sonderlich zu erbauen, und wollte wissen, mit wem er die Ehre habe? Das war auch nicht angenehm; aber zum Glück kannte er meinen Namen und wurde sehr höflich: seine Frau sei nicht zu Hause, ich würde sie um Zwei treffen, wenn ich da Zeit hätte, oder zu einer anderen Stunde.
Ich war froh, daß es noch so abgelaufen war, ging inzwischen gegenüber in die Brera, guckte mir das Sposalizio von Raphael an, und um Zwei lernte ich nun die „Freifrau Dorothea v. Ertmann“ kennen.
Sie nahm mich sehr freundlich auf, war auch sehr gefällig; spielte mir gleich die Cis moll-Sonate von Beethoven vor, und dann die aus D moll. Der alte General, der nun in seinem grauen, stattlichen Commandeur-Rock mit vielen Orden erschien, war ganz glücklich, und weinte vor Freuden, weil er seine Frau so lange nicht hatte spielen hören; es sei in Mailand kein Mensch, der so was anhören wolle
Den folgenden Tag, als ich zum zweitenmal da war, und ihnen die C moll-Symphonie von Beethoven vorspielte, wollte sie durchaus, ich solle mir den Rock ausziehen, weil es heiß wäre. Zwischendurch bringt sie die schönsten Geschichten von Beethoven, wie er Abends, wenn sie ihm vorspielte, die Lichtputze zum Zahnstocher gebraucht habe usw.
Sie erzählte, wie sie ihr letztes Kind verloren habe, da habe der Beethoven erst gar nicht mehr ins Haus kommen können; endlich habe er sie zu sich eingeladen, und als sie kam, saß er am Clavier, und sagte blos: „wir werden nun in Tönen mit einander sprechen“, und spielte so über eine Stunde immer fort, und wie sie sich ausdrückte: „Er sagte mir Alles, und gab mir auch zuletzt den Trost“.
Und nun gute Nacht; ich habe nämlich vor dem Zubettgehen noch ein Bißchen mit Euch plaudern wollen; das ist der Brief geworden.
Felix

Mich hat es sehr berührt, dass anno 1831 ein General weinte, weil seine Frau mal wieder Klavier spielte. Wahrscheinlich hatte sie nach dem Tod ihres Kindes das Klavier nicht mehr berührt.

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