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Rilke an seine Tochter 1924

Von EwigerBrunnen01 Donnerstag 18.04.2024, 08:18

Bild: Kukus

Die gräflich Sporksche Herrschaft Kukus suchte einen Güterdirektor, mein Vater mußte Gründe haben zu glauben, daß er einer solchen Aufgabe gewachsen wäre. Aber es war nicht leicht, Beweise für diese Fähigkeit, die er sich zutraute, aufzubringen. Allerdings hatte er als junger Mensch auf dem Gute seiner Tante, der Baronin Weissenburg, volontiert, diese Tatsache wurde nun in das vollste Licht gestellt und so behandelt, als wäre sie der Angelpunkt seines Lebens gewesen. Die Erwartung und Hoffnung in unserm Hause war groß, nicht allein versprach man sich von diesem Wechsel finanzielle und gesundheitliche Vorteile, das große Sporksche Barockschloß in Kukus war unbewohnt und wäre dem neuen Güterdirektor zugewiesen worden. Ich, soweit ich etwas von der schwebenden Angelegenheit begriff, ließ mich schon gehen in meiner Leidenschaft für Wagen- und Schlittenfahrten, für hohe Zimmer und lange weiße Gänge. Natürlich und gerechtermaßen wurde damals ein anderer Bewerber vorgezogen, der nicht nur landwirtschaftliche Jugenderinnerungen aufzuweisen hatte, und unser Provinzdasein versank, enttäuscht, in seiner trübseligen Alltäglichkeit. Hätte mein guter Papa eher diesen Entschluß gefaßt, so wäre wahrscheinlich alles anders verlaufen.

(aus „Rilke – Leben und Werk“ von Wolfgang Leppmann)

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