Hölderlin an Schiller
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Feierabend-Mitglied
Samstag 11.05.2024, 09:16
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Bildquelle:
Hölderlin-Hain und Diotima-Insel im Gräflichen Park in Bad Driburg
Kassel, d. 24. Jul. 1796
Ich bin so frei, verehrungswürdiger Herr Hofrat, Ihnen einen kleinen Brief zur künftigen Blumenlese zu schicken. Lieber hätt ich ihn gebracht, und mich wieder Ihrer Nähe gefreut. Sie sind gesünder, wie man mir sagt, und das ist ein Trieb mehr für mich, zu Ihnen zu wallfahrten und Sie zu sehn. Aber bis dahin muss ich wenigstens noch einige Monate geduldig sein.
Ich bin jetzt auf der Flucht* mit der Familie, bei der ich seit vorigem Winter in Frankfurt sehr glücklich lebe. Es sind wirklich selt’ne Menschen, unter denen ich bin, und umso schätzbarer für mich, weil ich sie so zu rechter Zeit fand, weil einige bittere Erfahrungen mich wirklich gegen Verhältnisse aller Art hatten misstrauisch gemacht.
Ich wollte Ihnen einmal wieder in meiner ganzen Bedürftigkeit erscheinen, wollte Sie um Ihre Meinung fragen über manches, was mich jetzt beschäftigt, und wollte durch allerhand Umwege ein paar freundliche Worte mir von Ihnen erbeuten, aber ich bin genötigt, abzubrechen.
Wollen Sie die Güte haben, mich der Frau Hofrätin zu empfehlen?
Ganz der Ihrige Hölderlin
*Flucht der Familie - Hölderlin floh aufgrund der drohenden Belagerung Frankfurts durch die Franzosen mit Susette Gontard und deren Kinder nach Bad Driburg