Stefan Zweig an Hermann Hesse
Von Feierabend-Mitglied Montag 02.12.2024, 09:57
Du möchtest die Antworten lesen und mitdiskutieren? Tritt erst der Gruppe bei. Gruppe beitreten
Von Feierabend-Mitglied Montag 02.12.2024, 09:57
Du möchtest die Antworten lesen und mitdiskutieren? Tritt erst der Gruppe bei. Gruppe beitreten
Victor Massé, Paris 21. Nov. 1904
Lieber Herr Hesse, Das »Litterarische Echo«, in dem ich Ihre lieben Worte lese, erinnert mich daran, daß ich Ihnen mit meinem herzlichsten Dank zugleich auch einen Brief schulde. Nun kennen Sie ja selbst Paris – wenn Sie es auch nicht lieben, wissen Sie doch, wie sehr es einen von allen Seiten gefangen nimmt. Ich habe eine sehr hübsche Wohnung gefunden, die in einen Garten hineinzielt und so still ist, als läge sie, von endlosen Wiesen umzirkt, mitten im Lande. Das macht mich nun sehr froh, daß ich des öfteren still bei mir sein kann und mich nach meiner Art vergnügen: Bekannte habe ich hier, wenn ich sie will, und das ist mir lieb. Holzamer, den ich schon lange kenne, habe ich sehr gern; ein paar Wiener, ein paar junge Franzosen kenne ich, und wenn Verhaeren kommt, so habe ich einen wertvollen und gütigen Gefährten.
Meinen »Verlaine« habe ich hier mit Lust begonnen, in Hast vor meinem wachsenden Unmut vollendet: ich will mich nie und nimmer mehr binden und verpflichten. Das zerstört einem das Schönste, die willige Freude des Schaffens.
Bei Ihnen scheinen ja jetzt frohe Tage zu sein. Der Bauernfeld-Preis hat mich sehr gefreut – um so mehr als unsere Wiener Herren sonst ein wenig dickköpfig sind. Und Weihnachten streut unseren lieben »Peter Camenzind« – den ich bei Bernus jüngst sogar angedichtet fand – sicher in alle Welt. Hoffentlich sind auch alle andern Sorgen beim Teufel und Sie leben wohlgemut und schaffensfroh.
Vergessen Sie mich aber, lieber Herr Hesse, nicht ganz. Erzählen Sie mir einmal, ob wir Neues von Ihnen erhoffen dürfen oder ob Sie brachliegen für die kommenden Jahre der Ernten. Ich freue mich immer so sehr darüber. Gerne hätte ich einen Abstecher zu Ihnen gemacht – zwei Stunden war ich weit –, als ich nach Paris fuhr, da Sie mir aber schrieben, Ihre Frau sei nicht gesund, hütete ich mich wohl, Sie zu verständigen und von Ihrem Heim fortzulocken. Ich hab schon das Vertrauen, daß wir uns einmal finden werden, und ich will Ihnen da gern ein paar Kilometer entgegengehn.
Und das Reisen? Haben Sie es verlernt? Ich nicht, wahrhaftig nicht, ich habe so eine Unrast überallhin zu fahren, alles zu sehen und zu genießen, habe Angst vor dem Alter, daß ich dies – meinen liebsten Besitz – einmal verlieren könnte in Mattigkeit und Faulheit. Im März geht es nach Spanien – es muß dies das schönste Land Europas sein, ich fühle das. Kommen Sie mit: Sie wären ein Reisegefährte! Ich weiß nicht: immer wenn ich mir Spanien vor mich hin sage, spüre ich's wie einen Ruck. Ich freu mich so darauf; schon studiere ich spaniolisch.
Nun noch herzliche Grüße, von denen Sie aber Ihrer Frau auch ein paar abgeben müssen.
Ihr in Ergebenheit und Freundschaft getreuer Stefan Zweig