Der Dufflecoat
Von Feierabend-Mitglied Dienstag 21.01.2025, 08:59
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Was anziehen?
Diese Frage stellen sich manchmal auch Männer.
Normalerweise bin ich nicht so pingelig, aber heute muss es sein. Meine Beste ist beim Friseur. Ich soll sie abholen, weil es regnet.
„Zieh was Vernünftiges an”, sagt sie am Telefon, „die Ladys im Salon sollen nichts zum Tratschen haben.”
Ich werde dich nicht blamieren, verspreche ich und durchsuche den Kleiderschrank. Ganz hinten entdecke ich zwei Kleidersäcke. Neugierig geworden, was da drin ist, ziehe ich die Kunststoffhüllen nach vorne.
Vermutlich der alte Hochzeitsanzug oder sonstige Klamotten, die kein Mensch mehr anzieht, denke ich und ziehe neugierig den Reißverschluss des ersten Sackes auf. Meine Vermutung bestätigt sich: es ist der dunkle Nadelstreif, der hier sein Dasein fristet. Mein ehemals bester Anzug. Mit einer Hand greife und drücke ich den zweiten Sack und erfühle einen etwas dickeren, sämigen Stoff. Ein Gedanke streift mich - eine romantische Ahnung. Das muss der Mantel von damals sein, denke ich und ziehe den Reißverschluss nach unten. Voila, da ist er: mein Dufflecoat. Marineblau. Ein Klassiker in Vintage-Optik. Den hat mir seinerzeit mein Herrenausstatter unter die Weste gejubelt. Er hatte meine Midlife-Crisis richtig erkannt und mir dieses Retrostück mit dem Hinweis empfohlen:
„Darin schaust du um zwanzig Jahre jünger aus!“ Natürlich habe ich den Mantel gekauft, zwanzig Jahre kann man nicht so ohne weiteres negieren, oder?
Ich nehme den Dufflecoat und schlüpfe hinein. Passt immer noch, denke ich, wahrscheinlich war er damals schon etwas weiter geschnitten. Diesem edlen Stück habe ich einiges zu verdanken. Genau genommen war er die Ouvertüre zu meiner Ehe mit Regina. Wir hatten uns damals ein halbes Blind-Date ausgemacht. Treffpunkt war die Autobahn-Raststätte in Mondsee. Zwar hatten wir Fotos voneinander ausgetauscht, aber Fotos können lügen. Also waren wir beide gespannt – was auf uns zukommt.
„Nimm den großen Wagen”, sagte ich zu mir, „ein bisschen auf den Putz hauen kann nicht schaden.” Ich war echt locker drauf. Regina wartete in ihrem winzigen Cinquecento und sah mich schneidig auf den Parkplatz kurven. „Oh je”, dachte sie: „Ein Angeber.” Es war die Zeit, als Reinhard Fendrichs „Macho, Macho“ gerade ein Hit war. Und für so einen Macho, Angeber, Snob und was weiß ich noch alles, hielt sie mich im ersten Moment. Das hat sie mir später erzählt.
Ich ahnte nichts von meinem Glück. Gerettet hat mich nämlich besagter Dufflecoat. Als sie mich mit diesem Mäntelchen mit Kapuze aussteigen sah, revidierte sie ad hoc ihre Meinung und ordnete mich in jene Reihe von Männern ein, die etwas Spielerisches, vielleicht sogar Romantisches an sich haben.
Was soll ich sagen? Es hat sich ausgezahlt. Für sie, für mich, für uns. Sich nicht auf den ersten Eindruck verlassen? Manchmal hilft ein zweiter Blick.
Regina strahlt wie eine Königin. Ich bin pünktlich beim Friseur – mit Dufflecoat und einer schnell besorgten Rose aus dem Blumenladen.