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"Heimkehr 1947"

Von Sylvesterscherz Samstag 09.12.2023, 09:43

Eines Abends klingelt es an der Wohnungstür.

Das Kind sitzt gerade auf dem Küchentisch und mopst eine Zwiebel!
Auf dem Tisch sitzen ist streng verboten – und Essbares mopsen……… - Auweia!!!
Es hüpft aus der Küche hinaus und öffnet die Tür – auch verboten.
Vor ihm steht ein Mann – ein Soldat.
Uniformierte kennt das Kind aus dem Paradies – das waren die Russen.
Ist das ein Russe?
Mit offenem Mund starrt das Kind an der Gestalt hoch.

Hinten im Flur öffnet sich eine Tür, und die Vatermutter kommt herangeschlurrt.
Auch sie starrt wie hypnotisiert auf den Soldaten in der viel zu weiten Kleidung.
Auf einmal kommt ein Ton aus ihrem Mund, wie der letzte Seufzer aus einem Dudelsack.
Tränen rollen über ihr Gesicht – auch der Mann beginnt, zu weinen.
Das Kind begreift überhaupt nichts mehr und glotzt nur von Einem zur Anderen.
„Mein Sohn“ – japst die Vatermutter!

Das Kind läuft zur Mutter ins Zimmer – die hat von allem nichts mitbekommen.
„Du Mama, da draußen steht Omas Sohn“!
Die Mutter lässt den Teller fallen, den sie gerade wegräumen wollte und fällt doch wirklich dem wildfremden Mann um den Hals!

Der Bruder hat das Klavierspiel unterbrochen. Auch er sieht ziemlich verständnislos auf die Erwachsenen, die lachen und weinen und ununterbrochen reden.
Auf einmal schreit er auf: „Papa“!

Dem Kind ist das alles zu viel.
Es ist irgendwie unheimlich, dieses Theater.
Als es nun von diesem Fremden auf den Arm genommen und abgeküsst wird, brüllt es los!
Das Kind weint nicht – es brüllt!
Die Umstehenden amüsieren sich königlich!
„Aber das ist doch der Papa“!
Papa, Papa – das Kind kennt keinen Papa!
Der Soldat soll es gefälligst in Ruhe lassen – Soldat = Russe!
Mama sagt doch immer, es soll nicht mit fremden Menschen reden!
Und nun auch noch küssen lassen – das geht entschieden zu weit.
Das Kind strampelt und dreht sich auf den Armen des Mannes, bis der es runterlässt.
Schnurstracks schlüpft es aus dem Flur, krabbelt unter sein Bett und ist nicht mehr vor zu locken.

Der Papa hat zwar etwas Speck mitgebracht, den er irgendwo zugesteckt bekommen hat, aber er fängt mit Speck keine Tochter.
Das Kind bleibt abwartend und misstrauisch.
Es hat sich zu viel verändert in den letzten Tagen.
Dauernd sitzen die Vatermutter und die Tanten im Zimmer der Eltern: „Nun erzähl doch mal“!
Und wenn die Mutter nicht dabei ist: „Also weißt du, so geht das nicht“!

Der Bruder schaut auch erst zu, wie sich alles entwickelt.
Abwarten und Mäuse fangen!
Er mag diese hektischen „Freude“-Ausbrüche genauso wenig.

Die Verwandten bestimmen, wie sich der Vater als Vater zu verhalten hat – wie er seine Kinder erziehen muss.
Er hat ja keine Ahnung davon.
Auch, wie er sich als Ehemann benehmen muss, wissen die „unbemannten“ Schwestern besser, als irgendjemand auf der ganzen Welt.
Zwei „Flitterjahre“ zwischen Hochzeit und Krieg sind genug – basta!

Und…. – morgen ja, nicht gleich, aber nächste Woche kann der Heimkehrer wieder anfangen, zu arbeiten.
Er hat doch das Geschäft, das der Compagnon über das „Tausendjährige Reich“ gerettet hat.
Dem muss man sowieso auf die Finger schauen, damit er nicht alles selbst einsteckt.

Der Vater fühlt sich wohl.
Er ist dahin zurückgekehrt, wo seine Frau ihn nach der Hochzeit rausgeholt hat – und sie kann sich nicht einmal beschweren!
Es ist doch ausnehmend freundlich von Mutter und Schwestern, die heimatlose, ausgebombte Familie aufzunehmen.
Na schön – es ist wohl alles ein bisschen eng – aber doch gemütlich!
Ja, ja – er wird sich um eine eigene Wohnung kümmern, aber das muss ja nun wirklich nicht heute noch sein!

„Gib doch auch Ruhe – musst du immer das letzte Wort haben?
Du bist doch diejenige, die immer zankt!
Die Schwestern sind schon so unglücklich“!

Irgendwann ist es soweit: Die Mutter schweigt!
Sie schweigt zum Gekeife der Schwiegermutter und der Schwägerinnen, sie schweigt zu den Vorwürfen des Mannes, sie schweigt auch dazu, als er beginnt, die Kinder zu verprügeln.
Sie schweigt!

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