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Der Nahostkonflikt

Von Grunewaldturm Mittwoch 03.09.2025, 09:06

ist inzwischen ein ständig wiederkehrendes Thema. Dabei geht es nicht nur um den Konflikt an sich und die Ereignisse vor Ort, sondern auch um Geschichte und Gegenwart in Deutschland. Die Auseinandersetzung ist in besonderer Weise mit Deutschland verbunden und berührt die Familiengeschichten und den Alltag vieler Menschen. All dies kommt immer wieder zur Sprache, ohne dass sich „einfache Lösungen“ finden lassen. Im Privatleben geht es zum Glück nicht darum, den Konflikt selbst zu lösen, sondern vor allem darum, Verständnis für unterschiedliche Erfahrungen und Blickwinkel und damit verbundene Interessen zu fördern und daraus Handlungsperspektiven abzuleiten.

In Deutschland leben viele Menschen mit familiären Bindungen nach Israel und Palästina. Auch wenn sich die Situation nicht mit dem Konflikt im Nahen Osten vergleichen lässt, hinterlassen auch hier Erfahrungen mit Diskriminierung und Gewalt ihre Spuren. Dies äußert sich beispielsweise in der Sorge, mit der Juden/Jüdinnen und Menschen mit palästinensischen oder anderen Migrationsgeschichten das Anwachsen rechtspopulistischer und extrem rechter Bewegungen verfolgen.

Um überhaupt ansatzweise verstehen zu können was in Palästina geschieht ist es absolut notwendig einen Blick auf die jüdische Geschichte zu richten.

Im Jahr 63 v. Chr. hatten die Römer unter dem Feldherrn Pompeius Palästina erobert. Herodes der Große (40 bis 4 v. Chr.), König von Roms Gnaden, war es noch gelungen, die wachsenden Spannungen im Palästina um die Zeitenwende niederzuhalten; er bediente sich einer Geheimpolizei, ließ politische Gegner, auch Familienangehörige, ermorden und setzte autoritär die Hohenpriester des Jerusalemer Tempels ein und ab, obwohl es sich dabei um ein Amt auf Lebenszeit handelte. Er selbst stilisierte sich zum neuen König David, gab viele Bauten in Auftrag, darunter die Neugestaltung des Tempels, und verstand es, auch etwas von den schwelenden messianischen Hoffnungen ideologisch an sich zu binden. Das sind Zeitumstände, aus denen apokalyptische Phantasien und revolutionäre Ideen wachsen.
Zeit der Aufstände und „Propheten“

Aber nachdem Herodes 4 v. Chr. gestorben war, machten sich alle Aggressionen und Enttäuschungen Luft. In Galiläa brach ein Aufstand aus, geführt von einem gewissen Judas – einer von vielen Aufständen in den folgenden Jahrzehnten. Verschiedene Propheten verhießen Gotteswunder als Zeichen einer bevorstehenden politischen Wende. Solche Umtriebe waren den Römern stets verdächtig und häufig beendeten sie die Aufmärsche der Gurus und ihrer Anhänger mit einem abschreckenden Blutbad.

Trafen solche Säuberungsaktionen auch oft naive Idealisten, so wussten die Römer doch sehr genau, dass sich an jedem Aufruhr bewaffneter Widerstand entzünden konnte. Im Jahr 6 n. Chr. unterstellte Quirinius Statthalter von Syrien, Judäa der direkten römischen Verwaltung, was einer definitiven Annexion gleichkam, und ordnete eine Volkszählung an, um die Steuereintreibung zu organisieren.
Gewaltsamer Widerstand der Zeloten gegen Rom

Das war das Signal für Judas und einen Pharisäer namens Zadok: Sie schlossen verschiedene Untergrundorganisationen zur Partei der Zeloten (Eiferer) zusammen. Sie proklamierten die „Alleinherrschaft Gottes“, die gewaltsame Vertreibung der römischen Besatzer und die Absetzung der einheimischen Könige, die mit den Römern kollaborierten. Die Zeloten hatten nichts zu verlieren, organisierten Terrorüberfälle und machten sogar Jerusalem unsicher: Sikarier (Dolchmänner) mordeten wahllos im Gedränge der Wallfahrten, wo sie sofort in der Menge untertauchen konnten.

Jerusalem selbst war von der Priesteraristokratie der Sadduzäer beherrscht, die hauptsächlich vom Wallfahrtstourismus lebte. Außerdem hatte jeder Jude einen Zehenten, eine 10-Prozent-Tempel-Steuer, zu entrichten. Die Sadduzäer bedienten sich einer Doppelstrategie: Sie arbeiteten mit den Römern zusammen, weil jede Störung der öffentlichen Ordnung ihre wirtschaftliche Basis, nämlich die Wallfahrten, gefährdete; sie machten aber dem Volk zugleich klar, dass die römische Besatzung an all dem Schuld sei, was im Land Unzufriedenheit auslöste. So versuchten die Sadduzäer im Windschatten der zunehmenden Aggressivität ihre lokal sehr begrenzte Macht abzusichern.

Sowohl die Zeloten als auch die Jerusalemer Elite hatten religiös argumentierende „Parteiprogramme“; doch standen Machtfragen deutlich im Vordergrund. Zwei andere Gruppen erwarteten die Wende wirklich von einer religiösen Erneuerung: die Essener und die Pharisäer.
Weitreichender geistiger Einfluss der Essener

Die Essener, mit ihrer zentralen klösterlichen Siedlung Qumran am Toten Meer, versuchten durch radikale Strenge in der Befolgung der biblischen Reinheitsgebote die Gottesherrschaft vorzubereiten. Sie bauten eine abgeschlossene, reine „Gegengesellschaft“ auf; und obwohl sie als friedlich galten, phantasierten sie sich für die zukünftige göttliche Machtübernahme eine Blutorgie, bei der alle Abtrünnigen und Fremden umkommen sollten. Die Kerngruppe der Essener lebte ehelos und ohne Privatbesitz, lehnte es ab, einen Eid zu leisten, bestrafte Regelverstöße, zum Beispiel leichtfertiges Gerede, mit zeitweiligem Ausschluss.

Seit 1948 die „Schriftrollen vom Toten Meer“ in den Höhlen nahe der Essener-Siedlung Qumran gefunden wurden, wird nach Zusammenhängen zwischen den Essenern und dem jungen Christentum geforscht. Manche Text-Ähnlichkeiten zum Neuen Testament lassen sich allerdings einfacher dadurch erklären, dass sich auch Jesus der im Umlauf befindlichen Wortmuster und Denkformen bediente; und dass die Essener weitreichenden geistigen Einfluss hatten, bezeugt schon der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus. Es gibt auch Vermutungen, dass Jesus und später Paulus „Lehrjahre“ in Qumran verbracht hätten. Insbesondere die Bekehrung des Paulus vor Damaskus (Apg 9) wird – in dieser Hypothese – nach Qumran verlegt, weil die Essener ihre Siedlung „Damaskus in der Wüste“ nannten.
Pharisäer wollten Alltag religiös erneuern

Die Pharisäer sahen das Heil gleichfalls in einer strengeren Befolgung des Gesetzes, das heißt der Thora (der ethischen und rituellen Weisungen der Bibel, wie sie in den fünf Büchern Mose niedergelegt sind); aber es ging ihnen nicht um Rückzug und Ausgrenzung, sondern sie wollten das normale alltägliche Leben der jüdischen Gesellschaft erneuern.

Dazu war zugleich mit der Verschärfung der Gesetzestreue eine pragmatische Anpassung der Gesetze an die Situationen des Alltags notwendig, ein Dilemma, das die Pharisäer nicht immer lösen konnten, was ihnen bisweilen den Ruf einbrachte, Heuchler oder Taschenspieler juridischer Spitzfindigkeiten zu sein. Dennoch war das Pharisäertum die einzige realistische Erneuerungsbewegung und die einzige – wie sich zeigen sollte –, die Zukunft hatte.

Als Laienbewegung hatten die Pharisäer eine große Volksverbundenheit. Sie stellten das Studium der Thora auf eine Stufe mit dem priesterlichen Tempelkult, der bis dahin unbestritten den höchsten religiösen Rang eingenommen hatte. Untereinander diskutierten sie, was wichtiger sei: rigorose Gesetzestreue – so die Schule des Rabbi Schammai – oder eine Gesetzestreue mit dem Augenmaß der praktischen Lebbarkeit – so die Schule des Rabbi Hillel. Es ist daher kein Wunder, dass es die Pharisäer waren, mit denen sich Jesus am meisten auseinandersetzte. Die liberalere Hillel-Schule setzte sich nach dem jüdisch-römischen Krieg durch und rettete das Judentum über die Zerstörung Jerusalems und des Tempels im Jahr n. Chr. 70 hinaus.

Die Geschichte des jüdischen Volkes reicht bis ins zweite vorchristliche Jahrtausend zurück.

Von einer Geschichte des Judentums kann aus religionshistorischer Perspektive eigentlich erst ab dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert gesprochen werden. Die jüdisch-religiöse Geschichtsschreibung selbst, wie sie in der Thora ihren Niederschlag gefunden hat, geht aber weiter zurück. In den Erzählungen von den Erzvätern Abraham, Isaak und Jakob legt sie den Anfang der jüdischen Geschichte ins zweite vorchristliche Jahrtausend.

Entscheidendes Ereignis der jüdischen religiösen Geschichtsschreibung ist der Auszug aus Ägypten unter Moses und die folgende Landnahme Kanaans. Dort entstanden schließlich zwei Königreiche – das Nordreich Israel und das Südreich Juda mit der Hauptstadt Jerusalem.
Babylonisches Exil und Entstehung des Judentums

Nachdem das Nordreich 722 v. Chr. durch die Assyrer unterging, fiel 597 v. Chr. Juda unter babylonische Herrschaft. Der Tempel in Jerusalem wurde zerstört, die Oberschicht des Landes – wie im babylonischen Herrschaftssystem üblich – nach Babylon deportiert. Erst nach der Eroberung Babylons durch die Perser (539 v. Chr.) konnten die Juden wieder in die alte Heimat zurückkehren.

Im Bestreben der Exilierten, die eigene kulturelle und religiöse Identität zu erhalten, sieht die moderne Geschichtsforschung die Geburtsstunde des Judentums. Erst zu dieser Zeit wurden die Gesetze der Thora und der Monotheismus konstitutiv. In die Zeit des Exils bzw. das Jahrhundert danach fällt auch die Zusammenstellung wichtiger biblischer Bücher, wie der Thora (Pentateuch) oder des deuteronomistischen Geschichtswerks.

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