Die Abschiedsrede
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Feierabend-Mitglied
heute, 13:42
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Es war klar, dass er kommen würde, dieser Tag: der letzte Tag in meiner Firma. Obwohl ich gut vorbereitet bin, habe ich weiche Knie. Es war mein Entschluss, mit Jahresende in Pension zu gehen. Für mich ist die Fliesen Planegger GmbH ab heute Geschichte. Ich weiß, dass es emotional werden wird. Wie ein Mantra habe ich den Satz vor mir hergetragen: Du hast dir den Ruhestand verdient, du bist fünfundsechzig Jahre alt, es ist normal. Dennoch macht sich ein ungutes Gefühl im Bauch breit. Vor lauter Untätigkeit in ein tiefes Loch fallen? Nein, das lasse ich nicht zu. Ich habe vorgesorgt.
Bruno Dangl ist mein Freund und Berater seit vielen Jahren. Er rät mir ab, die geplante Rede zu halten. Das ist meine Sache, denke ich und bin verärgert. Andererseits bin ich um Ausgleich bemüht, antworte weniger scharf, als mir zumute ist: „Das sehe ich anders, du unterschätzt die jungen Leute.”
„Nein, Ferdinand, das tue ich ganz bestimmt nicht. Ich kenne sie gut genug und weiß, dass sie sich auf die Feier freuen. Deine Mitarbeiter schätzen dich als ihren Meister. Sie haben sich was ausgedacht, sie wollen Spaß haben.”
„Äh, du hast Musiker engagiert oder habe ich etwas übersehen?”
Bruno verzieht das Gesicht. „Du lenkst ab, Ferdinand.”
„Hör zu, ich will keinem den Spaß verderben. Ich möchte mit meiner Rede Mut machen. Es geht um eine Botschaft. Die Botschaft heißt: Gib niemals auf!”
„Ferdinand, ich möchte deinen hehren Gedanken nicht klein reden, aber glaub mir, es ist nicht der richtige Moment. Du zerstörst ein Bild von dir in den Köpfen derer, die zu dir aufschauen.”
„Es geht mir nicht darum, etwas zu zerstören, im Gegenteil. Ich will zeigen, was möglich ist, wenn Menschen selbst in tiefsten Krisen an sich und ihre Stärke glauben. Verdammt noch mal, lass mich die Leute ein wenig aufrütteln. Das Thema hat auch einen wirtschaftlichen Aspekt. Immerhin ist diese Firma trotz der - wie du es nennst – nicht vorzeigbaren Biografie ihres Gründers – zum führenden Betrieb in der Region geworden. Und das soll man nicht erzählen dürfen?”
„Mein Gott Ferdinand sei nicht so stur. Ich habe eine bessere Idee, wie du den Leuten auf elegante Art sagen könntest, was dir wichtig ist.”
„Und die wäre?”
Jetzt grinst er.
„Schreib es auf, Ferdinand! Schreib deine Lebensgeschichte, die zu einem Teil auch meine ist. Schreib über alles, vor allem über die dunkle Zeit vor deinem Aufstieg; berichte von den Jahren der Würdelosigkeit, von der Zeit der Ausgrenzung, als keiner von all den feinen Leuten, die heute unsere Gäste sind, auch nur einen Groschen auf dich gesetzt hat. Wenn du den Mut hast, darüber zu berichten, dann mache es ordentlich und schreibe es auf.”
Ich hole tief Luft und überlege, ob ich seinen Vorschlag mit einem Machtwort abtun soll. Ich hadere, komme aber zum Schluss, dass Bruno wieder einmal recht haben könnte; er hat ein Gespür für das Richtige. Nicht nur deswegen ist er mein Freund, wir kennen uns seit vielen Jahren. Also sage ich: „Vielleicht hast du recht. Und: Ich gebe zu, die Idee gefällt mir.”
Das flaue Gefühl im Magen ist weg. Bruno klopft mir auf die Schulter und fragt: „War es schwer?”
Ich habe eine Bemerkung auf der Zunge, unterdrücke sie aber.
„Komm Ferdinand, kümmern wir uns um die Gäste, die Begrüßung kann ich dir leider nicht abnehmen, das ist dein Job, du bist der Boss.”
Auf dem Weg zum Foyer treffen wir das neue Führungsduo. Beide haben sich bei uns vom Lehrling bis zum Meister hochgearbeitet. Sie werden ab heute die Firma in meinem Sinne weiterführen. Jedenfalls haben sie das versprochen.
Die Belegschaft ist vollzählig angetreten. Weiß dekorierte Stehtische laden zum Plaudern ein. Es scheint alles zu funktionieren, denke ich und bin froh, dass Bruno die Organisation der Feier übernommen hat.
„Wie viele Gäste erwarten wir”, frage ich ihn.
„In etwa achtzig. Wenn alle mit Begleitung kommen, werden es dem entsprechend mehr.”
„So viele?”, entschlüpft es mir.
„Man übergibt nicht alle Tage seine Firma, oder?”
„Stimmt. Tut mir leid, es sollte nicht knausrig klingen.”
Bruno lacht und sagt: „Kein Problem, sind alles wirklich nette Leute. Du kennst sie aus fünfundzwanzig Jahren solider Zusammenarbeit. Willst du die Gästeliste einsehen?”
Ich winke ab. Bruno rechnet mir aber trotzdem vor. „Fünfundzwanzig Mitarbeiter, einige Stammkunden, Architekten und Vertreter von Bauträgern, der Direktor unserer Hausbank, ein paar Politiker werden vorbeischauen und der eine oder andere Überraschungsgast. Wenn alle ihre Partner mitnehmen, ist die Hütte voll. Dir zu Ehren, es ist dein Fest, Ferdinand!”
Ich bin kein Smalltalker, das konnte ich noch nie, nicht mit fünfunddreißig und schon gar nicht mit fünfundsechzig. Heute kann ich mich nicht drücken, ich bin der Gastgeber. Es ist so, wie Bruno sagte: lauter bekannte Gesichter. Die Leute unterhalten sich prächtig, sie scheinen sich alle zu kennen – bis auf eine Frau, die ich aus dem Augenwinkel betrachte. Eine vornehme ältere Dame. Sie trägt einen schwarzen Hut mit rotem Band und breit geschwungener Krempe. In diesem Moment hebt sie ihren Blick und kommt auf mich zu. Besuch der alten Dame, denke ich und unterdrücke ein Grinsen. Ich kenne sie nicht.
Rechtsanwalt Ortgruber steht neben mir und wendet sich an die Dame: „Da bist du ja”, sagt er, legt eine Hand auf meinen Arm, mit der anderen zeichnet er theatralisch eine Geste in die Luft.
„Darf ich vorstellen:
Ferdinand Planegger, seit heute Ehrenpräsident von Planegger-Keramik – meine Mutter: Adele Ortgruber”, und zu mir gewandt: „Sie ließ es sich nicht nehmen, dich persönlich kennenzulernen.”
Adele Ortgruber sah mich an und lächelte.
„Ich freue mich, dass Sie kommen konnten”, hörte ich mich sagen. Ich mag diese Floskeln nicht, denke ich.
„Gern, ich war neugierig, wie Sie in natura sind. Ich kenne sie nur vom Telefonieren.”
Es ist eine angenehme, warme Stimme, die mir bekannt vorkommt. Sympathische Frau, denke ich, ganz anders als ihr Sohn, der Jurist, der auch mein Anwalt war bei der Scheidung von Anni nach zwanzig Jahren Ehe. Wir reden über das Geschäft, die überwundene Finanzkrise und wie schade es sei, dass ich gerade jetzt den Betrieb verlasse, wo doch diese Zeit des Aufbruchs geradezu ideal wäre für einen Pionier wie mich.
„Oh, danke, Sie schmeicheln mir, gnädige Frau. Aber nun muss ich weiter … die Kollegen warten”, sage ich. Am Nachbartisch albern zwei Bauleiter und fragen mich, wann es endlich mit dem Buffet so weit sei.
„Ein bisschen Business Talk müsst ihr noch über euch ergehen lassen, dann gibt es was zu futtern. Viel Spaß allerseits!”
Der Saal ist voll. An der Stirnseite hat eine Country-Band Aufstellung genommen. Bruno Dangl checkt das Mikrofon und begrüßt nun offiziell - im Namen der Ferdinand-Planegger-GmbH - noch einmal die Gäste. Danach präsentiert er ein Video, das den Erfolgsweg der Firma in den vergangenen 25 Jahren nachzeichnet.
Höflicher Applaus.
Ich bin der letzte Redner. Als ich in meiner Jacke herumnestle und die gefaltete Rede suche, bemerke ich Brunos flehenden Blick – als wolle er sagen – bitte nicht. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Auf meinem Zettel stehen nur die üblichen Standardsätze. Ich halte mich kurz, teile heute keine Seitenhiebe an die Politik aus. Ich verwende die Sprache der Handwerker, bewusst im Dialekt und ehre meine langjährigen Mitarbeiter. Bruno hebt zufrieden den Daumen. Neben ihm steht Rosa, unsere Reinigungsfrau, sie ist mit ihrem Enkel da, Leo ist Lehrling bei uns. Sie sorgt außerdem bei mir zu Hause für Ordnung und kümmert sich um meinen Dackel Charly. Jetzt lächelt sie mir zu, sie geht auch in den Ruhestand.
Ich schaue ins Publikum und wundere mich, dass sich die Reihen lichten, es sind auf einmal weniger Leute da. Mir wird heiß im Kopf – ist meine Rede so schlecht? Ich bin noch nicht fertig, denke ich, kürze aber meine Abschiedsrede ab, komme rasch zum Schluss und bedanke mich für die Zusammenarbeit und Aufmerksamkeit.
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Fortsetzung „Farewell” folgt demnächst.