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Goethe an Frau von Stein - 28.Juni 1784


Von Feierabend-Mitglied Samstag 18.11.2023, 12:14

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Nun wird es balde Zeit, liebe Lotte, dass ich wieder in deine Nähe komme: denn mein Wesen hält nicht mehr zusammen; ich fühle recht deutlich, dass ich nicht ohne dich bestehen kann. Der Ausschußtagsabschied ist signiert; nun kann es nicht mehr lange währen, ich rechne noch eine Woche, dann werde ich loskommen können. Das Wetter ist höchst elend. Man kann nicht vors Thor, und was innerhalb der Mauern von Schönheiten und Artigkeiten lebt, hat allenfalls nur einen augenblicklichen Reiz für mich und kann kaum das Regenwetter balancieren, geschweige einen so wesentlichen Mangel, als der ist,den ich von Morgen bis zu Abend empfinde.

Ja liebe Lotte, jetzt wird es mir erst deutlich, wie du meine eigene Hälfte bist und bleibst. Ich bin kein einzelnes kein selbstständiges Wesen. Alle meine Schwächen habe ich an dich angelehnt, meine weichen Seiten durch dich beschützt, meine Lücken durch dich ausgefüllt. Wenn ich nun entfernt von dir bin, so wird mein Zustand höchst seltsam. Auf einer Seite bin ich gewaffnet und gestählt, auf der anderen wie ein rohes Ei, weil ich da versäumt habe, mich zu harnischen, wo du mir Schild und Schirm bist. Wie freue ich mich, dir ganz anzugehören und dich nächstens wiederzusehen! Alles lieb ich an dir, und alles macht mich dich mehr lieben.

Der Eifer, wie du in Kochberg deine Haushaltung angreifst, von dem mir Stein mit Vergnügen erzählt, vermehrt meine Neigung zu dir, läßt mich deine innerlich thätige und köstliche Seele sehen. Lotte bleibe mir und, was dich auch interessieren mag, liebe mich über alles!

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