Der alte Nasko
Von Feierabend-Mitglied Samstag 07.12.2024, 15:23
Du möchtest die Antworten lesen und mitdiskutieren? Tritt erst der Gruppe bei. Gruppe beitreten
Von Feierabend-Mitglied Samstag 07.12.2024, 15:23
Du möchtest die Antworten lesen und mitdiskutieren? Tritt erst der Gruppe bei. Gruppe beitreten
Der alte Nasko war Bosniake, ein Überbleibsel aus der Kaiserzeit. Jedenfalls sagten das die Erwachsenen zu uns Kindern. Herr Nasko kam also aus Bosnien, einem Land, das mir nichts sagte und für mich daher genauso weit weg war wie Amerika, unser aller Wunschland. Wir Nachkriegskinder träumten damals alle vom reichen Onkel aus Amerika. Nur – den gab es nicht. Ergo hielten wir uns an den alten Nasko, dem alten weisen Mann mit weißem Rauschebart und rotem Hut mit goldener Quaste. Er wirkte auf uns wie ein Gelehrter. Wir respektierten ihn nicht nur wegen seiner imposanten Erscheinung, oh nein, er hatte viel mehr zu bieten, als nur schlaue Reden mit erhobenen Zeigefinger – Herr Nasko war im Besitz des Paradieses, denn ihm gehörte die Zuckerlzentrale im ehrwürdigen Fabriziushaus am Hauptplatz.
Der Begriff Zuckerlzentrale war natürlich maßlos übertrieben, denn das Geschäftslokal mit den vielen Bonbongläsern war eigentlich winzig. Und genau diese bauchigen Gläser mit der großen Öffnung hatten es uns Kindern angetan. Vorausgesetzt unsere Händchen waren sauber (was der alte Nasko penibel kontrollierte), durften wir die bunten Bonbons selber aus dem Glas herausholen.
Zur Osterzeit waren die Zuckerl in allen Farben traditionsgemäß eiförmig, sonst waren sie rund und so hart, dass man sie auch als Murmeln verwenden konnte. Meine absoluten Favoriten waren die gold- und silberfarbenen, allerdings kosteten die einen Groschen mehr.
Die Verlockung, statt der bezahlten drei oder vier Stück, ein zusätzliches Kügelchen zwischen den Fingern zu verbergen, war groß. Der alte Nasko passte auf wie ein Haftelmacher. Wenn er einen von uns Kindern beim Schummeln ertappte, folgte die Strafe auf dem Fuß: Zwei Wochen keine Selbstbedienung. Und der Meister vergaß nichts. Trotzdem war es eine Herausforderung für uns, und wir dachten nach, wie wir zu diesem ganz besonderen Kick, den alten Nasko zu überlisten, kommen könnten.
Die Idee kam mir, als ich das fantastische Bild an der Wand hinter der Ladentheke bewunderte und höflich, fast untertänig fragte: „Herr Nasko, was ist das für ein Bild mit dieser hohen Burg da an der Wand hinter Ihnen?”
Er war sichtlich überrascht, dass ich mich für seine Bilder interessierte. Während er sich umdrehte und mit einer Hand auf das Bild zeigte und nicht ohne Stolz erklärte, dass das ein Druck eines Gemäldes von Pieter Bruegel sei und den Turmbau zu Babel zeige, verschwand mein sauberes Händchen tief im Glas der goldenen Kügelchen.